Das Merkmal „Hang“ verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt.

Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag1.
Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand2.
Von dem Hang bzw. der Hangtätereigenschaft ist die durch § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ebenfalls geforderte Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit des Täters zu trennen; die Merkmale sind nicht identisch3. Vielmehr bildet der Hang ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose4. Diese schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht5.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beeinflusst dabei der Grad der „Eingeschliffenheit“ der Verhaltensweisen des Täters die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten. Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht6.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mit der Annahme der Hangtätereigenschaft – wegen der Bedeutung für die Prognose zukünftiger Gefährlichkeit – regelmäßig auch die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch den Angeklagten gegeben7.
Anderes kann gelten, wenn nach der letzten hangbedingten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger (erheblicher) Straftaten entfallen lassen8.
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommt es für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung an9. Angesichts dessen können während des Strafvollzugs denkbare Änderungen im Verhalten des Verurteilten oder sonstiger für seine zukünftige Gefährlichkeit bedeutsamer Umstände nur herangezogen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe dargelegt sind10. Im Übrigen sind solche möglichen Veränderungen erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.
Diesen Maßstäben wird das Tatgericht nicht gerecht, wenn es unter Berufung auf die zu Rate gezogenen Sachverständigen die den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht genügende zukünftige Gefährlichkeit auch mit Erwägungen zu einer empfehlenswerten Verhaltenstherapie anstelle der bislang über lange Zeiträume in Anspruch genommenen psychoanalytisch ausgerichteten Therapie begründet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können auch Straftaten gemäß § 176 Abs. 1 StGB als erhebliche Straftaten erweisen; maßgeblich sind die Umstände des konkreten Einzelfalls11. Auf das Erfordernis einer „schweren Sexualstraftat“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 04.05.201112 kommt es nicht an, wenn die verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 05.12 201213 am 1.06.2013 begangen worden sind14.
Für die Annahme der zukünftigen Gefährlichkeit kommt es lediglich darauf an, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist15.
Soweit während der Dauer der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zwischenzeitlich auch an die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten strengere Anforderungen zu stellen waren16, kommt es darauf nicht mehr an. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose wird eine statistisch mit 25 % bewertete Wahrscheinlichkeit regelmäßig auf eine „bestimmte Wahrscheinlichkeit“ ernsthaft zu erwartender erheblicher Taten hindeuten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14
- etwa BGH, Urteile vom 25.02.1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschluss vom 06.05.2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f. mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschlüsse vom 30.03.2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 06.05.2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 17.12 2009 – 3 StR 399/09; zu den für den Hang bedeutsamen Kriterien näher Rissingvan Saan/Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 3, § 66 Rn. 126 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30.03.2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203 f.; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 66 Rn. 99 mwN; siehe auch BVerfG [2. Kammer des Zweiten Bundesgerichtshofs], Beschluss vom 05.08.2009 – 2 BvR 2098/08 u.a. Rn.20[↩]
- BGH, Urteil vom 19.02.2013 – 1 StR 275/12, NStZ-RR 2014, 13; vgl. auch BVerfGK 9, 108, 114; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Bundesgerichtshofs], Beschluss vom 05.08.2009 – 2 BvR 2098/08 u.a., Rn.20[↩]
- BGH jeweils aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 13.09.1989 – 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; siehe auch BGH, Urteil vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464 Rn. 5[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 13.09.1989 – 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 20.02.2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465[↩]
- BGH, Urteile vom 20.02.2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465[↩]
- näher BGH, Urteil vom 22.10.2013 – 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273; BGH, Urteil vom 07.01.2015 – 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209[↩]
- BGH, Urteil vom 19.02.2013 – 1 StR 275/12 Rn. 35; siehe auch BGH, Urteil vom 22.10.2013 – 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273 sowie BGH, Urteil vom 07.01.2015 – 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 19.02.2013 – 1 StR 465/12, NStZ-RR 2013, 204, 206 mwN[↩]
- BVerfGE 128, 326, 404 ff.[↩]
- BGBl. I, S. 2425[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.01.2015 – 2 StR 292/14 Rn. 16, NStZ 2015, 208, 209; siehe auch Beschluss vom 15.01.2015 – 5 StR 473/14 Rn. 2, NStZ 2015, 210[↩]
- BGH, Urteil vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465; Beschluss vom 31.07.2012 – 3 StR 148/12 Rn. 5[↩]
- BGH, Beschluss vom 31.07.2012 – 3 StR 148/12 Rn. 7[↩]