In Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass auch in anderen als den § 454 StPO genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abgesehen werden kann.

Zwar ist dies nur ausnahmsweise gerechtfertigt, da einer Aushöhlung der Regelung über die mündliche Anhörung des Verurteilten vorgebeugt werden muss; denn sie soll nicht nur dem Verurteilten die Möglichkeit zur Äußerung geben, sondern auch dem Gericht einen aktuellen unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten vermitteln [1]. Eine derartige Ausnahme von der Anhörungspflicht ist aber nach einhelliger Ansicht für den Fall anzunehmen, dass der Verurteilte ausdrücklich und eindeutig erklärt, er wolle an der mündlichen Anhörung nicht teilnehmen [2], oder sich ernsthaft weigert, sich vorführen zu lassen [3].
So war es in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall: Der Verurteilte hat über seinen Verteidiger erklären lassen, er wolle sich nicht vorführen lassen, da er sich vor Ausführungen regelmäßig unbekleidet von Vollzugsbeamten durchsuchen lassen müsse. Diese entwürdigende Maßnahme sei sachlich nicht gerechtfertigt. Daran, dass der Verurteilte seine Vorführung damit ernsthaft abgelehnt hat, besteht für den Bundesgerichtshof kein Zweifel [4]. Denn seine Weigerung, sich vorführen zu lassen, hat er nach Beratung mit seinem Verteidiger übermitteln lassen, dem der Vorsitzende eindeutig mitgeteilt hatte, dass der Strafsenat sich zu einer Beeinflussung der Entscheidung der Vollzugsbehörde nicht in der Lage sehe.
Die vom Verurteilten abgegebene Begründung für seine Weigerung hinderte das Oberlandesgericht nicht, ohne Anhörung zu entscheiden: Zwar wird eine ernsthafte, die Anhörungspflicht suspendierende Weigerung sich vorführen zu lassen, mitunter dann verneint, wenn der Verurteilte hierfür nachvollziehbare Gründe hat [5]. Das kann aber nur gelten, wenn das Gericht, das über die Reststrafenaussetzung zu entscheiden hat, diese Gründe zu verantworten hat und/oder diesen in eigener Zuständigkeit abhelfen kann. Kann es die Ursachen der Ablehnung des Verurteilten hingegen nicht beseitigen, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, dessen Verzicht auf eine Vorführung hinzunehmen und ohne Anhörung zu entscheiden. Denn das Gericht kann eine Anhörung gegen den Willen des Verurteilten nicht erzwingen [6].
Hier hatte das Oberlandesgericht keine Möglichkeit, die vorgesehenen Modalitäten für die Vorführung des Verurteilten abzuändern. Dabei kann es dahinstehen, ob die vom Verurteilten abgelehnte Entkleidung vor der Vorführung auf einer auf § 14 Abs. 3 HmbStVollzG gestützten Anordnung der Anstaltsleitung gründet oder – wie die Justizvollzugsbehörde im Beschwerdeverfahren vorträgt – von der Polizei verlangt wird, der die Justizvollzugsanstalt den Verurteilten zum Transport zum Gericht ausantwortet. Denn in jedem Fall liegt die Entscheidung über Sicherheitsmaßnahmen bei der Vorführung allein bei der Justizvollzugsanstalt bzw. der in Amtshilfe tätigen Polizeibehörde [7]. Gegen diese Anordnungen ist dem Verurteilten nach § 109 StVollzG der Rechtsweg zur Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg (vgl. § 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GVG), gegebenenfalls zum Verwaltungsgericht, eröffnet. Es wäre deshalb die Sache des Verurteilten gewesen, gegen die beanstandeten Maßnahmen – gegebenenfalls im Eilrechtsweg – gerichtlich vorzugehen. Dies hat er nicht unternommen. Vielmehr hat der Verteidiger des Verurteilten das Gericht lediglich gebeten, seinen Mandanten bei seinem Bemühen zu unterstützen, von der Pflicht zur Entkleidung bei der Durchsuchung entbunden zu werden. Zwar hat sich der Verteidiger mit diesem Anliegen in einem Schreiben auch an die Justizvollzugsanstalt gewandt und um eine baldige Entscheidung gebeten, die beanstandenden Maßnahmen nicht mehr vorzunehmen. Nachdem die Justizvollzugsanstalt hierauf nicht reagierte, hat er aber auf ein gerichtliches Vorgehen verzichtet.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. August 2015 – StB 6/15
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.1978 – StB 187/78, BGHSt 28, 138, 141[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.01.2000 – StB 1/00, NStZ 2000, 279 mwN[↩]
- OLG Hamm, Beschluss vom 09.12 2008 – 5 Ws 423 – 425/08, NStZ-RR 2009, 223, 224 mwN[↩]
- vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.02.1983 – 1 Ws 13/83, StV 1983, 511; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12 1995 – 3 Ws 274/95, NStZ 1996, 302[↩]
- OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12 1995 – 3 Ws 274/95, NStZ 1996, 302, 303; KG, Beschluss vom 02.04.2001 – 1 AR 369/01 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.11.2002 – 3 Ws 1176/02, NStZ-RR 2003, 59; OLG Hamm, Beschluss vom 09.12 2008 – 5 Ws 423 – 425/08, NStZ-RR 2009, 223, 224[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.01.2000 – StB 1/00, NStZ 2000, 279; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 03.02.1983 – 1 Ws 13/83, StV 1983, 511; vom 28.07.1987 – 1 Ws 428/87, NStZ 1987, 524; KG, Beschluss vom 02.04.2001 – 1 AR 369/01 7[↩]
- vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.10.1996 – 4 Ws 201/96, NStZ-RR 1997, 62, 63[↩]