Im Grundsatz setzt das Herstellen (und anschließende Gebrauchmachen von) einer unechten Urkunde voraus, dass der Täter über den Aussteller der Urkunde täuscht1, mithin die Urkunde nicht von derjenigen Person stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (Identitätstäuschung).

Der aus der Urkunde erkennbare Aussteller will sich tatsächlich jene nicht als deren Urheber zurechnen lassen2.
Insoweit kann der Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 StGB entgegenstehen, dass die Betroffenen sich schlüssig mit dem Nachahmen ihrer Unterschriften einverstanden erklärten.
Im vorliegenden Fall könnten sich die Arbeitnehmer schlüssig mit dem Nachahmen ihrer Unterschriften einverstanden erklärt haben; mit der Abrede, die Arbeitgeberin möge ihre Einkommensteuerveranlagungen abwickeln, und ihrer anschließenden Rückkehr in die Türkei könnten sie ausreichend kundgetan haben, sich die abgegebenen Einkommensteuererklärungen zurechnen lassen zu wollen.
Indes ist ein solches Einverständnis des sich aus der Urkunde ergebenden Ausstellers wirkungslos, wenn Gesetzesvorschriften – wie hier § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG aF/§ 25 Abs. 3 Satz 1 EStG in der seit 1.01.2012 geltenden Fassung – eine eigenhändige Unterschriftsleistung vorsehen. Wenn aufgrund einer solchen gesetzlichen Anordnung dem Vertretenen die rechtliche Befugnis zu einer Ermächtigung entzogen worden ist, muss sich dies auf die Auslegung der Strafvorschrift der Urkundenfälschung auswirken; denn geschütztes Rechtsgut sind die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden3. Eine Urkunde ist demnach auch dann unecht, wenn dem Urkundenaussteller die Befugnis zur Ermächtigung zur rechtlichen Vertretung fehlt4.
So ist etwa für ein privatschriftliches Testament (§ 2247 Abs. 1 BGB) entschieden, dass derjenige, der an Stelle des Erblassers die Unterschrift mit dessen Namenszug leistet, sich auch dann wegen Urkundenfälschung strafbar macht, wenn der Erblasser damit einverstanden ist5. Denn dem Erblasser fehlt die rechtliche Befugnis, seine Unterschrift durch einen anderen ersetzen zu lassen. Nicht allein die Interessen des Erblassers werden berührt, sondern auch derjenigen, die als potentielle Erben durch den Anschein eines solchen Testaments betroffen sein könnten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs soll die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung bei Steuererklärungen (§ 150 Abs. 2, 3 AO) dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Steuererklärung bewusst machen; dadurch soll sichergestellt werden, dass er sich über die Lückenlosigkeit und Richtigkeit der gegebenenfalls von einer dritten Person, insbesondere von seinen steuerlichen Beratern, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissert hat. Die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung soll dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Steuererklärung als Wissenserklärung bewusstmachen6. Begibt sich der Steuerpflichtige dauerhaft ins Ausland, darf er ausnahmsweise einen dazu Bevollmächtigten unterschreiben lassen, indes nur unter Offenlegen der Vertreterstellung (§ 150 Abs. 3 Satz 1 Variante 3 AO)7.
Demgemäß ist eine Steuererklärung – wie im Falle der fehlenden Unterschrift8 – unwirksam und kann ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren nicht in Gang setzen, wenn sie von einem anderen als dem Steuerpflichtigen mit dessen Namen unterschrieben wird (sog. verdeckte Stellvertretung)9. Denn die Finanzbehörde soll darauf vertrauen dürfen, dass eine Unterschrift mit dem Namen des Steuerpflichtigen auch tatsächlich von diesem und nicht von einem Dritten stammt. Sie soll nicht jeweils gesondert nachfragen müssen, welche Person unterschrieben hat und ob im Falle der Vertretung die Voraussetzung für eine Unterzeichnung nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO vorgelegen habe. Gerade diese Situation soll durch das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift vermieden werden10. Damit dient die eigenhändige Unterschrift nach § 25 Abs. 3 EStG nicht allein dem Schutz des Einkommensteuerpflichtigen, sondern auch dem Schutz des Finanzamts vor rechtswidriger, wenn auch nicht unwirksamer Festsetzung gegenüber einem Nichtberechtigten.
Gegen das Erfordernis der rechtlichen Befugnis des Vertretenen wird im Wesentlichen eingewandt, damit werde der Schutzbereich des § 267 StGB entgegen der auch von der Rechtsprechung zugrunde gelegten Geistigkeitstheorie vom Echtheits- auf den Wirksamkeitsschutz erweitert. Bei dieser unzulässigen Überdehnung sei eine Abgrenzung von weiteren Unwirksamkeitsgründen wie etwa der Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen oder einem Verstoß des Urkundeninhalts gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) nicht zu gewährleisten11.
An der Voraussetzung der Vertretungsbefugnis ist festzuhalten. Eine geistige Urheberschaft ist zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht nur anzuerkennen, wenn die betreffende Rechtsordnung wie etwa das Zivil- oder Steuerrecht das Handeln unter fremdem Namen zulässt. Andernfalls wäre die Sicherheit des Rechtsverkehrs mit Urkunden beeinträchtigt12; die in Rede stehenden Urkunden betreffen den Rechtskreis anderer. Ob derjenige, der sich die Erklärung zurechnen lassen will, um die Formungültigkeit der Urkunde weiß, ist daher unerheblich13. Der Rechtsverkehr mit dem Finanzamt ist durch eine nachgeahmte Unterschrift auch dann betroffen, wenn die darauf ergehenden Bescheide wirksam werden können.
Das Formgültigkeitserfordernis der eigenhändigen Unterschriftsleistung gehört zum Akt der Urkundenherstellung; es lässt sich daher durchaus von den inhaltlichen Voraussetzungen des BGB an die Wirksamkeit von Willenserklärungen abgrenzen.
Sollte sich das Tatgericht davon überzeugen, dass der Angeklagte die Unterschriften nachahmte oder ihm die durch andere begangenen Fälschungen zuzurechnen sind, wird es bei Aufklärung der subjektiven Tatseite zu beachten haben, dass es sich bei der Voraussetzung der „unechten Urkunde“ um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt14.
Allerdings liegt -nur aufgrund der nachgemachten Unterschrift- sowohl eine Festsetzungsverkürzung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO) als auch ein sonstiger Fall einer Steuerhinterziehung fern.
Trotz Fehlens einer eigenhändigen Unterschrift des Steuerpflichtigen ist ein auf eine solche mangelhafte Erklärung ergehender Steuerbescheid wirksam. Denn ein solcher Mangel ist etwa mit den in § 125 Abs. 2 Nr. 1-4 AO beispielhaft aufgezählten Unwirksamkeitsgründen nicht vergleichbar und insgesamt nicht ausreichend gewichtig, um die Nichtigkeit des Steuerbescheids zu begründen15.
Die Einkommensteuerbescheide sind infolge Zugangs bei den Steuerberatern wirksam geworden (§§ 122 f. AO); diese waren aufgrund der – zumindest stillschweigenden – Zustimmung der türkischen Arbeitnehmer zustellungsbevollmächtigt. Für die Auszahlung der Überschüsse nach den wirksam durchgeführten Einkommensteuerveranlagungen besteht mithin ein Rechtsgrund. Die Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide steht etwaigen neuen Anträgen der türkischen Arbeitnehmer entgegen; mithin besteht keine Gefahr für das Steueraufkommen: Der Fiskus wird Gelder in Höhe der bereits abgeführten Guthaben nicht erneut auszahlen müssen.
Vielmehr sind die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Auszahlung der Überschüsse (§ 36 Abs. 4 Satz 2, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) durch die Überweisung auf ihre Konten erloschen (§§ 47, 224 Abs. 3 AO, § 362 Abs. 1 BGB). Da sie Inhaber des Kontos waren, hatten sie – neben dem Angeklagten aufgrund seiner Kontovollmacht – die erforderliche Verfügungsgewalt über die Buchgelder16. Anders als die Revision der Staatsanwaltschaft meint, kommt es weder für die tatsächliche noch die rechtliche Verfügungsbefugnis der Arbeitnehmer darauf an, ob sie Kenntnis von den Konten hatten. Dass sie von ihrer Verfügungsbefugnis keinen Gebrauch machten, kann den Überweisungen des Finanzamts, das die Guthaben auf die – den Angestellten zurechenbar – in den Einkommensteuererklärungen genannten Bankkonten erstattete, die Erfüllungswirkung nicht nehmen. Auf die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in Ausnahmefällen herangezogenen Grundsätze von Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt, dass der Steuerpflichtige etwa mit der Angabe einer unzutreffenden Kontonummer einen zurechenbaren Anschein für die Überweisung setzt17, kommt es nicht mehr an. Ebenso ist wegen der Kontoinhaberschaft der Arbeitnehmer und der dadurch herbeigeführten Erfüllungswirkung unerheblich, dass die Abtretungen der Erstattungsansprüche nach § 46 Abs. 3 Satz 1 AO unwirksam sein dürften.
Der hier zu entscheidende Sachverhalt unterfällt auch nicht dem Tatbestand des Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB). Der Betrug ist zwar Gegenstand der Anklage. Denn das Geltendmachen der Überschüsse könnte zu Vermögenschäden zu Lasten der Arbeitnehmer führen. Damit überschneiden sich die vorgeworfenen Einkommensteuerhinterziehungs- und die Betrugstaten in den Tatausführungen (§ 52 Abs. 1 StGB). Indes erklärten sich die Arbeitnehmer aufgrund der mit der Arbeitgeberin getroffenen Lohnvereinbarungen mit der Geltendmachung ihrer etwaigen Ansprüche auf Auszahlung des Überschusses nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG durch deren Geschäftsführer einverstanden; damit fehlt es bereits an einer Täuschung.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. November 2020 – 1 StR 328/19
- BGH, Beschluss vom 24.01.2013 – 3 StR 398/12 Rn. 7; Urteil vom 27.09.2002 – 5 StR 97/02 Rn. 15[↩]
- BGH, Urteil vom 29.06.1994 – 2 StR 160/94, BGHSt 40, 203, 204 mwN; Beschlüsse vom 04.06.2013 – 2 StR 59/13 Rn. 13; und vom 21.03.1985 – 1 StR 520/84 Rn. 8, BGHSt 33, 159, 160 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 11.12.1951 – 1 StR 567/51, BGHSt 2, 50, 52; Beschluss vom 21.08.2019 – 3 StR 7/19 Rn. 12[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.03.1985 – 1 StR 520/84 Rn. 10, BGHSt 33, 159, 161 f.[↩]
- RG, Urteil vom 06.02.1923 – I 407/22, RGSt 57, 235, 236 f.; S/S-Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 57, 59; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 267 Rn. 18; Mohrbotter, NJW 1966, 1421, 1422[↩]
- BFH, Urteile vom 11.04.2018 – X R 39/16 Rn. 45; vom 08.10.2014 – VI R 82/13 Rn. 14, 17, BFHE 247, 402, 403 f., 405 f.; und vom 14.01.1998 – X R 84/95 Rn. 17, BFHE 185, 111, 114 f.; Beschluss vom 09.07.2012 – I B 11/12 Rn. 8[↩]
- BFH, Urteil vom 10.04.2002 Rn. 14 ff. – VI R 66/98, BFHE 198, 62, 64 ff.[↩]
- dazu BFH, Urteile vom 10.11.2004 – II R 1/03 Rn. 12, BFHE 208, 33, 35; und vom 14.01.1998 – X R 84/95 Rn. 16, BFHE 185, 111, 113 f.; Beschluss vom 26.03.1999 – X B 196/98 Rn. 3[↩]
- BFH, Urteile vom 07.11.1997 – VI R 45/97 Rn. 11, BFHE 184, 381, 383; und vom 10.04.2002 – VI R 66/98 Rn. 15, BFHE 198, 62, 65[↩]
- BFH, Urteil vom 07.11.1997 – VI R 45/97 Rn. 11, BFHE 184, 381, 383[↩]
- MünchKomm-StGB/Erb, 3. Aufl., § 267 Rn. 141-143; NK-StGB-Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 267 Rn. 69; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 267 Rn. 48; Puppe, JR 1981, 441, 442 ff.; Samson, JuS 1970, 369, 375; Paeffgen, JR 1986, 114, 117 f.; Weidemann, NJW 1986, 1976, 1977; Rheineck, Fälschungsbegriff und Geistigkeitstheorie, 1979, S. 60 ff.[↩]
- vgl. LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl., § 267 Rn. 43[↩]
- a.A. MünchKomm-StGB/Erb, 3. Aufl., § 267 Rn. 143[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 04.09.2019 – 1 StR 579/18 Rn. 14 mwN[↩]
- BFH, Urteil vom 28.02.2002 – V R 42/01 Rn. 23, BFHE 198, 27, 30; BGH, Urteile vom 27.09.2002 – 5 StR 97/02 Rn. 11, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Angaben 7; und vom 14.01.2015 – 1 StR 93/14 Rn. 84[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 10.11.1987 – VII R 171/84 Rn. 5, BFHE 151, 123, 124 f.; vom 16.10.1990 – VII R 118/89 Rn. 9, BFHE 162, 13, 15; und vom 08.01.1991 – VII R 18/90 Rn. 13, BFHE 163, 505, 507 f.[↩]
- dazu BFH, Urteile vom 24.09.1991 – VII R 137/87 Rn. 9 f.; vom 08.01.1991 – VII R 18/90 Rn. 14, BFHE 163, 505, 508; und vom 10.11.1987 – VII R 171/84 Rn. 7 ff., 11, BFHE 151, 123, 125 ff.; Beschluss vom 12.07.1994 – VII B 79/94 Rn. 8[↩]