Ein Rücktritt ist dann nicht mehr freiwillig, wenn der Täter von weiteren Ausführungshandlungen deshalb Abstand nimmt, weil er das mit einer weiteren Tatausführung verbundene Entdeckungsrisiko für nicht mehr vertretbar hält.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Beurteilung der Frage, ob die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun1.
Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten oder einem Verhalten des Geschädigten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage2. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen3.
Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde4. Eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos rechtfertigt aber für sich genommen weder die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch steht sie grundsätzlich einer Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen, da ein Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten grundsätzlich noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss5. Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen6.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wurden allerdings die Feststellungen, auf deren Grundlage das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte das „Tatrisiko“ wegen der Hilfeschreie des Nebenklägers für nicht mehr vertretbar hielt und er deshalb nicht weiter auf den Nebenkläger eingewirkt hat, werden jedoch von der Beweiswürdigung nicht getragen.
Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Zu deren Überprüfung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt berufen und in der Lage. Es hat die tatrichterliche Würdigung grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten. Solche sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist oder wenn sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt7. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind.
Die Urteilsgründe müssen aber ergeben, dass alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind8, und erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen nicht lediglich Vermutungen sind, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt9.
Diesen Anforderungen genügte das landgerichtliche Urteil im hier entschiedenen Fall nicht. Das Landgericht hat sich nur unvollständig beweiswürdigend mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten nach Ausführung des Trittes gegen das Gesicht des Nebenklägers auseinandergesetzt. Die Annahme, der Angeklagte habe das Entdeckungsrisiko aufgrund der Schreie des Nebenklägers für unvertretbar hoch gehalten und daher keine andere Möglichkeit als die Flucht gesehen, ist nicht hinreichend belegt.
Allerdings ist im Ansatz nicht zu beanstanden, dass das Landgericht Schlüsse zum Vorstellungsbild des Angeklagten beim Rücktrittsgeschehen aus objektiven Umständen gezogen hat. Das Landgericht hat indes nicht alle für das Vorstellungsbild des Angeklagten maßgeblichen objektiven Umstände in seine Überlegungen einbezogen. Bei der vorliegend gegebenen Tatsituation wäre insbesondere zu erörtern gewesen, ob der Angeklagte von einer weiteren Einwirkung auf den Nebenkläger aus möglichen autonomen Gründen Abstand genommen hat, etwa weil er wegen der einsetzenden Schreie des Nebenklägers über sein Tun erschrocken war oder annahm, dem Nebenkläger bereits genug zugesetzt zu haben. Auch hätte sich das Landgericht hier angesichts der festgestellten Tatumstände (6 Uhr morgens an einem Feiertag im Oktober) und den Ausführungen des Landgerichts hierzu näher mit den örtlichen Verhältnissen und der Frage auseinandersetzen müssen, ob sich in der unmittelbaren Umgebung des Tatorts tatsächlich feststellungsbereite Dritte befanden oder sich nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten hätten befinden können, die – durch die Schreie des Geschädigten aufmerksam geworden – das Tatgeschehen und ihn, den Angeklagten, in kürzester Zeit hätten erkennen können. Der Hinweis auf die Nähe zum Bahnhof und das zufällige Eintreffen von zwei Personen nach der Tat genügt insoweit nicht.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. April 2019 – 1 StR 646/18
- vgl. BGH, Urteile vom 28.09.2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f. mwN; und vom 17.12 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279 mwN; Beschluss vom 24.10.2018 – 1 StR 452/18 Rn. 7[↩]
- st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28.09.2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f.; und vom 14.04.1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299; Beschluss vom 10.07.2013 – 2 StR 289/13, StV 2014, 336 f.[↩]
- st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28.09.2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f.; und vom 14.04.1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299; Beschlüsse vom 07.03.2018 – 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169, 170 mwN; vom 03.04.2014 – 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241 mwN; vom 26.02.2014 – 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172; und vom 10.07.2013 – 2 StR 289/13, StV 2014, 336 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 28.09.2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f. mwN; und vom 22.10.2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9, 10; Beschluss vom 19.12 2006 – 4 StR 537/06, NStZ-RR 2007, 136, 137[↩]
- vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 07.03.2018 – 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169, 170 mwN; vom 24.10.2017 – 1 StR 393/17, StV 2018, 715 f.; und vom 20.11.2013 – 3 StR 325/13, NStZ-RR 2014, 105; zu einer beträchtlichen Risikoerhöhung: BGH, Urteil vom 15.09.2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169; Beschlüsse vom 19.12 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266; und vom 13.06.2006 – 4 StR 67/06, NStZ 2006, 685[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.09.2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f.; Beschluss vom 27.02.2003 – 4 StR 59/02, NStZ-RR 2003, 199[↩]
- st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20.12 2017 – 2 StR 513/16 Rn.20, juris; Urteil vom 01.02.2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.07.1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; MünchKomm-StPO/Miebach, § 261 Rn. 108 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.12 2017 – 2 StR 513/16 Rn.20, juris; und vom 08.11.1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26[↩]