„Stille SMS“ – und ihre Nutzung durch die Ermittlungsbehörden

Rechtsgrundlage für das Versenden sogenannter „stiller SMS“ durch die Ermittlungsbehörden ist § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO.

„Stille SMS“ – und ihre Nutzung durch die Ermittlungsbehörden

Zur Erhebung der dadurch erzeugten Daten ermächtigt § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 StPO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 TKG bzw. § 100g Abs. 2 StPO i.V.m. § 113b Abs. 4 TKG.

Bei einer stillen SMS (auch „stealth ping“ genannt) wird eine spezielle Kurzmitteilung (SMS) an eine Mobilfunknummer gesandt, die zwar eine Verbindung mit dem angewählten Mobiltelefon erzeugt, jedoch von dessen Nutzer nicht bemerkt werden kann, da sie im Nachrichteneingang nicht angezeigt wird. Der Empfang der SMS bewirkt – wie eine gewöhnliche Telefonverbindung zu einem Mobilfunkgerät – eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle, in der es eingebucht ist, wodurch bei dem jeweiligen Netzbetreiber ein Verkehrsdatensatz erzeugt wird, der auch die Angabe der benutzten Funkzelle beinhaltet. Nach einer Abfrage der Daten bei dem Netzbetreiber kann – abhängig von der Größe der Funkzelle – der ungefähre Standort des Mobiltelefons im Zeitpunkt des Empfangs der stillen SMS bestimmt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass das angewählte Mobiltelefon eingeschaltet und empfangsbereit ist („Standby-Modus“). Im betriebsbereiten Standby-Modus erzeugt das Mobiltelefon in periodischen Abständen ähnliche Daten: Die Netzbetreiber erfassen hierbei die sog. „Local Area“, in der ein Mobiltelefon eingebucht ist, welche ihrerseits aus einer variablen Anzahl von Funkzellen besteht. In wiederkehrenden Abständen von einigen Stunden meldet das Mobiltelefon dem Netzbetreiber, in welcher Local Area es gerade eingebucht ist. Darüber hinaus wird sofort gemeldet, wenn das Mobiltelefon in eine Funkzelle einer anderen Local Area wechselt. Ein Wechsel zwischen zwei Funkzellen, die sich in derselben Local Area befinden, wird hingegen nicht mitgeteilt1.

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Der Einsatz stiller SMS und die Erhebung der so generierten Standortdaten kann entgegen der vom Generalbundesanwalt vertretenen Ansicht nicht auf § 100a StPO i.V.m. den Ermittlungsgeneralklauseln der § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 Abs. 1 StPO gestützt werden. Die Erhebung mittels stiller SMS erzeugter Standortdaten wird schon deshalb nicht von § 100a StPO erfasst, weil sie nicht im Rahmen von Telekommunikation anfallen. Zwar schützt das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG nicht nur die Vertraulichkeit des Kommunikationsinhalts, sondern auch der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs2, wozu als Verkehrsdaten auch die Standortdaten während der Kommunikation zu zählen sind. Als Kommunikation in diesem Sinne ist die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mittels Fernmeldetechnik gleich welcher Art zu verstehen3. Bei dem Versand stiller SMS fehlt es jedoch an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch, der sich auf zu übermittelnde Inhalte bezieht. Es wird lediglich ein Datenaustausch zwischen technischen Geräten verursacht, der keinen Rückschluss auf Kommunikationsbeziehungen oder inhalte erlaubt.

Zudem erfasst § 100a StPO seinem Wortlaut nach nur die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, also die Auskunft über vorhandene Daten. Das Erzeugen solcher Daten, das eine aktive Einflussnahme auf den vorhandenen Datenbestand darstellt, geht jedoch darüber hinaus und bedarf daher einer eigenen Ermächtigungsgrundlage4. Diese kann nicht in den Ermittlungsgeneralklauseln der § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 Abs. 1 StPO gesehen werden, weil der Einsatz stiller SMS und die sich daran anschließende Abfrage der so erzeugten Standortdaten das Erstellen eines – wenn auch abhängig von der Größe der Funkzellen recht groben – Bewegungsprofils ermöglichen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) in erheblicher Weise berühren.

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Soweit als Rechtsgrundlage für das Versenden stiller SMS § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO erwogen wird5, vermag auch dies letztlich nicht zu überzeugen.

Zwar dürfen nach dieser Vorschrift auch ohne Wissen des Betroffenen außerhalb von Wohnungen sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre und Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. In Abgrenzung zu § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO sind unter den „sonstigen technischen Mitteln“ i.S.d. § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO solche zu verstehen, die weder der Herstellung von Bildaufzeichnungen noch der Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes innerhalb (§ 100c StPO) oder außerhalb (§ 100f StPO) von Wohnungen dienen6. Dabei bezieht sich die Bestimmung eines technischen Mittels zu Observationszwecken auf seine konkrete Verwendung im Strafverfahren. Es ist unerheblich, mit welcher Zweckbestimmung es ursprünglich konzipiert und auf den Markt gebracht wurde7. Diese Voraussetzungen erfüllt das technische Mittel der stillen SMS.

Jedoch dürfen die nach dieser Vorschrift zulässigen technischen Mittel nur außerhalb von Wohnungen verwendet werden. Die Strafverfolgungsbehörden haben jedoch weder Kenntnis davon noch Einfluss darauf, wo sich ein Mobiltelefon im Zeitpunkt des Empfangs einer stillen SMS befindet. Zwar wird als maßgeblich für die Zuordnung einer Maßnahme als außerhalb oder innerhalb einer Wohnung nicht der Standort oder die Wirkung des technischen Mittels, sondern die Lage der zu erhebenden Daten angesehen8. Auch der Schutzbereich des Art. 13 GG soll von einem Eingriff dann nicht betroffen sein, wenn dieser unabhängig vom Standort möglich und nicht auf die Wahrnehmung von Vorgängen gerichtet ist, die sich innerhalb der privaten räumlichen Sphäre zutragen. Denn Art. 13 GG vermittelt dem Einzelnen keinen generellen, von den Zugriffsmodalitäten unabhängigen Schutz gegen Eingriffe, deren spezifische Gefährdung durch dessen raumbezogenen Schutzbereich ohnehin nicht abgewendet werden kann9.

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§ 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO könnte daher als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das Versenden stiller SMS durchaus in Betracht gezogen werden. Mit § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO gibt es aber eine Eingriffsnorm, die die Ermittlung des Standorts eines Mobiltelefons durch Einsatz technischer Mittel explizit regelt, auch die Versendung stiller SMS umfasst und daher insoweit als lex specialis zu § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO anzusehen ist10.

Die Eingriffsbefugnis für den Einsatz stiller SMS ergibt sich aus § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei einem durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht der dort näher bezeichneten Straftaten durch technische Mittel der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden darf, soweit es für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten erforderlich ist.

Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 06.08.200211 in erster Linie den sogenannten „IMSI-Catcher“ im Blick12. Nach dem Wortlaut der Norm hat er deren Anwendungsbereich aber gerade nicht auf diesen beschränkt, sondern durch die Wahl des Begriffs „technische Mittel“ erkennbar dem technischen Fortschritt Rechnung tragen und die Anwendbarkeit der Vorschrift auch für weitere kriminaltechnische Neuerungen offenhalten wollen. Dies ist verfassungsrechtlich zulässig und verletzt insbesondere nicht die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anforderungen an Tatbestandsbestimmtheit und Normenklarheit, die für Vorschriften des Strafverfahrensrechts gelten13. Auch der konkrete Anwendungsbereich der Norm ist durch den benannten Zweck des technischen Mittels zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgeräts hinreichend bestimmt.

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Die Gesetzgebungshistorie bestätigt die Zulässigkeit der Subsumtion der stillen SMS unter diese Vorschrift. Die stille SMS zur Ermittlung des ungefähren Standorts eines Mobilfunkgeräts wird meist observationsunterstützend eingesetzt. Nachdem § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO in seiner ursprünglichen Fassung die Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkendgeräts nur zur vorläufigen Festnahme oder Ergreifung des Täters auf Grund eines Haft- oder Unterbringungsbefehls zuließ, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12 200714 diese Einschränkung gestrichen. Hierdurch wollte er ausdrücklich ermöglichen, dass technische Mittel im Sinne dieser Vorschrift auch zur Unterstützung von Observationsmaßnahmen oder zur Vorbereitung einer Verkehrsdatenerhebung nach § 100g StPO eingesetzt werden können15.

Die so generierten Daten können von den Strafverfolgungsbehörden nach § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 StPO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 TKG bzw. § 100g Abs. 2 StPO i.V.m. § 113b Abs. 4 TKG erhoben werden. Die Regelungen zur Umsetzung einer entsprechenden Abfrage hat die Bundesregierung mit der Verordnung zur Änderung der Telekommunikationsüberwachungsverordnung vom 14.06.201716 in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 32 TKÜV geschaffen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 3 StR 400/17

  1. vgl. BT-Drs. 18/2695, S. 5 f.; Roggan, FS Hirsch, S. 153, 157 f.[]
  2. BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 – 1 BvR 256/08, BVerfGE 125, 260, 309 f.[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 22.08.2006 – 2 BvR 1345/03, NJW 2007, 351, 353 mwN[]
  4. insoweit überzeugend Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 63; LR/Hauck, StPO, 26. Aufl., § 100a Rn. 70[]
  5. BeckOK StPO/Graf, § 100a Rn. 233; SSW-StPO/Eschelbach, 3. Aufl., § 100h Rn. 6; SK-StPO/Wolter/Greco, 5. Aufl., § 100a Rn. 21 und § 100g Rn. 29[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2001 – 3 StR 324/00, BGHSt 46, 266, 271 f.; BVerfG, Urteil vom 12.04.2005 – 2 BvR 581/01, BVerfGE 112, 304, 317[]
  7. MünchKomm-StPO/Günther, § 100h Rn. 6[]
  8. BGH, Beschluss vom 14.03.1997 – 1 BGs 65/97, NJW 1997, 2189 f.; MünchKomm-StPO/Günther, § 100h Rn. 8[]
  9. BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274, 309 f. zur Online-Durchsuchung[]
  10. MünchKomm-StPO/Günther, § 100i Rn. 17[]
  11. BGBl. I S. 3018[]
  12. BT-Drs. 14/9088 S. 7[]
  13. vgl. BVerfG, Urteil vom 12.04.2005 – 2 BvR 581/01, BVerfGE 112, 304, 315 f.[]
  14. BGBl. I S. 3198[]
  15. BT-Drs. 16/5846, S. 56[]
  16. BGBl. I S. 1657 und S. 2316[]
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