Der Bundesgerichtshof hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit nicht mehr fest, als bei mehreren Steuererklärungen deren Abgabe durch „eine körperliche Handlung“ gleichzeitig erfolgt. Das bloße zeitliche Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen, die rechtlich nicht miteinander verknüpft sind, in einem äußeren Akt kann Tateinheit i.S.v. § 52 StGB nicht begründen.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt im Hinblick auf die Konkurrenz das Folgende:
Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist grundsätzlich als selbstständige Tat i.S.v. § 53 StGB zu werten.
Von Tatmehrheit ist also auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Ausnahmsweise kann (dennoch) Tateinheit vorliegen, wenn die Hinterziehungen durch die dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfallen und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind1.
Dabei wird das Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen (regelmäßig für unterschiedliche Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume) in einem „äußeren Vorgang“ und übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen in den betroffenen Erklärungen ersichtlich als kumulativ erforderliche Voraussetzungen der tateinheitlichen Verwirklichung der Steuerhinterziehung verstanden. Übereinstimmende unrichtige Angaben im Sinne der vorstehend dargestellten Rechtsprechung sollen beispielsweise im Verhältnis von Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung sowie im Verhältnis von Einkommensteuer, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung in Betracht kommen2.
Auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist im Grundsatz im Hinblick auf jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen von selbständigen Taten i.S.v. § 53 StGB auszugehen. Allein ein einheitlicher Tatentschluss, seinen steuerlichen Pflichten für mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume künftig nicht nachzukommen, begründet noch keine Tateinheit zwischen den einzelnen Steuerhinterziehungen durch Unterlassen. Tateinheit ist nur dann ausnahmsweise anzunehmen, wenn die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären3.
Der Bundesgerichtshof hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit nicht mehr fest, als bei mehreren Steuererklärungen deren Abgabe durch „eine körperliche Handlung“ gleichzeitig erfolgt. Das bloße zeitliche Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen, die rechtlich nicht miteinander verknüpft sind, in einem äußeren Akt kann Tateinheit i.S.v. § 52 StGB nicht begründen.
Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiellrechtlich Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Tateinheit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die tatbestandlichen, mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzenden Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind4. Dagegen begründen eine einheitliche Zielsetzung des Täters, ein übereinstimmender Beweggrund oder die Verfolgung eines Endzwecks Tateinheit ebenso wenig5 wie das bloße Zusammenfallen von zwei Tatbeständen, bei denen der Täter den einen Tatbestand lediglich gelegentlich der anderen Tat verwirklicht6.
Eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen ist bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gegeben. Die Tathandlung besteht in diesen Fällen darin, dass der Täter gegenüber Finanz- oder anderen Behörden steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Die steuerliche Erheblichkeit wird angesichts des notwendig steuerrechtsakzessorischen Charakters der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) durch die jeweils maßgeblichen steuerrechtlichen Bestimmungen geprägt7. Regelmäßig aber auch für die hier verfahrensgegenständlichen Steuerarten beziehen sich die steuerlich erheblichen Tatsachen allein auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und auf eine Steuerart, soweit nicht – wie etwa beim Solidaritätszuschlag bezüglich der Einkommen- oder Körperschaftsteuer – eine Erklärung und Festsetzung zusammen mit den vorgenannten Hauptsteuern erfolgt8. Dem äußeren Vorgang des Versenden bzw. der sonstigen Übermittlung der Erklärung und deren Eingang bei der Behörde kommt für die tatbestandliche Handlung als solche keine Bedeutung zu. Es mangelt daher an einer Teilidentität der Ausführungshandlungen selbst bei Übermittlung mehrerer Erklärungen durch einen einheitlichen äußeren Akt. Das Geschehen erschöpft sich insoweit in einem bloßen zeitlichen Zusammenfallen, das nicht anders als die Tatbegehung gelegentlich der Ausführung einer anderen Tat die Voraussetzungen des § 52 StGB nicht begründet.
Der bisherigen Rechtsprechung ist zudem nicht zu Unrecht vorgeworfen worden, zufällig anmutende Ergebnisse hervorzubringen9. So wäre materiellrechtlich bei Versendung von drei verschiedenen Steuererklärungen über unterschiedliche Steuerarten und Veranlagungszeiträume in einem Briefumschlag unter den sonstigen Voraussetzungen (übereinstimmende unrichtige Angaben über Besteuerungsgrundlagen) von Tateinheit auszugehen, bei Übermittlung in jeweils einem gesonderten Brief dagegen an sich von Tatmehrheit. Für die Steuerhinterziehung als auf Steuerarten und Veranlagungszeiträume bezogenes Erklärungsdelikt ist die einheitliche oder getrennte Versendung aber ohne jede Bedeutung. Wäre prozessual nicht mehr aufklärbar, ob die verschiedenen Erklärungen getrennt übersandt worden sind, steht aber ihr taggleicher Eingang bei der Behörde fest, müsste nach der Entscheidungsregel in dubio pro reo beurteilt werden, ob die Annahme einer Tat oder mehrerer Taten die für den Angeklagten günstigere Sachverhaltsvariante wäre. Für derartige Zweifelsfragen bleibt kein Raum, wenn bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen ist.
Der Bundesgerichtshof gibt die bisherige Rechtsprechung zur Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO daher insoweit auf, als eine Tat i.S.v. von § 52 StGB bei mehreren Steuererklärungen über verschiedene Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume (und verschiedene Steuerpflichtige) angenommen worden ist, wenn die Abgabe der Erklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt. In diesen Konstellationen liegen vielmehr im Grundsatz mehrere Taten (§ 53 StGB) vor. Diese Änderung kann der Bundesgerichtshof ohne eine vorherige Anfrage bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs vornehmen, weil er für Steuerstrafsachen ausschließlich zuständig ist und es sich allein um die Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse zwischen mehreren Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 1 StR 535/17
- etwa BGH, Urteil vom 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NJW 2005, 374, 375; Beschlüsse vom 21.03.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 f.; vom 23.07.2014 – 1 StR 207/14, wistra 2014, 443 f.; und vom 24.05.2017 – 1 StR 418/16, NZWiSt 2017, 473 mit Anmerkung Rolletschke; siehe zudem ders./Steinhart NZWiSt 2015, 71 ff. mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 24.05.2017 – 1 StR 418/16, NZWiSt 2017, 473 mwN[↩]
- siehe nur BGH, Urteil vom 28.10.2004 – 5 StR 276/04, NJW 2005, 374, 375 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.03.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 mit Bezugnahme u.a. auf RG, Urteil vom 28.04.1899 – Rep. 1158/99, RGSt 32, 137, 138 f.; BGH, Beschluss vom 11.11.1976 – 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66, 67[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.03.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.08.2010 – 3 StR 210/10 16[↩]
- vgl. nur Klein/Jäger, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 5[↩]
- Rolletschke/Steinhart NZWiSt 2015, 71[↩]
- etwa Rolletschke/Steinhart NZWiSt 2015, 71[↩]