19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Dabei gewährleistet Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Im Bereich des Strafvollzugsrechts wird Art.19 Abs. 4 GG durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert, die ihrerseits im Lichte des Art.19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden sind.

3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes1. Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen2.
Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe (§§ 114 f. ZPO, hier in Verbindung mit §§ 109, 120 Abs. 2 StVollzG) obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen3. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird4.
In Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die hier entschiedene Verfassungsbeschwerde als offensichtlich begründet. Das Landgericht Regensburg5 hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den geschilderten Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt. Es hat die Zulässigkeit des vom Beschwerdeführer angestrebten Antrags nach § 109 Abs. 1 StVollzG mit der Begründung abgelehnt, es liege keine Maßnahme nach § 109 Abs. 1 StVollzG vor, weil die Äußerungen des Anstaltsarztes nach summarischer Prüfung Wissenserklärungen ohne unmittelbaren Regelungscharakter im Hinblick auf den Beschwerdeführer darstellten, mit denen lediglich mögliche Gesundheitsschäden angesprochen würden. Dabei hat das Landgericht außer Acht gelassen, dass die Vorschrift des § 109 Abs. 1 StVollzG im Lichte des Art.19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden ist6.
19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt7. Dabei gewährleistet Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle8. Art.19 Abs. 4 GG verpflichtet die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zu verfolgen9 und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren10. Im Bereich des Strafvollzugsrechts wird Art.19 Abs. 4 GG durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert, die ihrerseits im Lichte des Art.19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden sind6. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es deshalb darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt11. Das ist hier der Fall.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen12. Im Rahmen dessen ist der Inhalt der Krankenunterlagen wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant13. Insofern kann ein ungerechtfertigtes Offenbaren von Gesundheitsdaten das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen und ist deshalb als eine in die Grundrechte des Beschwerdeführers eingreifende Maßnahme anzusehen, die tauglicher Gegenstand eines Verfahrens nach § 109 StVollzG sein kann. Dem Beschwerdeführer musste daher die Möglichkeit eingeräumt werden, die Mitteilung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Anstaltsarzt einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen. Ob und inwieweit hier die im datenschutzrechtlichen Abschnitt des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes normierten Offenbarungsbefugnisse beziehungsweise Offenbarungspflichten der grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Berufsgeheimnisträger einschlägig waren, etwa weil die Angabe des Arztes zur Erfüllung von vollzuglichen Aufgaben wie der Beurteilung der gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Arbeitsverweigerung verhängten Disziplinarmaßnahme unerlässlich war, wäre im Verfahren über die Hauptsache zu klären gewesen. Indem das Landgericht dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht stattgegeben hat, hat es dem Beschwerdeführer unter Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus gegebenenfalls in die höhere Instanz zu bringen.
Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob zugleich gegen weitere, als verletzt gerügte verfassungsmäßige Rechte des Beschwerdeführers im Sinne von § 90 Abs. 1 BVerfGG verstoßen worden ist.
Der angegriffene Beschluss des Landgerichts wurde daher vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen (vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG), da nicht auszuschließen war, dass dieses bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 2 BvR 1814/21
- vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.> 10, 264 <270> 22, 83 <86> 51, 295 <302> 63, 380 <394 f.> 67, 245 <248> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347 <357>[↩]
- vgl. BVerfGE 56, 139 <144> 81, 347 <357 f.> BVerfGK 2, 279 <281> 20, 187 <191>[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347 <358>[↩]
- LG Regensburg, Beschluss vom 03.09.2021 – SR STVK 430/21[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.1999 – 2 BvR 827/98, Rn. 24; BVerfG, Beschluss vom 22.12.2021 – 2 BvR 491/21, Rn. 5[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 67, 43 <58> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.> 103, 142 <156> 113, 273 <310> 129, 1 <20>[↩]
- vgl. BVerfGE 77, 275 <284>[↩]
- vgl. BVerfGE 44, 302 <305> 69, 381 <385> 77, 275 <284> 134, 106 <117 Rn. 34>[↩]
- BVerfGK 8, 319 <323>[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 1 <43> 78, 77 <84> 120, 274 <312> 130, 151 <183> stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15, Rn.20[↩]