Die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen – und das zwischenzeitliche Strafende

Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt1. Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen2.

Die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen – und das zwischenzeitliche Strafende

Ein Beschwerdeführer ist daher verpflichtet, seine Verfassungsbeschwerde bei entscheidungserheblicher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwerdebegründung gegebenenfalls auch nachträglich zu ergänzen3. Ihn trifft eine aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG fließende Begründungslast für das (Fort-)Bestehen der Annahme- und Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts4.

Im vorliegenden Fall genügte der Vortrag des Beschwerdeführers diesen Maßstäben nicht:

Sein Strafende war auf den 13.11.2022 notiert, sodass sich mittlerweile eine entscheidungserhebliche Veränderung der Sachlage ergeben haben dürfte, die er nicht mitgeteilt hat. Er ist im anhängigen Verfahren der Verfassungsbeschwerde – auch nach deren Zustellung – eine Erläuterung schuldig geblieben, ob er mittlerweile, wie im Anlassurteil angeordnet, in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist. Insbesondere hat er die nach § 67c Abs. 1 StGB rechtzeitig vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu treffende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht vorgelegt und sich dazu inhaltlich nicht verhalten. Ein substantiierter Vortrag im Rahmen der Verfassungsbeschwerde hätte dies aber vorausgesetzt, da im Rahmen von § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB erneut die Frage zur Prüfung stand, ob die dem Beschwerdeführer im Vollzugsverlauf zuteilgewordene Betreuung den Anforderungen des § 66c Abs. 2 in Verbindung mit § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprach, und, falls nicht, die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB zur Bewährung auszusetzen war. Insoweit war die Strafvollstreckungskammer zwar für den in den angegriffenen Entscheidungen in Rede stehenden Prüfungszeitraum zwischen dem 22.05.2019 und dem 22.05.2021 gemäß § 119a Abs. 7 StVollzG an die rechtskräftigen Feststellungen dieser Entscheidungen gebunden. Für den verbleibenden Zeitraum des Vollzugs der Freiheitsstrafe wäre hingegen auch eine andere, dem Beschwerdeführer günstige Entscheidung möglich gewesen, zu der er mit Blick auf die Frage des Fortbestehens der mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachten Beschwer hätte vortragen müssen.

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Zum Vorliegen der Voraussetzungen für ein trotz des inzwischen beendeten Vollzugs der Freiheitsstrafe ausnahmsweise fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis hat der Beschwerdeführer ebenfalls nichts vorgetragen. Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Rechtsfragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf grundsätzlich nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird5. Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis deshalb fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt6.

Zwar bestehen Zweifel, ob die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse den vom Bundesverfassungsgericht für Entscheidungen im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 119a StVollzG formulierten Anforderungen an das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung genügen7. Insoweit kommt in Betracht, dass das Landgericht und das Oberlandesgericht im Rahmen der ihnen gemäß § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG obliegenden Prüfung, ob dem Beschwerdeführer mit der nach § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB gebotenen Intensität Betreuungsangebote unterbreitet wurden, den Mindesterfordernissen für eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht gerecht geworden sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Gerichte auf die Einholung eines aktuellen Sachverständigengutachtens, das unter anderem der Frage der Notwendigkeit zusätzlicher psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen hätte nachgehen können, verzichtet haben. Zu einer andauernden oder besonders belastenden Beeinträchtigung durch die den angegriffenen Entscheidungen möglicherweise anhaftenden prozessualen Mängel trotz zwischenzeitig beendeten Vollzugs der Freiheitsstrafe führt der Beschwerdeführer allerdings nicht aus; eine solche ist ohne Kenntnis der nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB ergangenen Entscheidung auch nicht ohne Weiteres ersichtlich.

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Februar 2023 – 2 BvR 39/22

  1. vgl. BVerfGE 81, 138 <140> 146, 294 <308 f. Rn. 24>[]
  2. vgl. BVerfGE 21, 139 <143> 30, 54 <58> 33, 247 <253> 50, 244 <247> 56, 99 <106> 72, 1 <5> 81, 138 <140> 146, 294 <308 f. Rn. 24> stRspr[]
  3. vgl. BVerfGE 106, 210 <214 f.> 158, 170 <194 Rn. 57>[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2021 – 1 BvR 1416/17, Rn. 7; Beschluss vom 24.11.2022 – 2 BvR 2316/21, Rn. 11[]
  5. vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.> 76, 1 <38 f.> 81, 138 <141>[]
  6. vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.> 69, 161 <168> 81, 138 <140> 139, 245 <263 f. Rn. 53> 146, 294 <308 f. Rn. 24> stRspr[]
  7. vgl. dazu Beschluss vom 30.03.2021 – 2 BvR 1546/20 22 ff.[]

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