Die gerichtliche Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verletzt den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Art.20 Abs. 3 GG, wenn sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen, die für die Anordnung der Fortdauer von Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehen.

Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann „die Freiheit der Person“ und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert [1].
Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit [2]; zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB [3].
Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen [4] und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht [5].
er Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden [6]. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen [7].
Abzustellen ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin „erheblich“ im Sinne des § 63 StGB sein.
Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind [8].
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur so lange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann es daher auf die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (vgl. §§ 68a, 68b StGB), insbesondere also die Tätigkeit eines Bewährungshelfers und die Möglichkeit bestimmter Weisungen, ankommen [9].
Da es sich bei der Gesamtwürdigung der für die Frage der Aussetzung (§ 67d Abs. 2 StGB) maßgeblichen Umstände um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen [10].
Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG [11]. Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt [12].
Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann [13]. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte. Die gesetzliche Entscheidungsfrist von einem Jahr seit der letzten Überprüfungsentscheidung lässt dafür ausreichend Raum [14]. Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen [15].
Gemessen hieran trugen in der hier entschiedenen Verfassungsbeschwerde die angegriffenen Entscheidungen den von Verfassungs wegen an die Begründung von Fortdauerentscheidungen zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend Rechnung:
Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel [16] setzt sich in dem angegriffenen Beschluss bereits nicht hinreichend mit der Frage auseinander, ob bei dem Beschwerdeführer ein für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlicher Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) noch vorliegt oder ob die Maßregel wegen des Wegfalls dieses Zustandes gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären ist.
Es verweist lediglich darauf, dass einerseits die Maßregelvollzugseinrichtung in ihrer Stellungnahme vom 17.05.2016 von einer behandlungsbedürftigen leichten Intelligenzminderung mit Verhaltensstörungen ausgegangen sei. Andererseits habe die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 04.04.2016 festgestellt, dass weder die im Eingangsverfahren diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizitstörung noch eine Intelligenzminderung mit schweren Verhaltensauffälligkeiten vorliege, so dass aus sachverständiger Sicht kein Sachverhalt mehr gegeben sei, der Grundlage einer Maßregel gemäß § 63 StGB sein könne. Eine Bewertung dieser sich widersprechenden Aussagen nimmt das Gericht nicht vor. Der angegriffenen Entscheidung kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass das Gericht sich die Darlegung der Maßregelvollzugseinrichtung zu eigen macht. Auch verhält das Gericht sich nicht dazu, ob daraus der Fortbestand eines Zustandes der Schuldunfähigkeit oder eingeschränkten Schuldfähigkeit gemäß § 63 StGB in Verbindung mit §§ 20, 21 StGB abgeleitet werden kann. Ebenso wenig ist der Entscheidung zu entnehmen, ob und aus welchen Gründen aus der Sicht des Gerichts den Feststellungen der Sachverständigen nicht zu folgen ist. Damit fehlt es an der verfassungsrechtlich gebotenen eigenständigen Bewertung der Aussagen des Sachverständigengutachtens durch das Gericht [17]. Dieses stellt lediglich fest, dass die Maßregel noch nicht für erledigt erklärt oder zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Warum dies trotz der entgegenstehenden Darlegungen der Sachverständigen der Fall sein soll, erschließt sich aus dem angegriffenen Beschluss nicht. Dieser genügt damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers nicht.
Daneben mangelt es auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel an der verfassungsrechtlich gebotenen Begründungstiefe.
Zwar legt das Gericht dar, dass die Sachverständige von einem „mittleren Rückfallrisiko im oberen Durchschnittsbereich für Gewalttaten“ ausgegangen sei. Auch nimmt es an, dass die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, die sich in den Anlasstaten gezeigt habe, fortbestehe. Zugleich verweist es aber darauf, dass verbliebene Restzweifel zu Lasten des Beschwerdeführers gingen. Welche Gewalttaten mit welcher Wahrscheinlichkeit künftig vom Beschwerdeführer konkret zu erwarten sind, kann dem nicht zweifelsfrei entnommen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Verweisen des Gerichts auf körperliche Übergriffe vor der Anlasstat und das regelwidrige Verhalten des Beschwerdeführers während des Vollzugs der Unterbringung. Eine hinreichend konkrete Bestimmung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger Taten liegt daher nicht vor.
Damit fehlt es aber an einer ausreichenden Grundlage für die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Abwägung zwischen dem Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers und den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit. Demgemäß findet diese Abwägung in dem angegriffenen Beschluss nicht in ausreichendem Umfang statt. Weder werden die Sicherungsinteressen der Allgemeinheit oder der Umfang der Gefährdung der Rechtgüter Dritter hinreichend konkretisiert, noch wird dem das im fortlaufenden Vollzug der Unterbringung steigende Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers entgegengestellt.
Zudem setzt sich das Amtsgericht Brandenburg an der Havel nicht mit der Frage auseinander, ob den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit durch weniger belastende Maßnahmen hätte Rechnung getragen werden können. Dies wäre nicht zuletzt deshalb geboten gewesen, weil die Sachverständige eine entsprechende Vorgehensweise ausdrücklich empfohlen hatte.
Schließlich hat das Amtsgericht Brandenburg an der Havel die Überprüfungsfrist gemäß § 67e Abs. 2 StGB erheblich überschritten und sich hiermit im angegriffenen Beschluss in keiner Weise auseinandergesetzt. Dies begründet eine eigenständige Verletzung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers, da aufgrund dieses Begründungsdefizits von einer grundsätzlichen Verkennung der grundrechtsschützenden Funktion der Überprüfungsfrist auszugehen ist.
Die vorgenannten Defizite des angegriffenen Beschlusses des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel wurden durch den Beschluss des Landgerichts Potsdam [18] nicht geheilt, weil das Landgericht Potsdam keine weitergehenden Ausführungen in der Sache gemacht, sondern lediglich auf die Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses verwiesen hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat daher festgestellt, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art.20 Abs. 3 GG verletzen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG), den angegriffenen Beschluss des Landgerichts Potsdam aufgehoben und die Sache aufgrund der prozessualen Überholung durch die neuen Fortdauerentscheidungen des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 08.07.2018 und des Landgerichts Potsdam vom 08.02.2019 zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen [19].
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 2 BvR 2256/17
- vgl. BVerfGE 35, 185, 190; 109, 133, 157; 128, 326, 372[↩]
- vgl. BVerfGE 22, 180, 219; 45, 187, 223; 58, 208, 224 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 307[↩]
- vgl. BVerfGE 58, 208, 222[↩]
- vgl. BVerfGE 58, 208, 230[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 311[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 312 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 314 f.; BVerfGK 16, 501, 506[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 313 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 315[↩]
- vgl. BVerfGK 4, 176, 181; 5, 67, 68; BVerfG, Beschlüsse vom 05.05.2008 – 2 BvR 1615/07 17; und vom 22.11.2011 – 2 BvR 1334/10 16[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 85, 93; 72, 105, 114 f.; 109, 133, 163; BVerfGK 4, 176, 181; BVerfG, Beschlüsse vom 22.11.2011 – 2 BvR 1334/10 16; vom 30.03.2016 – 2 BvR 746/14 18; und vom 10.10.2016 – 2 BvR 1103/16 15[↩]
- BVerfGK 4, 176, 181[↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 22.11.2011 – 2 BvR 1334/10 16; und vom 29.11.2011 – 2 BvR 1665/10 12[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.11.2011 – 2 BvR 1334/10 16; vom 29.11.2011 – 2 BvR 1665/10 12; vom 30.03.2016 – 2 BvR 746/1419; und vom 10.10.2016 – 2 BvR 1103/16 16[↩]
- AG Brandenburg an der Havel, Beschluss vom 10.07.2016 – 27 VRJs 7/18[↩]
- vgl. dazu BVerfGE 58, 208, 223; 70, 297, 310; BVerfG, Beschluss vom 16.08.2017 – 2 BvR 1496/15, Rn.19[↩]
- LG Potsdam, Beschluss vom 06.09.2017 – 22 Qs 19/16[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.08.2018 – 2 BvR 2071/16 26, m.w.N.[↩]
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