Die als Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe zur Steuerhinterziehung abgeurteilten Taten waren nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, wenn dem Angeklagten in der unverändert zugelassenen Anklageschrift wegen der von ihm entfalteten Tätigkeit Beihilfe zur Untreue vorgeworfen wurde.

Es handelt sich bei der (Behilfe zur) Steuerhinterziehung vielmehr im Verhältnis zur angeklagten Untreue bzw. Beihilfe zur Untreue um eine andere Tat im Sinne des § 264 StPO.
Der prozessuale Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Den Rahmen der Untersuchung bildet also zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob zwischen den zu beurteilenden Verhaltensweisen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung eine so enge innere Verknüpfung besteht, dass eine getrennte Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Eine solche Verknüpfung muss sich jedoch aus den Ereignissen selbst ergeben; sie wird nicht allein dadurch begründet, dass eine Handlung zum besseren Verständnis der gesamten Umstände in der Anklageschrift erwähnt wird1. Für die Beurteilung, ob ein bestimmtes tatsächliches Geschehen Teil der prozessualen Tat ist, lassen sich über das Vorgenannte hinaus kaum generalisierbare Kriterien angeben; maßgeblich sind stets die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls2.
Auf der Grundlage dieses in erster Linie an den von der Anklage erfassten faktischen Verhältnissen orientierten prozessualen Tatbegriffs ist damit in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Steuerhinterziehung nicht Gegenstand der mit der Anklageschrift angeklagten Tat gewesen. Die Anklage umfasst den Zeitraum zwischen dem 14.03.2005 und dem 31.08.2006 und schildert im Anklagesatz ein Geschehen, das mit dem Bemühen des Angeklagten G. um die Gewährung eines Kredits eingeleitet wird und mit dem Verzicht vom 31.08.2006 sein Ende findet. Das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, auf das zur Konkretisierung der angeklagten Tat zurückgegriffen werden darf3, enthält zu einer möglichen Steuerhinterziehung ebenfalls nichts.
Nach den Urteilsgründen liegt die abgeurteilte Steuerhinterziehung zeitlich nach diesem Zeitraum. Weder im Anklagesatz noch im wesentlichen Ermittlungsergebnis finden sich Hinweise darauf, dass das Geschehen um die Gewährung des Darlehens und den Verzicht vom 31.08.2006 auf dessen Rückzahlung auch ein steuerstrafrechtlich tatbestandsmäßiges Verhalten zum Nachteil des Fiskus durch eine unterlassene oder unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung beim zuständigen Finanzamt mit der Folge einer Steuerverkürzung oder Steuervergütung sein könnte. Nach den für die Beurteilung des einheitlichen Lebensvorgangs maßgeblichen Kriterien der Identität des Geschädigten, des Tatortes sowie der Tatzeit liegt der abgeurteilte Sachverhalt außerhalb des durch Anklage und Eröffnungsbeschluss umgrenzten Verfahrensgegenstands.
Eine so enge innere Verknüpfung zwischen der angeklagten Untreue bzw. der Beihilfe hierzu und der abgeurteilten Steuerhinterziehung bzw. der Beihilfe hierzu, dass eine getrennte Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde, ist nicht vorhanden. An die Untreue knüpft die Umsatzsteuerhinterziehung zum Vorteil der K. GmbH nur insoweit an, als die Untreue den Umsatz erzeugt, aus dem später ein steuerlicher Vorteil gezogen werden soll. Eine nach der Lebensauffassung untrennbare Einheit bilden beide Vorgänge aber nicht. Der Tatbegriff des § 264 StPO knüpft an einen bestimmten historisch abgrenzbaren Lebensvorgang an und nicht an das strafbare Verhalten eines Täters, das dieser in verschiedenen Handlungsvorgängen hinsichtlich eines Tatobjektes begangen haben kann4. Die Untreue und die Steuerhinterziehung sind nach Ort, Zeit, Tatumständen und hinsichtlich des verletzten Rechtsguts derart gegeneinander abgegrenzt, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise keinen einheitlichen geschichtlichen Geschehensablauf darstellen.
Für einen inneren Zusammenhang reicht es nicht aus, dass die Steuerhinterziehung möglicherweise als zusätzliches Indiz für eine Untreue herangezogen werden könnte. Eine einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO wird bei sachlichrechtlich mehreren selbstständigen Handlungen nicht schon dadurch geschaffen, dass eine Handlung zum Beweis der Täterschaft bei einer anderen dient oder dass sie aus sonstigen Gründen, etwa zum besseren Verständnis, in der Anklage miterwähnt wird5.
Vorsorglich weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass verjährungsunterbrechende Maßnahmen wegen des Tatvorwurfs der Untreue allein nicht geeignet sind, die Verjährung im Hinblick auf eine mögliche Steuerhinterziehung wirksam nach § 78c StGB zu unterbrechen; denn auch insoweit ist zu beachten, dass es sich nicht um einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang im prozessrechtlichen Sinne handelt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 296/16
- BGH, Beschluss vom 20.12 1995 – 5 StR 412/95, NStZ 1996, 563, 564 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 18.12 2012 – 1 StR 415/12, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2010 – 4 StR 433/09, wistra 2010, 219 f. mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 29.09.1987 – 4 StR 376/87, BGHSt 35, 60, 64[↩]
- BGH, Urteil vom 05.11.1969 – 4 StR 519/68, BGHSt 23, 141, 146[↩]