Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen – und die Erklärungspflicht

Die steuerrechtliche Erklärungspflicht ist ein besonderes persönliches Merkmal bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen.

Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen – und die Erklärungspflicht

Gemäß § 28 Abs. 1 StGB ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn bei dem Teilnehmer besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Die Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist – insoweit ändert der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung – ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird zwischen täterbezogenen persönlichen Merkmalen, die als besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB behandelt werden, und tatbezogenen persönlichen Merkmalen, auf welche die Vorschrift keine Anwendung findet, unterschieden1.

Die Abgrenzung hängt davon ab, ob das betreffende Merkmal im Schwergewicht die Tat oder die Persönlichkeit des Täters kennzeichnet2. Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben, sind in der Regel tatbezogen3. Subjektive Umstände, wie die Absicht bei § 242 StGB, können tatbezogen sein, wenn sie das Bild der Tat prägen4. Objektive Umstände, wie die Vermögensbetreuungspflicht in § 266 StGB5, die Arbeitgebereigenschaft bei § 266a StGB6 sowie die für die täterschaftliche Begehung des § 283 StGB erforderliche Pflichtenstellung als Schuldner7, können täterbezogen sein, wenn sie eine besondere Pflichtenstellung höchstpersönlicher Art umschreiben. Die Einordnung erfolgt unter Beachtung der Schutzrichtung des jeweiligen Straftatbestandes8.

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Im Bereich der durch Pflichten gekennzeichneten Merkmale ist für die Abgrenzung letztlich maßgeblich, welche Art von Pflicht das Merkmal umschreibt9. Umschreibt es eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht, wird eher die Persönlichkeit des Täters gekennzeichnet, ist das Merkmal täterbezogen. Handelt es sich dagegen um ein strafrechtliches, an Jedermann gerichtetes Gebot, wird eher die Tat gekennzeichnet, ist das Merkmal tatbezogen10.

An diesen Grundsätzen hält der Bundesgerichtshof fest. Für die von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug genommene Pflichtenlage legt der Bundesgerichtshof diese allerdings – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung11 – dahingehend aus, dass für das auf eine außerstrafrechtliche Pflicht rekurrierende Straftatmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ maßgeblich ist, dass es im Einzelfall eine besondere Pflichtenstellung des Täters beschreibt und damit ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist12. Dabei können sich Offenbarungspflichten sowohl aus den gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten wie auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen13. Den Verpflichteten trifft damit – ungeachtet dessen, dass die steuerrechtlichen Erklärungsvorschriften potentiell viele treffen können – im konkreten Fall jedenfalls eine Sonderpflicht, die – ebenso wie die Pflichtenstellung eines Schuldners in § 283 StGB – höchstpersönlicher Art ist14. Denn das tatbestandliche Unrecht der verwirklichten Tat ergibt sich im Vergleich zu anderen Straftatbeteiligten aus der im Rahmen von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erforderlichen Erklärungspflicht, die die besondere soziale Rolle des Täters in Bezug auf die von der Vorschrift geschützten Rechtsgüter kennzeichnet15.

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Für den Teilnehmer, der betreffend den jeweiligen Steuervorgang kein Adressat der besonderen Pflichten ist und der sich damit in keiner Vertrauensposition mit Bezug zu strafrechtlich geschützten Rechtsgütern befindet, legt dies die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nahe16.

Bei einem Gehilfen, der im Zeitpunkt der Gehilfenhandlung nicht selbst zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist – wovon das Landgericht hier offensichtlich ausgegangen ist –, ist schon bei der Prüfung, ob ein besonders schwerer Fall i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 1 AO gegeben ist, der vertypte Milderungsgrund des § 28 Abs. 1 StGB alleine oder im Zusammenhang mit dem des § 27 StGB in den Blick zu nehmen. Verbraucht der Tatrichter den oder die Milderungsgründe der §§ 27, 28 StGB nicht durch das Absehen vom Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 2 StPO, ist eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu gewähren, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen Fehlens der Erklärungspflicht Beihilfe statt Täterschaft angenommen17. Hat dagegen das Gericht die Art und Weise des Tatbeitrags zum Anlass genommen, den Angeklagten lediglich wegen Beihilfe zu verurteilen, hätte es eine weitere Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB beachten müssen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17

  1. vgl. BGH, Urteile vom 29.09.1993 – 2 StR 336/93, BGHSt 39, 326, 327 f.; und vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 f. mwN[]
  2. st. Rspr.; BGH, Urteile vom 29.09.1993 – 2 StR 336/93, BGHSt 39, 326, 328; und vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 f. mwN; Beschluss vom 22.01.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 117 f.[]
  3. BGH, Urteil vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 2 mwN[]
  4. BGH, Urteil vom 20.05.1969 – 5 StR 658/68, BGHSt 22, 375, 380; Beschluss vom 14.07.2010 – 2 StR 104/10, BGHSt 55, 229, 232[]
  5. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.01.2015 – 4 StR 476/14, wistra 2015, 146 mwN; vom 25.10.2011 – 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316, 317; und vom 26.11.2008 – 5 StR 440/08, NStZ-RR 2009, 102[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 25.10.2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 222; vom 14.06.2011 – 1 StR 90/11, wistra 2011, 344, 346; und vom 08.02.2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155[]
  7. BGH, Beschlüsse vom 21.03.2018 – 1 StR 423/17, wistra 2018, 437, 438; und vom 22.01.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 118[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 5 mwN[]
  9. BGH, Urteil vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 4 f.[]
  10. BGH, Urteil vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 4 f. mwN; Beschluss vom 22.01.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 117 f.[]
  11. BGH, Urteil vom 25.01.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1; bestätigt durch Beschluss vom 08.02.2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155; vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 231; Beschluss vom 25.10.2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 223[]
  12. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 227 mwN; Beschlüsse vom 23.08.2017 – 1 StR 33/17, NStZ-RR 2018, 16, 18; und vom 14.04.2010 – 1 StR 105/10[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 227; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 Rn. 236 ff.[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 117 f.[]
  15. vgl. entsprechende Ansätze zur Manifestation der höchstpersönlichen Pflichtenbindung bei Vogler, LangeFS 1976, S. 265 ff.: als Kehrseite aus der Verletzung von Vertrauen, das in die Erfüllung einer besonderen sozialen Rolle gesetzt wird; bei Hake, JR 1996, 162: aus einer erhöhten Verantwortung des Täters und bei Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 28 Rn. 17: aus einer persönlichen Inpflichtnahme im Einzelfall[]
  16. vgl. Jäger in Klein, AO, 14. Aufl., § 370 Rn. 61d; Radtke, JuS 2018, 641, 646 mit Verweis auf die von Roxin entwickelten Leitlinien der Interpretation von § 28 StGB; ebenso NKStGBPuppe, 5. Aufl., § 28 Rn. 69; MünchKomm-StGB/Schmitz/Wulf, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 417; Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, 250. Lieferung, § 370 Rn. 109; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 369 Rn. 84; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 62. Lieferung, § 370 AO Rn. 125; Grunst, NStZ 1998, 548; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 233 ff.; a.A. Ranft, JZ 1995, 1186; Hake, JR 1996, 162; Cramer, WiB 1995, 525; LK/Schünemann, StGB, 12. Aufl., § 28 Rn. 5 ff.; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, 154. Lieferung, § 370 AO Rn. 181; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 54; Tipke/Lang/Seer, Steuerrecht, 23. Aufl., § 23 Rn. 26[]
  17. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.10.2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 222 mwN; vom 27.01.2015 – 4 StR 476/14, wistra 2015, 146 mwN; vom 22.01.2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 118 mwN; und vom 25.10.2011 – 3 StR 309/11, NStZ 2012, 630[]
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