Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss sind1.

Ist eine konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich und kommen ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht, darf das Tatgericht die Besteuerungsgrundlagen gestützt auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen2. Da es sich bei der Anwendung der Richtsätze aber um ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt3, müssen auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden.
Deshalb muss sich das Tatgericht bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz zwar einerseits nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben4. Soweit Zweifel verbleiben, darf das Tatgericht aber andererseits auch nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen5. Auch bei Zugrundelegung des Mittelsatzes aus der amtlichen Richtsatzsammlung muss das Tatgericht daher in den Urteilsgründen ausführen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen es davon überzeugt ist, dass es sich um einen Betrieb handelt, bei dem jedenfalls dieser Mittelsatz erreicht ist. Zwar handelt es sich bei dem Mittelsatz um das gewogene Mittel aus den geprüften Betrieben einer Gewerbeklasse6, weshalb die Anwendung der Mittelsätze bei der Schätzung nach Richtsätzen im Allgemeinen zu dem Ergebnis führt, dass die Schätzung mit der größten Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommt7. Auch die Richtsatzsammlung geht aber davon aus, dass ein Abweichen durch besondere betriebliche oder persönliche Verhältnisse begründet sein kann8. Da die in der Richtsatzsammlung enthaltenen Rohgewinnaufschlagsätze auf bundesweite Prüfungsergebnisse zurückgehen, muss das Tatgericht deshalb bei Anwendung der Richtsatzsammlung für die Schätzung im Strafprozess erkennen lassen, dass es die örtlichen Verhältnisse und – soweit vorhanden – die Besonderheiten des Gewerbebetriebes in den Blick genommen hat.
Der Tatrichter muss bei Zugrundelegung eines Mittelsatzes aus der amtlichen Richtsatzsammlung seine Überzeugung begründen, aus welchen Umständen er geschlossen hat, dass es sich um einen Betrieb handelt, bei dem jedenfalls dieser Mittelwert erreicht ist9.
Der Tatrichter darf zwar aufgrund der mangelhaften Buchführung seine Überzeugung aufgrund eigener Schätzung bilden10. Allerdings muss er in diesem Fall in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, dass keine konkretere und damit genauere Schätzungsmethode zur Verfügung steht als die pauschale Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen11.
Erst wenn sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze von vorneherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich erweist, kann pauschal geschätzt werden12. Denn soweit Tatsachen zur Überzeugung des Tatrichters feststehen, hat er diese der Schätzung zugrunde zu legen11. Da es sich bei der Anwendung der Richtsätze um ein verhältnismäßig grobes Schätzungsverfahren handelt, muss sich die Schätzung soweit wie möglich an den feststellbaren Daten des konkreten Einzelfalls orientieren.
Ist eine konkrete Ermittlung oder Schätzung nach dem Vorgesagten nicht möglich, darf der Tatrichter überdies nicht lediglich einen wahrscheinlichen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen (§ 261 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2016 – 1 StR 523/15 Rn.20, NStZ 2016, 728). Er muss daher auch bei Zugrundelegung des Mittelsatzes aus der amtlichen Richtsatzsammlung seine Überzeugung begründen, welche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich um einen Betrieb handelt, bei dem jedenfalls dieser Mittelsatz erreicht ist.
Maßgeblich für die Bestimmung der Höhe verdeckter Gewinnausschüttungen ist der Betrag, der dem Gesellschafter im Rahmen der verdeckten Gewinnausschüttung zugeflossen ist13.
Im Hinblick auf die Bestimmung der Höhe eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils im Sinne von § 370 Abs. 1 AO können nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 02.11.201014 die steuerlichen Auswirkungen eines festgestellten Verlustes im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung erlangen. Hierzu bedarf es gegebenenfalls Feststellungen zum Verlustabzug gemäß § 10d EStG.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 1 StR 505/16
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 06.04.2016 – 1 StR 523/15, NStZ 2016, 728; vom 29.01.2014 – 1 StR 561/13, wistra 2014, 276; vom 04.02.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1992, 147; und vom 10.09.1985 – 4 StR 487/85, wistra 1986, 65[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 06.04.2016 – 1 StR 523/15, NZWiSt 2016, 354; und vom 29.01.2014 – 1 StR 561/13, NStZ 2014, 337; Urteil vom 28.07.2010 – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233; Beschluss vom 24.05.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 26.04.1983 – – VIII R 38/82, BFHE 138, 323, BStBl – II 1983, 618; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Januar 2017, § 162 AO, Rn. 56; Buciek in: Beermann/Gosch, AO/FGO, Stand: 1.07.2010, § 162 AO 1977, Rn. 143[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – 1 StR 561/13, NStZ 2014, 337; Urteil vom 28.07.2010 – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2016 – 1 StR 523/15 Rn.20, NStZ 2016, 728[↩]
- vgl. Richtsatzsammlung für das Kalenderjahr 2015 Rn. 6[↩]
- vgl. Richtsatzsammlung für das Kalenderjahr 2015 Rn. 10.02.1[↩]
- Richtsatzsammlung für das Kalenderjahr 2015 aaO[↩]
- BFH, Urteile vom 12.09.1990 – – I R 122/85, BFH/NV 1991, 573; und vom 02.02.1982 – – VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl – II 1982, 409[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 28.07.2015 – 1 StR 602/14, NZWiSt 2016, 26; vom 06.10.2014 – 1 StR 214/14, NZWiSt 2015, 108; und vom 29.01.2014 – 1 StR 561/13, wistra 2014, 276; Urteil vom 28.07.2010 – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233; Beschluss vom 24.05.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.04.2016 – 1 StR 523/15, NStZ 2016, 728[↩][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2014 – 1 StR 561/13, wistra 2014, 276; Urteil vom 28.07.2010 – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233; Beschluss vom 24.05.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345[↩]
- BFH, Urteile vom 19.06.2007 – – VIII R 54/05, BFHE 218, 244, BStBl – II 2007, 830; und vom 20.08.2008 – – I R 29/07, BFH/NV 2008, 2133[↩]
- BGH, Beschluss vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294[↩]