Die rückwirkende Bestellung eines Strafverteidigers ist unzulässig [1].

Übergeht das Gericht einen deutlichen und unübersehbaren Beiordnungsantrag des Verteidigers und lässt es seine Mitwirkung in der Folge ohne Hinweis auf ein eigenes Kostenrisiko zu, so kann eine schlüssige Bestellung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Die stillschweigende Bestellung kann nachträglich festgestellt werden.
Eine rückwirkende Bestellung zum Verteidiger ist nach herrschender Meinung, der sich das Oberlandesgericht Stuttgart anschließt, anschließt, nicht möglich [2]. Der Ansatzpunkt der Gegenmeinung, dass die Umsetzung der EMRK jedenfalls in Fällen versehentlich unterbliebener Bestellung eine rückwirkende Bestellung gebiete [3], überzeugt das Oberlandesgericht nicht:
Der Anspruch auf effiziente Verteidigung eines Angeklagten kann nachträglich nicht mehr erlangt werden, wenn über den Bestellungsantrag nicht entschieden wurde: Hat der Verteidiger die Tätigkeit daraufhin eingestellt, kann eine Bestellung in nächster Instanz oder im Beschwerderechtszug nachgeholt werden und dem Angeklagten so zu seinem Recht auf effiziente Verteidigung verholfen werden. Hat der Verteidiger unter Hinnahme des Kostenrisikos die Verteidigung fortgeführt, erhellt sich das Konstrukt einer Einschränkung der effizienten Verteidigung ohnehin nicht.
Denkbar ist eine Beeinträchtigung mithin nur in den Fällen, in denen der Angeklagte nach Niederlegung des Wahlverteidigermandats ohne Verteidiger bleibt und das Verfahren rechtskräftig endet. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens kann aber ein möglicher Konventionsverstoß nicht mehr behoben werden, auch nicht durch eine rückwirkende, aber fruchtlose Bestellung eines Verteidigers. In all diesen Fällen führt die rückwirkende Bestellung mithin nicht zu einem Mehr an Rechtsschutz des Angeklagten, sondern lediglich zur Schaffung eines Kostenanspruchs des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse.
Deshalb hält das Oberlandesgericht Stuttgart es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Gericht die Mitwirkung des Verteidigers unter Übergehung seines deutlichen und unübersehbaren und nicht etwa versteckten Beiordnungsantrags für opportun hält, für zielführender, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs [4] eine schlüssige Bestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung anzunehmen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalles dies nahelegen. Solchermaßen kann dem Gedanken der unbilligen Vergütung bei vorangegangener Schaffung eines „Vertrauenstatbestands“ durch den Tatrichter in angemessener Weise Rechnung getragen werden.
Solches kann vorliegend angenommen werden, da das Landgericht den Verteidiger am weiteren Verfahren beteiligt und nie zum Ausdruck gebracht hat, dass er seine weitere Tätigkeit auf eigenes Kostenrisiko erbringe.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 1 ARs 1/15
- Anschluss an BGH, NStZ-RR 2009, 348[↩]
- vgl. nur BGH, NStZ-RR 2009, 348; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 141 Rn. 8 mwN[↩]
- so etwa OLG Stuttgart, StraFo 2010, 465; LG Stuttgart, Die Justiz 2009, 15 mwN[↩]
- BGH, aaO[↩]
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