Die Angleichung verschiedener Vollstreckungsverjährungsfristen mit unterschiedlicher Länge im Sinne von § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB entfällt nicht mit dem späteren Erlass der der längeren Frist zugrundeliegenden Strafe oder Maßnahme1.

Die Vollstreckungsverjährung beginnt mit dem (einzurechnenden) Tag der Rechtskraft der Entscheidung über den Strafausspruch (§ 79 Abs. 6 StGB) und endet mit Ablauf des Tages, dessen Datum dem Tage des Fristbeginns vorhergeht2. Die jeweils geltenden Verjährungsfristen regelt – gestaffelt nach den möglichen Tatfolgen – § 79 Abs. 3 und 4 StGB. Ist jedoch auf Freiheitsstrafe und Geldstrafe zugleich oder ist neben einer Strafe auf eine freiheitsentziehende Maßregel, auf Einziehung3 erkannt, so verjährt die Vollstreckung der einen Strafe oder Maßnahme nicht früher als die der anderen (§ 79 Abs. 5 Satz 1 StGB). Es erfolgt mithin eine an der längeren Frist orientierte Angleichung der unterschiedlichen Fristen. Die jeweils längste Verjährungsfrist gilt für alle Rechtsfolgen4, die dementsprechend einheitlich verjähren5.
Entgegen der vom Hanseatischen Oberlandesgericht vertretenen Auffassung6 führt der Erlass der (Rest)Freiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit (§ 56g Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 5 Satz 1 StGB) – hier am 29.07.2015 – oder die vollständige Verbüßung einer Strafe ungeachtet des nicht ganz eindeutigen Wortlauts von § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB nicht dazu, dass die aufgrund der Fristenangleichung für eine Strafe oder Maßnahme verlängerte Frist nachträglich entfällt und sich die Verjährung nunmehr wieder nach der kürzeren Frist bestimmt. Zwar erlischt mit Verbüßung der Strafe oder deren (unwiderruflichem) Erlass der diesbezügliche staatliche Vollstreckungsanspruch mit der Folge, dass die hierfür geltende Verjährungsfrist insoweit ihre Bedeutung verliert. Dies heißt aber nicht, dass deswegen die aufgrund der Fristenangleichung feststehende maßgebliche Verjährungsfrist für die weitere Strafe oder Maßnahme rückwirkend entfällt. Vielmehr bleibt es auch nach Vollstreckung oder Erlass der Strafe oder Maßnahme mit der längeren Verjährungsfrist bei der durch sie ausgelösten Fristenangleichung für die Strafe oder Maßnahme mit der kürzeren Frist.
Dies ergibt sich für den Bundesgerichtshof schon aus der Systematik des Gesetzes. Bei § 79 StGB handelt es sich – wie schon die amtliche Überschrift belegt – anders als bei § 79a StGB, der das Ruhen der Verjährung zum Gegenstand hat – ausschließlich um eine Fristenregelung. Eine Verjährungsfrist zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Länge im Zeitpunkt des Verjährungsbeginns feststeht. Dass die einmal erfolgte Angleichung wieder entfallen können soll, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber in der Fristenangleichung abweichend von den Absätzen 3 und 4 der Vorschrift keine von nachträglichen Ereignissen unabhängige dauerhafte „echte“ Fristenregelung erblickt, hätte es sich angeboten, dies in einer eigenen Norm zu regeln, was nicht geschehen ist. Außerdem hätte es nahegelegen, ein nachträgliches Entfallen der Kongruenz, wäre es denn gewollt gewesen, positiv zu regeln. Denn dass die Strafe oder Maßnahme mit der längeren Verjährungsfrist vollstreckt oder erlassen sein könnte, bevor die andere Strafe oder Maßnahme vollstreckt oder erlassen war, war eine in einer Vielzahl von Fällen absehbare Entwicklung.
Anderes wäre auch mit dem Sinn und Zweck einer Verjährungsfrist nicht zu vereinbaren. Die Verjährungsfristen sollen vor allem Rechtssicherheit schaffen und damit dem Rechtsfrieden dienen und einer etwaigen Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegenwirken7. Die Verjährungsfristen geben insoweit sowohl für den Verurteilten als auch für die Behörde einen klaren Rahmen vor, an dem sie sich orientieren können. Eine nachträgliche Verkürzung der nach § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB berechneten Frist würde diese Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigen. Dies gilt umso mehr, als insbesondere der mögliche Erlass der (Rest)Strafe nach ihrer Aussetzung zur Bewährung vor Ablauf der dafür vorgesehenen Verjährungsfrist nicht sicher vorhergesagt werden kann, sondern es von dem weiteren Verhalten des Verurteilten abhängt, ob die Strafe tatsächlich erlassen, die Bewährungsfrist verlängert oder die Bewährung widerrufen und die Strafe weiter vollstreckt wird. Die Entscheidung darüber bleibt während der Bewährungszeit (§ 56a Abs. 1, § 57 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StGB) in der Schwebe und kann sich faktisch noch dadurch verlängern, dass – wie im vorliegenden Fall – das Ergebnis eines Folgeprozesses abgewartet wird. Die gegenteilige Auffassung (Entfallen der Fristenangleichung) würde hingegen in Fällen wie dem vorliegenden dazu führen, dass sich nach Ablauf eines Zeitraums von vielen Jahren – hier rund zwölf Jahre nach Rechtskraft des Strafurteils – die Verjährungsfrist faktisch halbieren kann. Dies hätte zur Folge, dass die Strafvollstreckungsbehörden in vergleichbaren Konstellationen dazu gezwungen wären, zur Vermeidung der Folgen des Wegfalls der Fristenkongruenz vorsorglich Vollstreckungsmaßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu ergreifen, obwohl noch gar nicht klar ist, ob dieser Fall eintreten wird.
Damit würde der Zweck der Fristenangleichung gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB konterkariert. Eine derartige Vorgehensweise könnte darüber hinaus zu unnötigen Eingriffen in die Lebenssituation des Verurteilten führen, dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft bezweckt ist.
Der Wortlaut von § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB, wonach die Vollstreckung der einen Strafe oder Maßregel nicht früher verjährt als die der anderen – steht trotz eines möglichen Interpretationsspielraums dem vorstehenden Verständnis der Norm ebenso wenig entgegen wie die Entstehungsgeschichte der Norm. Letztere stützt vielmehr die hier vertretene Auslegung.
Das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG)8, mit dem die Vorschriften über das (Vollstreckungs)Verjährungsrecht ihre im Wesentlichen auch heute noch geltende neue Fassung erhalten haben, hat unter anderem für das Recht der Vollstreckungsverjährung die Begründung des „Entwurfs eines Strafgesetzbuchs“ (E 1962)9 weitgehend übernommen10. Dort heißt es, § 131 Abs. 4 (nunmehr § 79 Abs. 5 Satz 1 StGB) bestimme, dass bei Zusammentreffen von Freiheitsstrafe oder Geldstrafe oder einer Strafe und einer freiheitsentziehenden Maßregel oder einer Anordnung von Verfall, Einziehung oder Unbrauchbarmachung neben einer Strafe keine Strafe oder Maßnahme vor der anderen verjähre. Dies entspreche unter Erweiterung auf Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung dem § 71 StGB. Die Vorschrift erreiche, dass gleichzeitig erkannte Strafen oder Maßnahmen bei der Verfolgungsverjährung einheitlich behandelt würden11. Dies lässt sich mit den vorstehenden Überlegungen ohne Weiteres vereinbaren. Hinzu kommt, dass mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts am 1.01.197512 die bis zu diesem Zeitpunkt in § 70 Abs. 1 und 2 StGB geregelten Verjährungsfristen und die Fristenkongruenz gemäß § 71 StGB – jeweils in der bis zur diesem Tage geltenden Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuchs vom 01.09.196913 – zu einer einzigen Vorschrift zusammengeführt worden sind. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber die Regelung über die Fristenangleichung bewusst in den Kontext der sonstigen Verjährungsfristen eingefügt hat, was – wie dargelegt – gerade für seine Absicht, eine einheitliche von Unwägbarkeiten unabhängige Fristenregelung zu treffen. Das gilt umso mehr, als bereits unter der Geltung des Reichsstrafgesetzbuchs zu der vergleichbaren Bestimmung des § 71 RStGB14 kontrovers darüber diskutiert wurde, ob dann, wenn in einem Urteil auf mehrere ungleichartige Hauptstrafen erkannt worden war, für alle Strafen einheitlich die für die schwerste Hauptstrafe bestimmte Verjährungsfrist galt oder jede Strafe selbständig verjährte und gegebenenfalls die Verjährung der einen Strafe während der Vollstreckung der anderen Strafe ruhte15. Der Gesetzgeber des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts, der davon ausging, dass es sich bei § 71 StGB aF um eine Vorschrift über das Ruhen der Vollstreckungsverjährung handelte16, hat jedoch in der von ihm geschaffenen Neuregelung den materiellen Inhalt der früheren Norm in die Vorschrift über die Verjährungsfristen einbezogen und gerade nicht in den neu geschaffenen § 79a StGB, der das Ruhen der Vollstreckungsverjährung regelt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Juni 2023 – III ZR 178/22
- entgegen OLG Hamburg, Beschluss vom 01.11.2010, 2 Ws 53/10, wistra 2011, 152 ff[↩]
- BGH, Urteil vom 15.10.1981 – 4 StR 432/81, BGHSt 30, 232, 233 f; Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 79 Rn. 6; Greger/Weingarten in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 79 Rn. 5; Saliger in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. § 79 Rn. 5[↩]
- bzw. Verfall nach der alten Fassung[↩]
- zB BeckOK StGB/Dallmeyer aaO § 79 Rn. 2[↩]
- vgl. Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 79 Rn. 8[↩]
- OLG Hamburg, wistra 2011, 152, 154; so auch OLG Dresden, BeckRS 2012, 15505; Greger/Weingarten aaO Rn. 6; Dallmeyer aaO; Saliger aaO Rn. 11[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 12.06.2017 – GSSt 2/17, BGHSt 62, 184 Rn. 34; und vom 23.01.1959 – 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 337 f; Urteil vom 26.06.1958 – 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 396; Greger/Lohse/Valerius/Weingarten in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., Fünfter Abschnitt Verjährung, Vorbemerkung Rn. 1a, 1c[↩]
- BGBl. I 1969, 717[↩]
- BT-Drs. IV/650[↩]
- BT-Drs. V/4095 S. 45[↩]
- BT-Drs. IV/650 S. 260[↩]
- BGBl. I 1973 S. 909[↩]
- BGBl. I S. 1445[↩]
- RGBl. 1871 S. 217[↩]
- vgl. Übersicht über den Meinungsstand bei KG GA 1909, 341[↩]
- BT-Drs. IV/650 S. 261[↩]
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