Schmuggel-Zigaretten – und ihre Einziehung beim Erwerbshehler

Unversteuerte Zigaretten unterfallen bei der Tatvariante der Erwerbshehlerei („Sichverschaffen“, § 374 Abs. 1 Variante 1 AO, mit der Untervariante des „Ankaufens“) als Tatertrag der Vorschrift des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB.

Schmuggel-Zigaretten – und ihre Einziehung beim Erwerbshehler

An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof fest1.  Im Einzelnen gilt:

Zwischen Tatertrag und Tatobjekt ist im Wege einer tatbestandsspezifischen Wertung nach Maßgabe des geschützten Rechtsguts der einschlägigen Strafvorschrift zu differenzieren2. „Ertrag“ im Sinne der §§ 73 ff. StGB ist der „wirtschaftlich messbare“, mithin geldwerte Vorteil, den der Täter durch die Straftat seinem Vermögen – und sei es nur vorübergehend – einverleibt3.

Nach diesen Grundsätzen sind die Zigaretten ohne Steuerzeichen für den Erwerbshehler – anders als etwa für den diese in das deutsche Steuergebiet verbringenden Steuerhinterzieher4 – Tatertrag.

Alle Fälle der steuerlichen Erwerbshehlerei sind gleich zu behandeln5. So unterliegt etwa Anlagegold, hinsichtlich dessen keine Einfuhrumsatzsteuer erklärt worden ist, beim Abnehmer ersichtlich als Tatertrag der Einziehung, ohne dass dies weiter zu begründen wäre6. Die fehlende Verkehrsfähigkeit von unversteuerten Zigaretten7 ist kein derart gravierender Unterschied zu verkehrsfähigen Waren, als dass eine abweichende einziehungsrechtliche Betrachtung geboten wäre.

Den unversteuerten Zigaretten kommt bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung ein messbarer Wert zu8. Die Erhebung der Tabaksteuer beim Verbringen von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das deutsche Steuergebiet setzt gerade die Werthaltigkeit der Zigaretten voraus; bei Wertlosigkeit wäre eine Verbrauchsteuerpflicht, die an den Kleinverkaufspreis anknüpft (§ 3 TabStG), nicht möglich. Nichts anderes gilt für die Erhebung von Zoll, Einfuhrumsatz- und Tabaksteuer als Einfuhrabgaben9. Bei der Zollschuld wird auf den Transaktionswert abgestellt (Art. 70 UZK). Auch die Einfuhrumsatzsteuer ist wertabhängig (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, § 11 Abs. 1 UStG; Art. 69 bis Art. 76 UZK).

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Für die Sachhehlerei (§ 259 Abs. 1 Variante 1 StGB) ist bereits entschieden, dass das vom Vortäter Erworbene Tatertrag ist10; das hat zur einheitlichen Handhabung beider Straftatbestände jedenfalls bei dieser Rechtsfrage auch für die Steuerhehlerei in der Tatvariante des Sichverschaffens zu gelten. Auch bei der Sachhehlerei kann, insbesondere wenn es sich bei der Vortat um einen Diebstahl handelt, § 935 BGB die Verkehrsfähigkeit der gehehlten Sache verhindern, was indes nichts an der Einordnung als Tatertrag ändert.

Der Einordnung als Tatertrag steht der Verweis des § 375 Abs. 2 Satz 2 AO auf § 74a StGB, der die Einziehung abweichend von § 74 Abs. 3 StGB zulässt, wenn das Tatobjekt nicht dem Einziehungsbetroffenen gehört, nicht entgegen. Dieser Inbezugnahme ist nicht die Anordnung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren stets als Tatobjekte dem Einziehungsregime der § 74 Abs. 2, §§ 74a ff. StGB unterfielen. Auch für § 375 Abs. 2 Satz 1 Variante 4 Nr. 1 AO, der die Steuerhehlerei erfasst, verbleibt ein sinnvoller Anwendungsbereich, namentlich und jedenfalls innerhalb der Tatbestandsvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 AO). So ermöglicht § 375 Abs. 2 Satz 1 Variante 4 Nr. 1, Satz 2 AO i.V.m. § 74a Nr. 1 StGB etwa die Einziehung in einem Lager sichergestellter Zigaretten in einem allein gegen einen Absatzhelfer geführten subjektiven Verfahren. Für diesen sind die Zigaretten Tatobjekte; er unterstützt den Vortäter beim Absetzen der Zigaretten, und zwar, da für den Steuerhinterzieher oder Erwerbshehler die Absatzbemühungen straflos sind11, als Täter. Zwar ist weder er noch der Erwerbshehler Eigentümer der Zigaretten. Letzterer hat deswegen nicht das Eigentum an den Zigaretten erworben, weil die Einigung mit dem Veräußerer über den Eigentumsübergang nach § 134 BGB unwirksam ist12. Jedoch hat der Veräußerer leichtfertig dazu beigetragen, dass die Zigaretten Tatobjekte wurden.

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Diesen gewichtigen Argumenten steht auch nicht entgegen, dass die Rechtsprechung Betäubungsmittel, denen unversteuerte Zigaretten insoweit jedoch einzig in der mangelnden Verkehrsfähigkeit ähneln, als Tatobjekte (§ 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 33 Satz 1 BtMG) des Handeltreibens bewertet13

Aus alledem folgt:

Beim Erwerbshehler sichergestellte Zigaretten sind nach § 73 Abs. 1 StGB einzuziehen. Sind die Zigaretten – aus welchem Grund auch immer – nicht mehr gegenständlich vorhanden, ist deren Wert nach § 73c Satz 1 Variante 2 StGB einzuziehen; der Wert ist anhand der Einkaufs- oder Verkaufspreise zu bestimmen und regelmäßig nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen14. Ist das vom Steuerhehler als Kaufpreis vereinnahmte Bargeld oder ein sonstiger als Gegenleistung erlangter Vermögensgegenstand sichergestellt worden, kann das Tatgericht diesen im Rahmen einer Ermessensentscheidung als Surrogat einziehen (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Ist das Bargeld oder der sonstige Vermögensgegenstand nicht mehr „vorhanden“, ist eine Einziehung des entsprechenden Nominalbetrages als Wertersatz ausgeschlossen, da das Gesetz eine Einziehung des Wertes des Surrogates nicht vorsieht (vgl. § 73c Satz 1 Variante 3 StGB: „oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Abs. 3 StGB […] abgesehen“; vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2018 – 3 StR 560/17, BGHR StGB § 73 Abs. 3 Nr. 1 Surrogat 1 Rn. 10). In diesen Fällen kommt ausschließlich die Einziehung des Wertes des ursprünglich Erlangten in Betracht, dessen Wert nach vorstehenden Grundsätzen nach § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen und nicht in jedem Fall identisch mit dem Wert des Surrogates ist.

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In der Hand des Verbringers sind die Zigaretten Tatobjekt. Denn der Steuerhinterzieher erlangt aus seiner Tat die Steuerersparnis. Gegen ihn ist die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der verkürzten Verbrauchsteuer anzuordnen, wenn sich die Tabaksteuerersparnis in seinem Vermögen niederschlägt (§ 370 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 AO, § 23 Abs. 1 TabStG aF; st. Rspr.;  BGH, Beschlüsse vom 23.07.2020 – 1 StR 78/20 Rn. 3, 10; und vom 22.10.2019 – 1 StR 199/19 Rn. 79; jeweils mwN). Die beim Verbringer sichergestellten Zigaretten unterliegen der Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 375 Abs. 2 Satz 1 Variante 1 Nr. 1 AO15.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. November 2023 – 1 StR 142/23

  1. vgl. auch BGH, Beschluss vom 05.04.2023 – 1 StR 49/23 Rn. 9 aE[]
  2. BGH, Beschluss vom 10.04.2017 – 4 StR 299/16, BGHSt 62, 114 Rn. 16 mwN; Urteil vom 15.06.2022 – 3 StR 295/21 BGHSt 67, 87 Rn. 13, 20 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 20.07.2022 – 3 StR 390/21 Rn. 1119; Beschluss vom 28.06.2022 – 3 StR 403/20 Rn. 3640[]
  3. BGH, Urteil vom 08.03.2023 – 1 StR 281/22 Rn.19; BT-Drs. 18/9525 S. 61 f.[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 22.10.2019 – 1 StR 199/19 Rn. 12; vom 23.08.2016 – 1 StR 204/16 Rn. 9 aE; und vom 11.05.2016 – 1 StR 118/16, BGHR StGB § 73 Erlangtes 21 Rn. 8 aE[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2023 – 1 StR 281/22 Rn. 23 zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 KWG[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 17.10.2023 – 1 StR 151/23 Rn. 31 [zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen][]
  7. dazu BGH, Urteile vom 28.07.2022 – 1 StR 470/21 Rn. 15; und vom 11.07.2019 – 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 11 mwN[]
  8. vgl. indes den Ausnahmefall in BGH, Beschluss vom 11.02.2020 – 1 StR 438/19 Rn. 7[]
  9. vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.06.2018 – 1 StR 282/17 Rn. 810; Beschlüsse vom 19.08.2009 – 1 StR 314/09, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 2 Rn. 4; und vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1 Rn. 13 f.[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018 – 4 StR 174/18 Rn.19; Beschluss vom 10.11.2020 – 5 StR 410/20[]
  11. BGH, Beschluss vom 22.09.2022 – 1 StR 233/22 Rn. 9 mwN[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – 1 StR 19/22 Rn. 9[]
  13. st. Rspr.; BGH, Urteil vom 02.11.2023 – 6 StR 160/23 Rn. 11; Beschluss vom 09.12.2020 – 5 StR 185/20 Rn. 3; jeweils mwN[]
  14. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 05.05.2021 – 1 StR 502/20 Rn. 8; Urteil vom 11.07.2019 – 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 29; je mwN[]
  15. BGH, Beschluss vom 22.10.2019 – 1 StR 199/19 Rn. 12 mwN[]
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