Der Bundesgerichtshof hat die „Interessentheorie“ endgültig aufgegeben. Die Strafbarkeit des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Bankrotts setzt nicht voraus, dass die Tathandlung im Interesse der Gesellschaft liegt.

Ein GmbH-Geschäftsführer kann sich daher wegen Bankrotts unabhängig davon strafbar machen, dass er eigennützig und zum Schaden der Gesellschaft handelte, und die Angeklagten dazu Beihilfe leisteten.
Der Bundesgerichtshof ist bislang – die Rechtsprechung des Reichsgerichts1 fortführend – in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer einer GmbH sich wegen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur strafbar machen könne, wenn er die Tathandlung für die GmbH und (zumindest auch) in deren Interesse vorgenommen hat2. Dieser als „Interessentheorie“ bezeichneten Ansicht liegt die Auffassung zugrunde, dass das Gesellschaftsorgan nicht in dieser Eigenschaft handele, wenn ein Bezug zum – durch den Interessenkreis bestimmten – Geschäftsbetrieb fehle3. Daher hat die bisherige Rechtsprechung eine Strafbarkeit wegen Bankrotts abgelehnt, wenn der Vertreter ausschließlich im eigenen Interesse handelt.
An der Interessentheorie hält der Bundesgerichtshof nicht weiter fest, da sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Gesetzeszweck eine solche auf das Interesse des Vertretenen abstellende Einschränkung ergibt und sie berechtigte Kritik erfahren hat.
Der Gesetzeswortlaut stellt für die Zurechnung nicht auf das Interesse des Vertretenen ab: Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB kommt die Strafbarkeit des Geschäftsführers einer GmbH bei Bankrotttaten in Betracht, wenn er „als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person“ gehandelt hat. Dies setzt neben der Organstellung als solcher voraus, dass der Vertretungsberechtigte in seiner Eigenschaft als Organ gehandelt hat4. Eine nähere Konkretisierung, wann ein Vertretungsberechtigter gerade in dieser Eigenschaft handelt, enthält der Gesetzeswortlaut nicht.
Der vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 14 StGB verfolgte Zweck besteht – ebenso wie bei dem zuvor geltenden § 50a StGB – darin, den Anwendungsbereich von Straftatbeständen allgemein auf Personen zu erweitern, die in einem bestimmten Vertretungs- oder Auftragsverhältnis für den Normadressaten handeln, und die kriminalpolitisch nicht erträgliche Lücke zu schließen, die sich daraus ergibt, dass der Normadressat mangels Handlung und der Handelnde deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er nicht Normadressat ist5. Dieser Regelungszweck spricht nicht für eine einschränkende Normauslegung.
Mit der dargelegten Intention des § 14 StGB lässt sich insbesondere nicht vereinbaren, dass die Interessentheorie im Ergebnis bei einer Vielzahl von Taten einer Strafbarkeit nach § 283 StGB entgegensteht, weil der Vermögensträger als juristische Person und die handelnde natürliche Person auseinanderfallen.
So lässt die Interessentheorie für die Insolvenzdelikte nur einen geringen Anwendungsbereich, wenn Schuldner im Sinne des § 283 StGB eine Handelsgesellschaft ist6; denn die in § 283 StGB aufgezählten Bankrotthandlungen widersprechen ganz überwiegend dem wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft. Damit läuft bei Anwendung der Interessentheorie der vom Gesetzgeber intendierte Gläubigerschutz in der wirtschaftlichen Krise insbesondere von Kapitalgesellschaften bei Anwendung der Interessentheorie weitgehend leer7. Besonders augenfällig wird dies in Fällen der Ein-Mann-GmbH, in denen der Gesellschafter/Geschäftsführer der Gesellschaft angesichts der drohenden Insolvenz zur Benachteiligung der Gläubiger Vermögen entzieht und auf seine privaten Konten umleitet, nach wirtschaftlicher Betrachtung also aus eigennützigen Motiven handelt. Nach der Interessentheorie ist er nicht des Bankrotts schuldig, obwohl er die Insolvenz gezielt herbeigeführt hat8.
Während Einzelkaufleute in vergleichbaren Fällen regelmäßig wegen Bankrotts strafbar sind, entstehen so Strafbarkeitslücken für Vertreter oder Organe von Kapitalgesellschaften. Dies lässt sich nicht mit der Intention des Gesetzgebers vereinbaren, durch die Regelung des § 14 StGB Strafbarkeitslücken zu schließen. Zudem wird angesichts der besonderen Insolvenzanfälligkeit von in der Rechtsform der GmbH betriebenen Unternehmen der Schutzzweck der Insolvenzdelikte konterkariert9. Das gilt insbesondere, wenn man die Interessenformel konsequent auch auf die Bankrotthandlungen anwendet, die die Verletzung von Buchführungs- oder Bilanzierungspflichten sanktionieren (§ 283 Abs. 1 Nr. 57 StGB): Entfällt wegen des fehlenden Interesses der Gesellschaft die Bankrottstrafbarkeit, scheitert eine Verurteilung wegen Untreue regelmäßig am nicht festzustellenden oder nicht nachzuweisenden Vermögensschaden der Gesellschaft10.
Über die nicht gerechtfertigte Privilegierung von GmbHGeschäftsführern gegenüber Einzelkaufleuten hinaus wird der Zweck der § 283 Abs. 1 Nr. 58, § 283b StGB unterlaufen, der Verstöße gegen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften wegen der besonderen Gefahr von Fehleinschätzungen mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen als eigenständiges Unrecht erfassen will11. Angesichts der dort genannten objektiven Anforderungen wäre kaum verständlich, dass daneben noch auf ein – zudem oft schwerlich zu ermittelndes – subjektives Interesse abzustellen sein soll12. Es besteht auch kein Anlass, bei der Auslegung des § 14 StGB im Hinblick auf § 283 Abs. 1 Nr. 57, § 283b StGB andere Anforderungen zu stellen als etwa im Rahmen des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, da § 14 StGB eine der Rechtsvereinheitlichung dienende allgemeine Vorschrift darstellt5.
Überdies erscheint es problematisch, bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungstaten die Zurechnung davon abhängig zu machen, in wessen Interesse der Vertreter handelte oder untätig blieb13. Ähnliches gilt bei nicht eigennützigem Verhalten, etwa bei der Zerstörung von Vermögensbestandteilen (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 StGB), da ein solches bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise14 weder im Interesse des Vertreters noch des Vertretenen liegt15.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Interessentheorie bei Vertretern von Personengesellschaften für die praktisch relevanten Fälle, dass die Gesellschafter der Bankrotthandlung zustimmen16, zudem nicht durchgehalten worden; ein Handeln, das aus wirtschaftlicher Sicht im vollständigen Widerstreit zu den Interessen der vertretenen Gesellschaft steht, soll etwa bei der Kommanditgesellschaft gleichwohl von dem durch das Einverständnis erweiterten Auftrag des Schuldners – also der Gesellschaft – gedeckt sein, wenn der Komplementär zustimmt17. Die Einschränkung der Interessentheorie sei insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes geboten18. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in der Folge auch auf Fälle der GmbH & Co. KG erstreckt, in denen der Geschäftsführer einer KomplementärGmbH die Bankrotthandlungen mit Zustimmung der Gesellschafter dieser Kapitalgesellschaft und damit der Komplementärin vorgenommen hatte19. Der Gläubigerschutz hat aber bei den in der Rechtsform der GmbH betriebenen Gesellschaften kein geringeres Gewicht als bei Personengesellschaften oder insbesondere der Mischform der GmbH & Co. KG, so dass mit dieser Argumentation nicht nachvollziehbar erscheint, warum die Zustimmung der Gesellschafter einer KomplementärGmbH den Auftrag des Geschäftsführers erweitern kann, das Einverständnis der Gesellschafter bei einer reinen Kapitalgesellschaft für die Frage, ob der Geschäftsführer als Organ oder im Auftrag der Gesellschaft handelt, hingegen bedeutungslos sein soll.
Auch in Bezug auf die Buchführungs- und Bilanzdelikte hat der Bundesgerichtshof nicht einheitlich an der Interessentheorie festgehalten, sondern diese – teils ausdrücklich, teils stillschweigend – in Frage gestellt20.
Kommt es für ein Handeln als Vertretungsberechtigter im Sinne des § 14 Abs. 1 StGB nicht (mehr) darauf an, ob dieses im Interesse des Geschäftsherrn liegt, ist auf andere taugliche Abgrenzungskriterien Bedacht zu nehmen21. Entscheidend bleibt, dass der Handelnde gerade in seiner Eigenschaft als vertretungsberechtigtes Organ, also im Geschäftskreis des Vertretenen22, und nicht bloß „bei Gelegenheit“ tätig wird23. Dabei kann zwischen rechtsgeschäftlichem und sonstigem Handeln zu differenzieren sein24.
Handelt ein Organwalter rechtsgeschäftlich, ist ein organschaftliches Tätigwerden jedenfalls dann naheliegend gegeben, wenn er im Namen der juristischen Person auftritt oder für diese aufgrund der bestehenden Vertretungsmacht bindende Rechtsfolgen zumindest im Außenverhältnis herbeiführt25. Das Handeln des Vertretungsberechtigten als Organ wird etwa dadurch deutlich, dass er lediglich aufgrund seiner besonderen Organstellung überhaupt in der Lage ist, die vertretene juristische Person rechtlich zu binden. Diese Wirkung könnte er nicht herbeiführen, wenn er nicht als vertretungsberechtigtes Organ, sondern – gleichsam wie ein Außenstehender – als natürliche (Privat-)Person agierte26.
Eine Zurechnung der Schuldnereigenschaft ist auch in den Fällen möglich, in denen der Vertretungsberechtigte aufgrund seiner Stellung außerstrafrechtliche, aber gleichwohl strafbewehrte Pflichten des Vertretenen zu erfüllen hat27.
Dagegen erscheint die Abgrenzung bei einem bloß faktischen Handeln problematischer. Ein solches kann jedenfalls dann Grundlage für eine Zurechnung sein, wenn eine Zustimmung des Vertretenen vorliegt28.
Es bedarf hier keiner abschließenden Klärung, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen bei rein tatsächlichen Verhaltensweisen eine Zurechnung nach § 14 StGB in Betracht kommt; denn ein solches liegt nicht vor. Der Geschäftsführer ist im hier entschiedenen Fall rechtsgeschäftlich tätig geworden. Er verschaffte sich die Beträge im Wesentlichen durch Überweisungen, die er als Geschäftsführer der GmbH mit Wirkung für diese vornahm.
Der Bundesgerichtshof ist durch die bislang ergangenen Entscheidungen nicht daran gehindert, eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum Bankrott anzunehmen, obschon der Geschäftsführer der S. GmbH Gesellschaftsvermögen nicht im Interesse der GmbH, sondern in eigenem Interesse beiseite schaffte. Auf Anfrage (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) haben sämtliche anderen Strafsenate erklärt, an ihrer insoweit entgegenstehenden früheren Rechtsauffassung nicht festzuhalten29. Auch der hier entscheidende Strafsenat elbst gibt seine entgegenstehende Rechtsansicht auf.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Mai 2012 – 3 StR 118/11
- RG, Urteil vom 29.03.1909 – III 877/08, RGSt 42, 278, 282; aA indes RG, Urteil vom 22.12.1938 – 2 D 581/38, RGSt 73, 68, 70[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteile vom 20.05.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128; vom 05.10.1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314, 316 f.; vom 06.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223; Beschluss vom 14.12.1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206, 207, jeweils mwN; s. auch LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 79 ff.; Arloth, NStZ 1990, 570 ff.[↩]
- RG, Urteil vom 29.03.1909 – III 877/08, RGSt 42, 278, 282[↩]
- vgl. BT-Drucks. 5/1319 S. 63; BT-Drucks. 14/8998 S. 8: “ ‚in Ausübung‘ seiner Funktion“[↩]
- BT-Drucks. 5/1319 S. 62[↩][↩]
- LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 80; SKStGB/Hoyer, § 283 Rn. 103 [Stand: März 2002]; MünchKomm-StGB/Radtke, 1. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 55; Labsch, wistra 1985, 1, 6 ff.; jeweils mwN[↩]
- vgl. Winkler, jurisPR-StrafR 16/2009 Anm. 1[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.05.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 f.; kritisch dazu LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 80, 85[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 01.09.2009 – 1 StR 301/09, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Geschäftsführer 4; SK-StGB/Hoyer, § 283 Rn. 103 [Stand: März 2002]; MünchKomm-StGB/Radtke, 1. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 55[↩]
- vgl. Arloth, NStZ 1990, 570, 572; LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 84[↩]
- vgl. Arloth, NStZ 1990, 570, 572[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2011 – 5 StR 122/11, StV 2012, 216; S/S-Perron, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26 mwN[↩]
- vgl. S/S-Perron, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.05.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 mwN[↩]
- vgl. Brand, NStZ 2010, 9, 11[↩]
- vgl. dazu Labsch, wistra 1985, 1, 7[↩]
- BGH, Urteil vom 06.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223 f. = BGH StV 1988, 14, 15 m. Anm. Weber[↩]
- BGH, Urteil vom 06.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 224[↩]
- BGH, Urteil vom 12.05.1989 – 3 StR 55/89, wistra 1989, 264, 267; aA BGH, Urteil vom 29.11.1983 – 5 StR 616/83, wistra 1984, 71; BGH, Urteil vom 17.03.1987 – 5 StR 272/86, JR 1988, 254, 255 f. m. abl. Anm. Gössel; offen gelassen von BGH, Urteil vom 03.05.1991 – 2 StR 613/90, NJW 1992, 250, 252[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 15.12.2011 – 5 StR 122/11, StV 2012, 216; vom 24.05.2009 – 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635, 636; vom 18.01.1995 – 2 StR 693/94, wistra 1995, 146 f.; anders etwa BGH, Beschluss vom 14.12.1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206, 207[↩]
- dazu bereits BGH, Beschlüsse vom 10.02.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2228; vom 15.09.2011 – 3 StR 118/11, NStZ 2012, 89, 91[↩]
- BGH aaO[↩]
- vgl. BT-Drucks. 14/8998 S. 8; 5/1319 S. 63[↩]
- vgl. MünchKomm-StGB/Radtke, 2. Aufl., § 14 Rn. 65 ff.; S/SPerron, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26; ausdrücklich anders noch BGH, Urteil vom 20.05.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 129[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 10.02.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2228; vom 15.09.2011 – 3 StR 118/11, NStZ 2012, 89, 91 m. Anm. Radtke/Hoffmann[↩]
- vgl. Arloth, NStZ 1990, 570, 574[↩]
- s. LK/Tiedemann, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 84; NK-StGB/Kindhäuser, 3. Aufl., Vor §§ 283 bis 283d Rn. 54[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2011 – 3 StR 118/11, NStZ 2012, 89, 91; weitergehend BGH, Beschluss vom 10.01.2012 – 4 ARs 17/11, wistra 2012, 191; s. auch MünchKomm-StGB/Radtke, 2. Aufl., § 14 Rn. 67 f.; Valerius, NZWiSt 2012, 65, 66[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 29.11.2011 – 1 ARs 19/11, wistra 2012, 113; vom 22.12.2011 – 2 ARs 403/11; vom 10.01.2012 – 4 ARs 17/11, wistra 2012, 191; vom 07.02.2012 – 5 ARs 64/11[↩]