Auch wenn in einem Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfahrensvorgänge stattfinden, die als Sachverhandlung anzusehen sind, verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat.

Die in § 229 StPO normierten Unterbrechungsfristen werden im Hinblick auf die der Vorschrift zugrundeliegende Konzentrationsmaxime nur dann gewahrt, wenn in dem zur Fortsetzung der Hauptverhandlung anberaumten Termin zur Sache verhandelt, das Verfahren mithin inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch gefördert wird1. Das ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, welche die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht2. Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage, ob dieser noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können; gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient3.
Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur der äußeren Form nach zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt4. So verhält es sich etwa dann, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, um dadurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten5. Aus demselben Grunde verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat6.
Daran gemessen stieß die Verfahrensweise des Landgerichts in dem hier entschiedenen Fall beim Bundesgerichtshof auf durchgreifende rechtliche Bedenken:
Dabei konnte für den Bundesgerichtshof dahinstehen, ob es an einzelnen Verhandlungstagen überhaupt nicht zu Verfahrensvorgängen kam, die das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch förderten. Denn selbst wenn an allen Sitzungstagen Verfahrenshandlungen vorgenommen wurden, die grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet waren, so ist aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar, dass das Landgericht dabei zumindest an fünf Verhandlungstagen nur der äußeren Form nach tätig wurde zu dem Zweck, die Vorschrift zu umgehen, und dass der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktrat.
Die Verfahrensweise des Landgerichts in den Jahren 2018, 2019 und 2020 belegt, dass es ihm in dieser Zeit im Wesentlichen nicht um die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern allein um die Wahrung der Unterbrechungsfrist ging. Dadurch sollte ersichtlich eine Aussetzung der Hauptverhandlung vermieden werden, obwohl das Landgericht aufgrund des am 20.07.2017 gestellten Antrags etwa drei Jahre lang damit befasst war, außerhalb der Hauptverhandlung die Buchhaltung des Angeklagten nach seinen Vorgaben aufbereiten und mehrere alternative Schadensberechnungen erstellen zu lassen.
Um die Hauptverhandlung trotz der Verzögerungen fortzuführen, hat das Landgericht die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO über Jahre hinweg ausgereizt und die Verhandlung zeitlich dermaßen gestreckt, dass die jährliche Verhandlungsdauer kaum über diejenige eines einzigen gewöhnlichen Sitzungstages hinausging. Im Jahr 2018 verhandelte das Landgericht – verteilt auf 19 Sitzungstage – insgesamt nur siebeneinhalb Stunden, und in den Jahren 2019 und 2020 war die gesamte Verhandlungsdauer mit fünfeinhalb bzw. sechseinhalb Stunden noch kürzer, verteilt auf 17 bzw. 16 Tage.
Gegenstand der Verhandlung war zumeist der Stand der Dinge betreffend die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Vorgänge der Aufarbeitung der Buchhaltung des Angeklagten und der Erstellung der alternativen Schadensberechnung. Zuweilen erschöpfte sich die Hauptverhandlung in der Bekanntgabe von darauf bezogenen Verfügungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergangen waren und den Verfahrensbeteiligten ebenso gut außerhalb der Hauptverhandlung hätten bekannt gemacht werden können. Ihre Verlesung in der Hauptverhandlung diente beispielsweise am 22. Sitzungstag und am 27. Sitzungstag ersichtlich dem Zweck, überhaupt eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, die geeignet erschien, das Verfahren scheinbar inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch zu fördern.
An mehreren Verhandlungstagen wurden ausschließlich Urkunden verlesen, die ohne weiteres schon deutlich früher in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können und in Bezug auf deren Verlesung in dem späteren Termin in Anbetracht der gesamten Verfahrensweise des Landgerichts ebenfalls kein anderer Grund erkennbar ist als derjenige, dass die Verlesung allein dazu diente, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Auch insoweit beanstandet der Beschwerdeführer in Anbetracht der gesamten Umstände zu Recht, dass fast zwei Jahre früher beim Landgericht eingegangene Schreiben „instrumentalisiert“ wurde, um bei Bedarf die Hauptverhandlung scheinbar zu fördern.
Schließlich diente auch die Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf einen Teil der zweiten alternativen Schadensberechnung am 58. Sitzungstag vom 16.06.2020 ersichtlich nur dazu, den Schein einer Verfahrensförderung zu wahren. Die Anordnung betraf lediglich die Berechnung hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer des Angeklagten, in Bezug auf die nach Mitteilung des Vorsitzenden keine weitere Nachbesserung seitens der Deutschen Rentenversicherung mehr erforderlich war. Die Vermerke des Berichterstatters vom 10. und 22.06.2020 belegen indes, dass schon im Termin vom 16.06.2020 feststand, dass die noch nötigen Korrekturen auch Arbeitnehmer des Angeklagten betrafen, in Bezug auf deren Daten das Selbstleseverfahren angeordnet wurde. Die geänderten Daten waren sodann Gegenstand der dritten alternativen Schadensberechnung, die am 59. Sitzungstag in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Die zweite alternative Schadensberechnung war demgegenüber – was der Strafkammer bewusst war – schon im Termin vom 16.06.2020 obsolet. Die an diesem Tag ergangene Anordnung des Selbstleseverfahrens in Bezug auf Teile der zweiten alternativen Schadensberechnung bezweckte mithin ersichtlich nicht die substantielle Förderung des Verfahrens, sondern diente allein dazu, die Hauptverhandlung scheinbar unter Wahrung der Unterbrechungsfrist fortzusetzen.
Da der 22., 27., 54., 56., 57. und 58. Sitzungstag nicht geeignet waren, die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO einzuhalten, hätte die Hauptverhandlung jeweils ausgesetzt werden müssen.
Es kann – wie im Regelfall7 – nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 229 StPO beruht. Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in dem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat8, liegt schon angesichts der Verfahrensdauer von mehreren Jahren ersichtlich nicht vor.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Dezember 2022 – 6 StR 95/22
- vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2017 – 3 StR 262/17, NStZ 2018, 297, 298[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.08.2006 – 3 StR 199/06, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 6[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 02.02.2012 – 3 StR 401/11, NStZ 2012, 343; vom 16.01.2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 16.10.2007 – 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 02.02.2012 – 3 StR 401/11, aaO; vom 16.01.2014 – 4 StR 370/13, aaO; Beschluss vom 19.07.2022 – 4 StR 64/22 Rn. 9, jeweils mwN[↩]
- vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15.02.2022 – 4 StR 503/21, NStZ 2022, 760[↩]
- vgl. BGH aaO[↩]