Der Rechtshilfeverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vollzieht sich im Wesentlichen auf der Grundlage des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (Europäisches Rechtshilfeübereinkommen)1. Die Vertragsparteien sind grundsätzlich verpflichtet, sich einander in allen strafrechtlichen Verfahren, die von Justizbehörden des ersuchenden Staates ausgehen, so weit wie möglich Rechtshilfe zu leisten (Art. 1 EuRHÜbk). Die Rechtshilfe kann jedoch ausnahmsweise verweigert werden, wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchten Staat als fiskalische strafbare Handlungen angesehen werden (Art. 2 Buchstabe a EuRHÜbk). Darunter sind Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen zu verstehen2. Von diesem Recht macht die Schweizerische Eidgenossenschaft Gebrauch, da eine Handlung, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint, nach schweizerischem Recht mit Ausnahme des Abgabebetrugs nicht rechtshilfefähig ist3.

Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat in Bezug auf Art. 2 EuRHÜbk einen Vorbehalt erklärt. Danach behält sie sich unter anderem das Recht vor, Rechtshilfe nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Spezialität zu leisten. Dies bedeutet, dass die durch Rechtshilfe erhaltenen Informationen im ersuchenden Staat in Strafverfahren wegen Taten, bei denen Rechtshilfe in der Schweizerischen Eidgenossenschaft nicht zulässig ist, nicht verwendet werden dürfen. Unabhängig von der Bedingung der Spezialität darf der ersuchende Staat allerdings die durch Rechtshilfe erhaltenen Informationen weiter verwenden, wenn die Tat, auf die sich das Ersuchen bezieht, einen anderen Straftatbestand darstellt, für den Rechtshilfe in der Schweizerischen Eidgenossenschaft zulässig wäre oder wenn sich das Strafverfahren des ersuchenden Staates gegen andere Personen richtet, die an der strafbaren Handlung teilgenommen haben4.
Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren5. Es enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote6, sondern bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dabei ist es zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, das Recht auf ein faires Verfahren auszugestalten. Er kann dabei zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung der grundgesetzlichen Anforderungen wählen. Er kann Rechtsfolgen ihrer Verletzung normieren (vgl. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO), muss dies aber nicht, da lückenfüllend das Recht auf ein faires Verfahren zur Anwendung gelangt7. Daneben kann das Recht auf ein faires Verfahren auch durch Völkergewohnheitsrecht und völkerrechtliche Verträge ausgestaltet werden8. Ist eine völkerrechtliche Norm in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen, sind die deutschen Gerichte gemäß Art. 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden9. Die innerstaatliche Geltung von völkerrechtlichen Verträgen setzt hingegen einen durch Bundesgesetze im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG erteilten innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl voraus10. Liegt ein solcher vor, müssen deutsche Gerichte völkerrechtliche Verträge wie andere Bundesgesetze im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung beachten und anwenden11.
Das Recht auf ein faires Verfahren wird vorliegend durch § 72 IRG konkretisiert, da die Bedingung der Spezialität im Bereich der sonstigen Rechtshilfe (anders als im Bereich der Auslieferung12 keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangt hat13. Die Bedingung der Spezialität ergibt sich auch nicht unmittelbar aus dem Europäischen Rechtshilfeübereinkommen mit der Folge, dass sie bereits nach Art. 59 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG innerstaatlich zu beachten wäre. Der von der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Bezug auf Art. 2 EuRHÜbk erklärte Vorbehalt ändert das Europäische Rechtshilfeübereinkommen zwar nach Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 WVK zwischen der Schweizerische Eidgenossenschaft und den übrigen Vertragsstaaten inhaltlich in der Weise, wie es in dem Vorbehalt vorgesehen ist14. Der schweizerische Vorbehalt legt die Bedingung der Spezialität aber nicht ausdrücklich fest, sondern ermöglicht der Schweizerischen Eidgenossenschaft nur, die sonstige Rechtshilfe an die Bedingung der Spezialität zu knüpfen. Die Bewilligung der sonstigen Rechtshilfe durch die Schweizerische Eidgenossenschaft ist damit nicht per se mit der Bedingung der Spezialität verknüpft, sondern die Bedingung der Spezialität muss bei jeder einzelnen Bewilligung eigens von den zuständigen schweizerischen Behörden gesetzt werden15.
Nach § 72 IRG sind Bedingungen, die der ersuchte Staat an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten. Ohne § 72 IRG wäre die von einem ersuchten Staat bei der Bewilligung deutscher Rechtshilfeersuchen gesetzte Bedingung regelmäßig nur eine völkerrechtliche Verpflichtung, deren Beachtung von den deutschen Gerichten mangels innerstaatlicher Geltungsanordnung nicht gewährleistet wäre16.
Die Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren erfolgt nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern auch durch die Fachgerichtsbarkeit. Letzterer kommt die Aufgabe zu, den Schutzgehalt der jeweils in Frage stehenden Verfahrensnorm und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Deutsche Gerichte leiten auf der Grundlage der vom ersuchten Staat gesetzten Bedingungen aus § 72 IRG ein Verfahrens- bzw. Vollstreckungshindernis bei Auslieferungen17 und ein Beweisverwertungsverbot bei sonstiger Rechtshilfe18 ab.
Da die Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen wie § 72 IRG grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit ist, kann sie vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen19. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des betroffenen Grundrechts führt20. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für das Recht auf ein faires Verfahren angenommen, wenn die Fachgerichte den Schutzgehalt einer verletzten Verfahrensnorm verkannt oder die weiteren Voraussetzungen für die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise überspannt haben21.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Juni 2010 – 2 BvR 432/07 und 2 BvR 507/08
- BGBl 1964 II S. 1369, 1386; BGBl 1976 II S. 1799[↩]
- vgl. Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., III. A 3.1 „Europäisches Rechtshilfeübereinkommen“, Rn. 7, November 1992[↩]
- vgl. Art. 3 Abs. 3 des schweizerischen Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (SR 351.1) [↩]
- vgl. insoweit auch Art. 67 Abs. 2 des schweizerischen Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen[↩]
- vgl. BVerfGE 26, 66, 71; 38, 105, 111; 40, 95, 99; 65, 171, 174; 66, 313, 318; 77, 65, 76; 86, 288, 317[↩]
- vgl. BVerfGE 63, 45, 61[↩]
- vgl. BVerfGK 9, 174, 188[↩]
- vgl. BVerfGK 9, 174, 189[↩]
- vgl. BVerfGE 112, 1, 27[↩]
- vgl. BVerfGE 90, 286, 364; 104, 151, 209[↩]
- vgl. BVerfGE 111, 307, 317[↩]
- vgl. BVerfGE 57, 9, 27 f.[↩]
- vgl. Schultz, Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 96 (1984), 595, 613 f.; Böse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 (2002), 148, 174[↩]
- vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 14 Rn. 10[↩]
- vgl. Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, S. 139[↩]
- vgl. Vogler/Walter, in: Grützner/Pötz/Kreß, a.a.O., § 72 IRG Rn. 1[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.07.1999 – 1 AR 34/99, NStZ 1999, 639; OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.09.2003 – 1 Ws 363/03, NStZ 2004, 405[↩]
- BFH, Urteil vom 21.06.1989 – X R 20/88, NJW 1990, S. 2492, 2493; vgl. auch BGHSt 34, 334, 341, 344[↩]
- vgl. BVerfGE 99, 145, 160[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f., 96; 85, 248, 258 f.; 87, 287, 323[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.1995 – 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555[↩]