Besonders schwere Steuerhinterziehung – und ihre Verjährung

Die Verjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist (§ 78a Satz 1 StGB). Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern – wie hier der Einkommensteuer – durch Unterlassen ist dies der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten im Veranlagungsbezirk für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat1.

Besonders schwere Steuerhinterziehung – und ihre Verjährung

Die Verjährungsfrist für diese Tat hat eine Länge von zehn Jahren.

Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, somit auch bei der Steuerhinterziehung (§ 370 AO), fünf Jahre. Nach § 376 Abs. 1 AO verlängert sich die Verjährungsfrist in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AO genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung auf zehn Jahre. Zwar ist § 376 Abs. 1 AO erst aufgrund Gesetzes vom 19.12 20082 in die Abgabenordnung aufgenommen worden. Gemäß Art. 97 § 23 EGAO gilt diese Vorschrift jedoch für alle bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen, mithin hier auch für die Hinterziehung der Einkommensteuer 2002.

Eine Steuerverkürzung tritt gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO schon dann ein, wenn eine Steuerfestsetzung nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig erfolgt. Nicht erforderlich ist der Eintritt eines endgültigen Vermögensverlustes beim Fiskus.

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Dies ist der Fall, wenn die für das betreffende Jahr geschuldete Einkommensteuer bis zum allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten mangels Erklärung nicht festgesetzt und damit verkürzt wurde.

Die Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO, wenn der Angeklagte in großem Ausmaß Steuern verkürzte (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO). Dies ist der Fall, wenn der Hinterziehungsbetrag die für die Annahme einer Verkürzung in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) maßgebliche Wertgrenze von 50.000 Euro3 übersteigt.

Der Umstand, dass das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bis zur Änderung durch Gesetz vom 21.12 20074 und damit zum Zeitpunkt der Tatbeendigung enger gefasst war – es enthielt noch das einschränkende Merkmal des Handelns aus grobem Eigennutz – steht der Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO nicht entgegen5. Maßgeblich ist allein, dass die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO erfüllt sind und die Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt war6.

Die Beanstandung, die absolute Verjährung sei im vorliegenden Fall bereits nach zehn Jahren und damit schon vor der am 27.10.2015 vom Bundesgerichtshof vollzogenen Änderung der Rechtsprechung zur Wertgrenze für die Steuerverkürzung in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) bei bloßem Unterlassen eingetreten, weil auch § 78b Abs. 4 StGB keine Anwendung finde, drang beim Bundesgerichtshof nicht durch:

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Zutreffend ist zwar, dass der Bundesgerichtshof bis zum Urteil vom 27.10.20157 für Fälle, in denen sich das Verhalten des Täters darauf beschränkte, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen, und in denen dies lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs führte, von einer Wertgrenze von 100.000 Euro für die Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß ausgegangen ist8.

Auch nach dieser – vom Bundesgerichtshof aufgegebenen – Rechtsprechung läge aber hier die Wertgrenze für das Vorliegen einer Steuerverkürzung in großem Ausmaß bei 50.000 Euro. Denn das Verhalten des Angeklagten beschränkte sich nicht darauf, den bestehenden Steueranspruch durch bloßes Verschweigen von Einkünften zu gefährden9. Vielmehr ließ der Angeklagte seine Honorare zur Verschleierung der steuerpflichtigen Einnahmen ganz überwiegend dem Konto seiner Mutter gutschreiben.

Die zehnjährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO fand hier daher unabhängig davon Anwendung, ob die für den Angeklagten abgeführten Lohnsteuerbeträge, die als Steueranrechnungsbeträge gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht im Festsetzungsverfahren, sondern erst im Steuererhebungsverfahren anzusetzen sind10; vom Landgericht schon bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs in Ansatz gebracht werden durften11. Auch auf die bislang vom Bundesverfassungsgericht verneinte Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtsprechungsänderungen im Strafrecht Anwendung finden kann12, kommt es hier somit nicht an.

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Angesichts des Laufs der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO ist im vorliegenden Fall auch die aufgeworfene Frage, ob seit der Einführung dieser Verjährungsnorm die das Ruhen der Verjährung nach Eröffnung des Hauptverfahrens anordnende Vorschrift des § 78b Abs. 4 StGB auf jegliche Fälle der Steuerhinterziehung – und damit auch auf nicht von § 376 Abs. 1 AO erfasste Taten – überhaupt noch anwendbar ist13, für die Entscheidung ohne Bedeutung.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 1 StR 172/16

  1. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 07.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138, 146 mwN; zur Tatvollendung vgl. auch BGH, Beschluss vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09, Rn. 77[]
  2. BGBl. I, 2794, 2828[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15, BGHSt 61, 28[]
  4. BGBl. I, 3198, 3209[]
  5. vgl. dazu Jäger in Klein, AO, 13. Aufl., § 376 Rn. 14b[]
  6. BGH, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 StR 73/13, NStZ 2013, 415 mwN[]
  7. BGH, Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15, BGHSt 61, 28[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 02.12 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 84 und Beschluss vom 15.12 2011 – 1 StR 579/11, BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 1 Großes Ausmaß 4; vgl. auch die weiteren Nachweise im Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15 Rn. 29, BGHSt 61, 28[]
  9. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15.12 2011 – 1 StR 579/11, BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 1 Großes Ausmaß 4[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 15.04.1997 – – VII R 100/96, BStBl. – II 1997, 787[]
  11. vgl. dazu Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 Rn. 67 und Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, Stand Oktober 2013, § 370 Rn. 230 ff.[]
  12. vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 16.05.2011 – 2 BvR 1230/10, BVerfGK 18, 430 sowie BGH, Beschluss vom 28.10.2011 – AnwZ [Brfg] 30/11, NJW-RR 2012, 189[]
  13. bejahend die g.h.M.; vgl. Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand November 2013, § 376 AO Rn.198; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 376 AO Rn. 98; Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand Juni 2009, § 376 AO Rn. 174; abweichend lediglich für Fälle, die von § 376 Abs. 1 AO erfasst werden Mitsch, NZWiSt 2015, 8, 13 und Mosbacher, Steueranwalt 2009/2010 S. 131, 146[]
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