Der Antrag, im in-camera-Verfahren die Rechtswidrigkeit einer vom Bundesministerium des Innern in einem Strafverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland abgegebenen Sperrerklärung festzustellen, ist auch für den Fall statthaft, dass Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Klage die Rechtmäßigkeit einer gemäß § 96 StPO abgegebenen Sperrerklärung ist. Gegenstand der Prüfung ist in diesem Fall die auf der Grundlage von § 99 Abs. 2 VwGO die unmittelbar an die nach Maßgabe des § 96 Satz 1 StPO gegenüber dem Oberlandesgericht abgegebene Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern.

Zwar sieht die Strafprozessordnung kein derartiges Zwischenverfahren vor. Dies ist in aller Regel wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo" auch nicht erforderlich. Denn aufgrund einer Sperrerklärung nach § 96 StPO zurückgehaltene Unterlagen sind als Beweismittel zu Lasten des Angeklagten ungeeignet, so dass sich die Sperrerklärung nicht zu seinen Lasten nachteilig auswirken kann. Anders kann es sich indes verhalten, wenn – wie hier – der Inhalt eines von der Behörde zurückgehaltenen Dokuments der Verteidigung des Angeklagten dienen soll. In diesem Fall steht dem Angeklagten die Klage vor dem Verwaltungsgericht mit dem Ziel zur Seite, die Sperrwirkung zu beseitigen und die Aktenvorlage zu erzwingen 1.
Das Gericht der Hauptsache beurteilt, ob Urkunden oder Akten der Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörden nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegen. Seine materielle Rechtsauffassung ist maßgebend für den Umfang der ihm verfassungsrechtlich obliegenden Pflicht zur umfassenden Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Es unterliegt grundsätzlich seiner Entscheidung, welche Beweismittel zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geeignet und heranzuziehen sind. Deshalb obliegt es ihm, darüber zu befinden, ob Unterlagen, die Geheimnisse enthalten, entscheidungserheblich sind und zur gebotenen vollständigen Sachaufklärung benötigt werden 2. Der Fachsenat für das Verfahren nach § 99 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist grundsätzlich auf die Prüfung beschränkt, ob die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist 3. Hat das Gericht der Hauptsache – wie hier – die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist. Das ist hier nicht der Fall.
Im vorliegenden Fall sah das Bundesverwaltungsgericht die Weigerung des Bundesinnenministeriums, dem Gericht der Hauptsache die angeforderten Unterlagen vorzulegen, als rechtmäßig an:
Allein die Tatsache der Einstufung eines Teils der angeforderten Unterlagen als Verschlusssache ist ohne Bedeutung. Denn die betreffenden Akten sind nicht schon deswegen ihrem Wesen nach oder nach einem Gesetz geheim zu halten. Vielmehr kommt es auch insoweit darauf an, ob sich nach den materiellen Maßstäben des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Geheimhaltungsbedürftigkeit ergibt, ob also der Grund für die Einstufung als Verschlusssache noch fortbesteht 4.
Materiell-rechtlicher Maßstab zur Beurteilung der Geheimhaltungsbedürftigkeit ist das Vorliegen eines Nachteils im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls 5, das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Nachteile für das Wohl des Bundes fordern gewichtige Gründe und setzen Beeinträchtigungen wesentlicher Bundesinteressen voraus. Dazu zählen namentlich Gefährdungen des Bestandes oder der Funktionsfähigkeit des Bundes sowie Bedrohungen der äußeren oder inneren Sicherheit. Es gilt auch hier ein strenger Maßstab 6. Ein Nachteil in diesem Sinne ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde 7; das gilt insbesondere für den Fall, dass die Zusammenarbeit auf die Abwehr drohender Anschläge und die Bekämpfung der Produktion und Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln gerichtet ist.
Handelt es sich – wie hier – um Informationen, die deutschen Sicherheitsbehörden aufgrund internationaler Zusammenarbeit von ausländischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind, kann ein Nachteil für das Wohl des Bundes gegeben sein, wenn die Bekanntgabe des Akteninhalts an Dritte unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden, zumal mit Nachrichtendiensten anderer Staaten, erschweren würde 8. Rechtsstaatliche Belange erfordern insoweit ein Mindestmaß an Plausibilität der Begründung eines entsprechenden Nachteils; andernfalls würde die vom Gesetzgeber in § 99 Abs. 2 VwGO vorgesehene Überprüfung der mit der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgründe in derartigen Konstellationen praktisch leerlaufen und in Konflikt mit der Verpflichtung zur Gewährung noch effektiven Rechtsschutzes geraten 9.
Nach diesen Maßstäben hat das Bundesministerium des Innern in der Sperrerklärung konkret befürchtete Nachteile für das Wohl des Bundes unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimnisschutzes nachvollziehbar dargelegt. Es sieht die betreffenden Nachteile für das Wohl des Bundes in dem Umstand, dass Unterlagen offengelegt werden sollen, die dem Bundeskriminalamt unmittelbar oder mittelbar von verschiedenen (ausländischen) Nachrichtendiensten zur Verfügung gestellt worden seien. Die betreffenden Quelldokumente seien als VS-Geheim eingestuft und unverändert für eine weitere Verwendung nicht freigegeben. Entsprechende Bemühungen des Bundeskriminalamtes, eine Freigabe zu erreichen, seien im Wesentlichen erfolglos geblieben. Deren Weitergabe unter Missachtung der erteilten Verwendungsbeschränkungen würde als Bruch der wechselseitigen Vertrauensgrundlage gewertet werden und hätte eine nachhaltige und schwere Beeinträchtigung der Teilhabe deutscher Stellen an dem internationalen Erkenntnisaustausch zwischen Sicherheitsbehörden zur Folge. Ein den deutschen Stellen durch die Übermittlung entgegengebrachtes Vertrauen würde gebrochen, wenn die Unterlagen in ein gerichtliches Verfahren eingebracht würden. Dort hätten zwangsläufig auch Privatpersonen wie der Angeklagte die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Müssten Partnerbehörden davon ausgehen, dass entsprechende Verwendungsbeschränkungen durch das Bundeskriminalamt nicht beachtet würden, so hätte dies zur Folge, dass gefährdungsrelevante Hinweise künftig unterblieben, darauf gründende gefahrenabwehrende Maßnahmen nicht mehr möglich seien und die Gewährleistung von Sicherheit, Frieden und Freiheit für die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland nicht nur gefährdet, sondern beeinträchtigt sei. Das Ausmaß der negativen Folgen für die Zusammenarbeit zwischen deutschen und ausländischen Sicherheitsbehörden sei nicht abschätzbar.
Diese Erwägungen des Bundesministeriums des Innern lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Gleiches gilt für die Erläuterungen zur Begründung der Notwendigkeit der Geheimhaltung der geschwärzten Passagen. Sie sind aussagekräftig und nachvollziehbar und spiegeln sich zudem in den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen wider. Die oberste Aufsichtsbehörde hat nicht verkannt, dass auch die für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland tätigen Behörden grundsätzlich verpflichtet sind, ihre Akten dem Strafgericht auf dessen Ersuchen vorzulegen, und sich dieser Vorlagepflicht nicht schon mit dem Hinweis auf die von ihnen wahrzunehmenden Aufgaben entziehen können 10. Hieran anknüpfend hat sie unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles das Bestehen eines konkreten Geheimhaltungsbedürfnisses geprüft und festgestellt. Die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen belegt die in der Sperrerklärung dargelegten Geheimhaltungsgründe. Auf der Grundlage der in der Sperrerklärung geleisteten Zuordnung der Geheimhaltungsgründe kann festgestellt werden, dass nur solche Unterlagen zurückgehalten werden, die geheimhaltungsbedürftig sind.
Zutreffend sieht das Bundesministerium des Innern die Geheimhaltungsbedürfnisse nicht durch die Wiedergabe von Äußerungen unter anderem seiner Leitungsebene, ranghoher Vertreter seines Hauses und maßgeblicher Repräsentanten seines Geschäftsbereichs in der Presse als beeinträchtigt an. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Presseäußerungen abstrakt und allgemein gehalten gewesen seien und keine Rückschlüsse auf konkrete Stellen, Quellen und die Arbeitsweise der Partnerbehörden zuließen. Die geheimhaltungsbedürftigen Quelldokumente und ihr Inhalt waren zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der von dem Kläger wiedergegebenen Presseberichterstattung. Im Übrigen liegt es in der Logik geheim gehaltener Unterlagen, dass der Wahrheitsgehalt von Parallelveröffentlichungen weder bestätigt noch bestritten werden kann. Gemessen daran kann nicht davon ausgegangen werden, das Geheimhaltungsbedürfnis sei entfallen, weil das geschützte Wissen bereits allgemein bekannt sei.
Nach alledem bedarf es hier keiner Klärung, welcher rechtliche Rang der so genannten "third-party-rule" zukommt.
Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ermächtigt die oberste Aufsichtsbehörde, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke einzuräumen. Die Entscheidung, die vollständige und ungeschwärzte Vorlage der begehrten Dokumente zu verweigern, setzt daher eine umfassende Abwägung voraus, ob das öffentliche und das private Interesse an der Wahrheitsfindung und an effektivem Rechtsschutz das öffentliche Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet die oberste Aufsichtsbehörde, zudem sorgfältig zu prüfen, ob dem öffentlichen und dem privaten Interesse an der Offenlegung gegebenenfalls durch partielle Schwärzungen Rechnung getragen werden kann.
Diesen Anforderungen genügt die Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern vom 18.11.2014. Dass der obersten Aufsichtsbehörde die rechtlichen Kriterien dieser besonderen Ermessensabwägung bekannt waren und sie sich diese Maßstäbe zu eigen gemacht hat, zeigt ihr Hinweis auf die Entscheidung des Bundesvewrwaltungsgerichts vom 02.07.2009 11. In dieser Entscheidung hat sich der beschließende Bundesverwaltungsgericht grundlegend zur Ermessensausübung der obersten Aufsichtsbehörde bei der Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geäußert. Der Sperrerklärung liegt vorliegend eine sorgfältige Abwägung einerseits des öffentlichen Geheimhaltungsinteresses und andererseits des privaten Interesses des Klägers, sich von dem gegen ihn erhobenen Anklagevorwurf zu entlasten und zu diesem Zweck Einsicht in die vollständigen und ungeschwärzten Akten zu nehmen, zugrunde. Diese Abwägung vermag die Entscheidung, dass das Geheimhaltungsinteresse überwiegt, zu tragen. Beide Sperrerklärungen enthalten zur Begründung des Geheimhaltungsinteresses im Sinne dieser Vorschrift bezogen auf den konkreten Einzelfall zwar eine allgemein gehaltene, dennoch aber auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung. Dass die oberste Aufsichtsbehörde die Folgen der Verweigerung auch mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat, lässt nicht zuletzt der Umstand erkennen, dass von der Möglichkeit der Einführung teilgeschwärzter bzw. (teil-)bereinigter Dokumente in das Verfahren Gebrauch gemacht worden ist und Bemühungen entfaltet worden sind, eine partielle Freigabe einzelner Dokumente zu erreichen.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. April 2015 – 20 F 8.2014 -
- BVerwG, Beschlüsse vom 02.07.2009 – 20 F 4.09, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 5; und vom 15.04.2015 – 20 F 1.15 – BA Rn. 5 m.w.N.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 15.08.2003 – 20 F 3.03, BVerwGE 118, 352, 354 m.w.N.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 29.07.2002 – 2 AV 1.02, BVerwGE 117, 8, 10[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 19.04.2010 – 20 F 13.09, BVerwGE 136, 345 Rn. 23; und vom 20.09.2010 – 20 F 9.10, NVwZ-RR 2011, 135 Rn. 7 f.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 – 1 BvR 385/90 -? BVerfGE 101, 106, 127 f.; BVerwG, Beschluss vom 07.11.2002 – 2 AV 2.02, NVwZ 2003, 347, 348[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 23.06.2011 – 20 F 21.10, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 64 Rn.19 m.w.N.[↩]
- stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 29.07.2002 – 2 AV 1.02 -? BVerwGE 117, 8, 8 f.; vom 07.08.2013 – 20 F 13.12 10; und vom 15.04.2015 ?- 20 F 1.15 – BA Rn. 8; ferner zu § 96 StPO BVerwG, Urteil vom 19.08.1986 – 1 C 7.85, BVerwGE 75, 1, 14 m.w.N.[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 28.03.2006 – 20 F 1.05, 20 PKH 2.05, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40 Rn. 12; und vom 10.01.2012 – 20 F 1.11, 7 A 15.10 14, jeweils m.w.N.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 19.04.2010 – 20 F 13.09, BVerwGE 136, 345 Rn. 14[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 19.08.1986 – 1 C 7.85 -? BVerwGE 75, 1, 10[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 02.07.2009 – 20 F 4.09, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 7 ff.[↩]