Das Unterlassen bei der Erwerbsbesteuerung – und die Steuerhinterziehung

Die Versagung der Umsatzsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung nach den Grundsätzen des EuGH, Urteils „R“ setzt voraus, dass der Lieferer sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung des Erwerbers beteiligt. Das gilt auch für ein innergemeinschaftliches Verbringen i.S. von § 6a Abs. 2, § 3 Abs. 1a UStG.

Das Unterlassen bei der Erwerbsbesteuerung – und die Steuerhinterziehung

Gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a UStG) steuerfrei. Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstands (§ 6a Abs. 2, § 3 Abs. 1a UStG). Dabei hat der Unternehmer die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 und 2 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV beleg- und buchmäßig nachzuweisen1.

Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung auf Art. 131 und 138 MwStSystRL. Gemäß Art. 131 MwStSystRL wird auch die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung „unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen“. Nach Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.

Weiterlesen:
Telekom-Bonusaktien und die Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung

Dass die Klägerin ihren Nachweispflichten nach §§ 17a ff. UStDV nicht nachgekommen ist, steht der Steuerbefreiung nicht entgegen. Die Nachweispflichten gemäß §§ 17a, 17c UStDV sind keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat2. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind3.

Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen Nachweise nicht erbracht hat. Dasselbe gilt für die innergemeinschaftliche Lieferung in Gestalt des innergemeinschaftlichen Verbringens (§ 6a Abs. 2 UStG).

Da feststeht, dass die Klägerin die Yacht A in das übrige Gemeinschaftsgebiet verbracht hat, steht es der Steuerbefreiung nach § 6a Abs. 2 UStG nicht entgegen, dass die Klägerin keine Nachweise i.S. der §§ 17a ff. UStDV vorgelegt hat. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 2 UStG sind erfüllt.

Der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. dem innergemeinschaftlichen Verbringen gemäß § 6a Abs. 1 und 2 UStG im Inland steht spiegelbildlich die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsland gegenüber (§ 1a Abs. 1 und 2 UStG). Die innergemeinschaftliche Lieferung eines Gegenstands und sein innergemeinschaftlicher Erwerb sind ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang, auch wenn dieser sowohl für die an dem Geschäft Beteiligten als auch für die Finanzbehörden der betreffenden Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechte und Pflichten begründet4. Daher wird durch § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 UStG die Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Verbringens unter anderem davon abhängig gemacht, dass der Erwerb des verbrachten Gegenstands beim Abnehmer, der in diesem Fall mit dem Lieferer identisch ist, den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt.

Weiterlesen:
Innergemeinschaftliche Lieferungen auch ohne Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

Der mit dem Verbringen der Yacht A einhergehende innergemeinschaftliche Erwerb in Spanien unterlag aber gemäß den mit Art. 2 Abs. 1 Buchst. b, Art.20 MwStSystRL korrespondierenden Vorschriften spanischen Rechts grundsätzlich der dortigen Erwerbsbesteuerung, so dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung setzt auch nicht voraus, dass der innergemeinschaftliche Erwerb in dem anderen Mitgliedstaat tatsächlich besteuert worden ist5.

Allerdings kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach Art. 131 MwStSystRL6 zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen, wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen zwar tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen7. Dasselbe gilt, wenn eine Steuerhinterziehung des Erwerbers vorliegt und der Lieferer nicht in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt8.

Ob diese Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sind, kann der Bundesfinanzhof aufgrund der vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Die Feststellung, dass die Klägerin durch ihre Vorgehensweise die Erwerbsbesteuerung in Spanien dadurch vermieden hat, dass sie sich dort weder umsatzsteuerlich hat registrieren lassen noch den innergemeinschaftlichen Erwerb der Yacht A angezeigt hat, reicht hierfür nicht aus. Allein dieses Unterlassen ist der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung wie in dem dem EuGH, Urteil „R“ in Slg. 2010, I-12605 zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im Fall „R“ lag eine Steuerhinterziehung des Erwerbers vor und der Lieferer hatte bei der Lieferung die Identität des Erwerbers verschleiert, um diesem die Steuerhinterziehung zu ermöglichen. Das heißt, der Lieferer hatte sich zielgerichtet, bewusst und gewollt an der Steuerhinterziehung beteiligt. Auch in dem dem EuGH, Urteil Mecsek-Gabona in UR 2012, 796 zugrunde liegenden Sachverhalt lag eine Steuerhinterziehung des Erwerbers vor. Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), derzufolge die Lieferung von Gegenständen an einen Abnehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S. des § 6a UStG darstellt, wenn der inländische Unternehmer in kollusivem Zusammenwirken mit dem Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhändler vortäuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen. Werden diese Lieferungen durch die inländischen Unternehmer gleichwohl als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklärt, macht der Unternehmer gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und verkürzt dadurch die auf die Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anfallende und von ihm geschuldete Umsatzsteuer9.

Weiterlesen:
Strafaussetzung zur Bewährung - und die Haftung für die verkürzten Steuern

Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. Mai 2014 – V R 34/13

  1. BFH, Urteil vom 25.04.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77, BStBl II 2013, 656[]
  2. BFH, Urteil vom 06.12 2007 – V R 59/03, BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57[]
  3. BFH, Urteile vom 14.11.2012 – XI R 17/12, BFHE 239, 516, BStBl II 2013, 407; vom 12.05.2009 – V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511; vom 12.05.2011 – V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957; vom 15.02.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188[]
  4. EuGH, Urteil vom 27.09.2007 – C-409/04, Teleos, Slg. 2007, I-7797 Rdnr. 23[]
  5. EuGH, Urteil Teleos in Slg. 2007, I-7797 Rdnrn. 69 ff.; BFH, Urteil in BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57[]
  6. Erster Satzteil von Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG[]
  7. EuGH, Urteil „R“ in Slg. 2010, I-12605 Rdnr. 55[]
  8. EuGH, Urteil vom 06.09.2012 – C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 Rdnrn. 48 ff.[]
  9. BGH, Beschluss vom 20.11.2008 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45[]