Nach § 355 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB in der bis 2016 geltenden Fassung wird bestraft, wer unbefugt Verhältnisse eines anderen, die ihm als Amtsträger in einem Verwaltungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen bekannt geworden sind, offenbart oder verwertet.

Daraus folgt, dass die strafbewehrte Geheimhaltungspflicht hier, anders als bei dem weiter gefassten Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses1, nur entsteht, wenn der Täter die Kenntnis der fremden Verhältnisse in seiner Eigenschaft als Amtsträger und im Zusammenhang mit einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren erlangt hat.
Dagegen genügt es nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes nicht, wenn der Täter seine Amtsstellung dazu missbraucht, um Kenntnis von ihm sonst nicht zugänglichen Behördenunterlagen nehmen zu können. Dann erfolgt die Kenntnisnahme nur „gelegentlich“ seiner Diensterfüllung, aber nicht „als Amtsträger“2. Eine abweichende Beurteilung3 würde über den Wortlaut der Norm hinausgehen.
Diese Auslegung wird durch eine spätere Gesetzesänderung bestätigt. Nach der ab dem 1.01.2017 geltenden Fassung des § 355 StGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens4 sind die genannten Verhältnisse dem Täter auch dann als Amtsträger bekannt geworden, wenn sie sich aus Daten ergeben, zu denen er Zugang hatte und die er unbefugt abgerufen hat (§ 355 Abs. 1 Satz 2 StGB n.F.). Die Wortlautgrenze der Auslegung und das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG hatten es erforderlich gemacht, diese Begehungsweise zur Schließung einer Strafbarkeitslücke gesondert zu erfassen5. Die Neuregelung verdeutlicht, dass vor ihrem Inkrafttreten und außerhalb ihres Regelungsbereichs nicht jede unbefugte Kenntniserlangung des Amtsträgers von steuerlich relevanten Verhältnissen eines anderen zur Erfüllung des Straftatbestands ausreicht.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 2 StR 249/19
- vgl. dazu MünchKomm-StGB/Puschke, 3. Aufl., § 353b Rn. 33[↩]
- vgl. Schönke/Schröder/Perron/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 355 Rn. 10; MünchKomm-StGB/Schmitz, 3. Aufl., StGB § 355 Rn. 24; LK/Vormbaum, StGB, 12. Aufl., § 355 Rn. 18[↩]
- vgl. SKStGB/Hoyer, § 355 Rn. 5[↩]
- BGBl.2016 I, S. 1679; BT-Drs. 18/7457 S. 115 f.[↩]
- vgl. BeckOKStGB/Heuchemer, 44. Ed., § 355 Rn. 9[↩]