Hinterziehung französischer Biersteuer

Die Regelung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist gemäß § 370 Abs. 6 Satz 2 AO auf die französische Biersteuer anwendbar, weil es sich hierbei um eine harmonisierte Verbrauchsteuer, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet wird, handelt1.

Hinterziehung französischer Biersteuer

Für die Beförderung harmonisiert verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung zwischen mehreren Mitgliedstaaten ist aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 2008/118/EG sowie der Verordnungen (EG) Nr. 684/2009 sowie (EU) Nr. 389/2012 bzw. (EU) 2016/323 seit dem 1.04.2010 ein elektronisches Begleitverfahren zwingend vorgeschrieben, durch das die Wirtschaftsbeteiligten sowie die Behörden innerhalb der Europäischen Union zum Zwecke der Erleichterung der Durchführung des Steuerverfahrens elektronisch vernetzt wurden. Nach Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG gilt die Beförderung einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware nur dann als in einem Verfahren der Steueraussetzung durchgeführt, wenn sie mit einem elektronischen Verwaltungsdokument erfolgt.

Da es sich bei dem „Excise Movement and Control System“ (EMCS) folglich um eine EUweite elektronische Überwachung der verbrauchsteuerpflichtigen Warenbewegung unter Steueraussetzung und damit um ein einheitliches, länderübergreifendes Besteuerungsverfahren handelt2, liegt es in der Natur der Sache, dass auch ein in einem anderen Mitgliedstaat eingetretener Verkürzungserfolg für die Steuerhinterziehung durch Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung in Deutschland nach § 370 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AO von Bedeutung ist, ohne dass es hier der Anwendung des § 370 Abs. 7 AO bedarf.

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Eine nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begangenen Hinterziehung von französischer Biersteuer kann etwa durch vorsätzlich unrichtige Meldung des Empfangs des zuvor in Frankreich dem Steueraussetzungsverfahren entnommenen und im EMCS unzutreffend zur Lieferung nach Deutschland gemeldeten Bieres erfolgen.

Diese Tathandlungen in Form der jeweiligen Eingangsmeldung bei den deutschen Zollbehörden sind hinsichtlich der jeweils handelnden Personen, der Tatzeit, des Tatorts und des Bezugsgegenstands hinreichend bestimmt. Auf die konkreten Umstände der Überführung der jeweiligen Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr in Frankreich kommt es in der vorliegenden Fallkonstellation nicht an. Vielmehr reicht insoweit die Feststellung aus, dass es überhaupt in Frankreich zu einer Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr gekommen und damit die französische Biersteuer entstanden ist, die wegen der unrichtigen Eingangserklärungen in Deutschland zunächst nicht festgesetzt und damit verkürzt wurde.

Bei den unrichtigen Eingangsmeldungen handelt es sich um unrichtige Erklärungen über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Steuerlich erheblich ist eine Tatsache, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen wird und damit Grund und Höhe des Steueranspruchs oder Steuervorteils beeinflusst oder wenn sie die Finanzbehörde zur Einwirkung auf den Steueranspruch sonst veranlassen könnte3.

Dies sind alle Tatsachen, die für die Festsetzung (§§ 155 ff. AO), für die Selbstberechnung (§ 168 AO), für die Erhebung (§§ 218 ff. AO) oder Vollstreckung (§§ 249 ff. AO) der Steuer oder für das Gewähren oder Belassen eines Steuervorteils von Bedeutung sind4. Die unrichtigen Eingangsmeldungen im EMCS waren steuerlich erheblich, weil sie die Schließung des jeweils in Frankreich eröffneten Beförderungsvorgangs bewirkten, ohne dass die in Frankreich entstandene Biersteuer durch die französischen Behörden festgesetzt wurde.

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In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall unterlagen sämtliche Biermengen, die Gegenstand der festgestellten Versandverfahren sind, gemäß Art. 302 D I1.1, 302 G – I 3 CGI der französischen Biersteuer. Diese entsteht gemäß Art. 302 D I1.1 CGI mit der Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr, also insbesondere dann, wenn Bier einem Steueraussetzungsverfahren entnommen wird, ohne dass sich eine Beförderung unter Steueraussetzung anschließt. Das Landgericht hat diesbezüglich festgestellt, dass das in den elektronischen Verwaltungsdokumenten bezeichnete – tatsächlich existente und nach Großbritannien gelieferte – Bier in Frankreich aus dem Verfahren der Steueraussetzung entnommen wurde. Da das Bier tatsächlich nicht an die vermeintliche Empfängerin in Deutschland versandt, sondern von vornur ein entsprechender Schein erzeugt wurde, schloss sich keine Beförderung unter Steueraussetzung an; vielmehr wurde das Bier mit der Entnahme aus dem Steuerlager der Kontrolle der Behörden entzogen, so dass der französische Biersteueranspruch entstand.

Von der Eingangsmeldung im ECMS hing es ab, ob der Beförderungsvorgang durch die französischen Zollbehörden ohne Beanstandung automatisiert beendet werden konnte oder ob betreffend das jeweils eröffnete elektronische Verwaltungsdokument in Frankreich entstandene Biersteuer – ggf. nach (erfolgloser) Kontaktaufnahme mit dem Versender – entsprechend den darin angegebenen Positionsdaten (vgl. Anhang I EMCSDVO EGVO Nr. 684/2009) festzusetzen war. Letzteres wäre nach Art. 302 P – II CGI spätestens vier Monate nach Eröffnung des Verfahrens über die Beförderung unter Steueraussetzung geschehen, wenn bis dahin weder das Verfahren abgeschlossen noch nachgewiesen worden wäre, dass die Versendung ordnungsgemäß erfolgt ist. Mit der Erklärung, das Bier sei ordnungsgemäß bei der vermeintlichen Empfängerin in Deutschland eingetroffen, wurde wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass die Beförderung unter Steueraussetzung ordnungsgemäß abgeschlossen sei. Die französischen Behörden mussten daher unzutreffend davon ausgehen, dass keine französische Biersteuer entstanden war.

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Die unrichtigen Erklärungen wurden auch gegenüber Behörden im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO abgegeben; denn die Eingangsmeldungen gingen zunächst – wie im EMCS vorgesehen – an die deutschen Zollbehörden, die gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 5 AO Finanzbehörden im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sind. Diese leiteten die Eingangsmeldungen an die französischen Behörden (Abgangsmitgliedstaat) weiter, bei denen es sich aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 370 Abs. 15 AO auf ausländische Abgaben durch § 370 Abs. 6 AO ebenfalls um Finanzbehörden im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt5.

Durch die unrichtigen Eingangsmeldungen wurde die jeweils entstandene französische Biersteuer nach § 370 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO in Höhe von insgesamt 5.632.901, 70 Euro zum Nachteil des französischen Fiskus (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) verkürzt, weil die Steuer entgegen Art. 302 P – II CGI nicht (rechtzeitig) festgesetzt wurde6.

Zur Höhe der verkürzten Steuer kann unter Würdigung der Gesamtumstände sowie von Sinn und Zweck des Systems der fiktiven Bierlieferungen bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise nur der einzig naheliegende Schluss gezogen werden, dass die jeweils zum EMCS angemeldeten und als bei der vermeintlichen Empfängerin in Deutschland eingegangen bestätigten Biermengen (zumindest) denjenigen entsprachen, die zuvor französischen Steuerlagern zum angeblichen Transport zur deutschen Empfängerin entnommen worden waren. Die Möglichkeit, dass die in Frankreich entnommenen Mengen geringer waren als gegenüber den Zollbehörden im EMCS angegeben und daher in Frankreich eine geringere Steuerverkürzung eingetreten sein könnte, stellt sich als rein theoretisch dar und konnte daher außer Betracht bleiben, weil kein vernünftiger Grund erkennbar ist, warum in Deutschland größere Biermengen hätten erklärt und versteuert werden sollen als tatsächlich außerhalb des Steueraussetzungsverfahrens in Verkehr gebracht.

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Der Verkürzungserfolg entfällt auch nicht deshalb, weil die französische Biersteuer bereits durch Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager durch die Versender entstanden ist und von diesen zu erklären bzw. zu entrichten gewesen wäre, mithin die Steuer zugunsten der französischen Steuerlagerbetreiberinnen als Steuerschuldner (vgl. Art. 302 D 21 CGI) verkürzt wurde.

Da es sich bei dem Straftatbestand der Steuerhinterziehung um ein Erfolgsdelikt, jedoch nicht notwendig um ein Verletzungsdelikt handelt, weil für eine Steuerverkürzung die zu niedrige oder verspätete Festsetzung von Steuern, also eine Gefährdung des Steueranspruchs genügt (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO), ist auch eine mehrfache Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges denkbar, wie es vorliegend in Frankreich und Deutschland der Fall war7.

Die Tathandlungen der einzelnen Beteiligten stellen sich dabei in der vorliegenden Gesamtorganisation des Systems der Biersteuerhinterziehung als eigene tatbestandsmäßige Hinterziehungshandlungen dar.

Über die eigenhändige Bedienung der maßgeblichen Software kommunizierten die Haupttäter im EMCS selbständig und frei mit den Zollbehörden, so dass sie die alleinige Tatherrschaft (§ 25 Abs. 1 StGB) über die insoweit maßgeblichen Tathandlungen – die Abgabe von unrichtigen elektronischen Eingangsmeldungen – hatten8.

Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) kann auch derjenige sein, der durch unrichtige Angaben auf ein steuerliches Verfahren Einfluss nimmt9. Denn der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist kein Sonderdelikt und setzt nicht die Eigenschaft als Steuerpflichtiger voraus10.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. April 2020 – 1 StR 224/19

  1. vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2008/118/EG; Abschnitt I, Art. 1 und 2 der Richtlinie 92/83/EWG und Art. 2 der Richtlinie 92/84/EWG; BGH, Beschluss vom 20.11.2013 – 1 StR 544/13; Klein/Jäger, AO, 14. Aufl., § 370 Rn. 158[]
  2. zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten vgl. ergänzend VO (EU) 2016/323 bzw. VO (EU) Nr. 389/2012[]
  3. BGH, Urteil vom 27.09.2002 – 5 StR 97/02 Rn.20 mwN[]
  4. Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 Rn. 186; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 65. Lfg., § 370 Rn. 231[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.11.2013 – 1 StR 544/13; und vom 08.11.2000 – 5 StR 440/00 Rn. 3; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 253. Lfg., § 370 Rn. 121; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 Rn. 45[]
  6. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018 – 1 StR 642/17, BGHSt 63, 203 Rn. 12[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2017 – 1 StR 447/14 Rn. 79 [insoweit in BGHSt 63, 29 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 07.07.1993 – 5 StR 212/93 Rn. 6[]
  8. BGH, Urteil vom 05.09.2017 – 1 StR 198/17 Rn. 21 mwN[]
  9. BGH, Urteile vom 05.09.2017 – 1 StR 198/17 Rn.20 mwN; und vom 06.06.2007 – 5 StR 127/07 Rn. 17, BGHSt 51, 356, 359 mwN[]
  10. vgl. BGH aaO[]
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