Vollstreckungsübernahme – und das Ermessen der Staatsanwaltschaft

Übt die Staatsanwaltschaft im Exequaturverfahren im Rahmen der Vorabbewilligungsentscheidung kein Ermessen aus, ist die Strafvollstreckungskammer zu einer Entscheidung in der Sache berechtigt, wenn ersichtlich keine der tatbestandlichen, das Ermessen eröffnenden Voraussetzungen vorliegt. Das Oberlandesgericht Celle neigt der Auffassung zu, dass die Staatsanwaltschaft derzeit zur abschließenden Ermessenausübung beim Vorliegen von Bewilligungshindernissen im Sinne des § 84d IRG aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit ohnehin nicht befugt ist.

Vollstreckungsübernahme – und das Ermessen der Staatsanwaltschaft

So hat zwar die Staatsanwaltschaft im hier vom Oberlandesgericht Celle entschiedenen Fall ihre gemäß § 84e IRG zu treffende vorläufige Bewilligungsentscheidung nicht ausreichend dahingehend begründet, ob die in § 84d IRG benannten fakultativen Bewilligungshindernisse im Rahmen einer durch die Staatsanwaltschaft zu treffenden Ermessensentscheidung geltend gemacht werden sollen1. Da allerdings bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bewilligungshindernisse aus § 84d Nr. 1 bis 6 IRG offenkundig nicht vorliegen und der Staatsanwaltschaft insoweit keinerlei Ermessen eröffnet war, konnte die Strafvollstreckungskammer gemäß § 84g Abs. 3 S .1 Nr. 1 IRG, ohne die Entscheidung der Staatsanwaltschaft aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, in der Sache entscheiden2.

Aus diesem Grund kam es vorliegend auch nicht darauf an, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt noch zur Ermessensausübung im Rahmen der Entscheidung nach § 84e IRG befugt ist. Im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl (Rb-EuHB) hat der Europäische Gerichtshof3 entschieden, dass der dort in Art 6 Abs. 2 Rb-EuHB verwendete Begriff der „vollstreckenden Justizbehörde“ die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats nicht umfasst, die – wie für deutsche Staatsanwaltschaften in §§ 146, 147 GVG bestimmt – Einzelweisungen der Exekutive unterworfen werden kann. In Auslieferungsverfahren, denen ein Europäischer Haftbefehl zugrundliegt, steht der dort zuständigen Generalstaatsanwaltschaft daher keine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Geltendmachung von Bewilligungshindernissen gemäß § 83b IRG mehr zu. Das Oberlandesgericht neigt der Auffassung zu, dass deutsche Staatsanwaltschaften wegen des ihnen gegenüber bestehenden Weisungsrechts auch im Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen)) nicht mehr als „zuständige Behörde des Vollstreckungsstaates“ (Art. 12 Rb-Freiheitsstrafen) anzusehen sind und sie kein Ermessen mehr in Bezug auf die Geltendmachung von Bewilligungshindernissen im Sinne des. § 84d IRG ausüben dürfen. Wie im Anwendungsbereich des Rb-EuHB geht es auch im Rahmen der Vollstreckungsübernahme um eine Beeinträchtigung des Freiheitsrechts des Betroffenen. Und während die Staatsanwaltschaft in der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03.04.2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ausdrücklich als „Anordnungsbehörde“ benannt ist, weshalb die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes zur unabhängigen Justizbehörde im Anwendungsbereich des Rb-EuHB dort nicht zur Anwendung kommen4, ist die Staatsanwaltschaft im Rb-Freiheitsstrafen nicht ausdrücklich als „zuständige Behörde des Vollstreckungsstaates“ benannt. Die Frage konnte vorliegend aber offenbleiben, nachdem die tatbestandlichen Voraussetzungen von Bewilligungshindernissen gemäß § 84d IRG im vorliegenden Fall bereits nicht vorlagen und insofern ohnehin keine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft veranlasst war.

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Schadensersatz wegen menschenunwürdiger Haftsituation

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 1. April 2022 – 2 Ws 36/22

  1. zu den Begründungsvoraussetzungen insoweit Schomburg/Lagodny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage 2020, IRG § 84g Rn. 8[]
  2. vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.06.2018, 2 Ws 209/18[]
  3. EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-510/19[]
  4. EuGH, Urteil vom 08.12.2020 – C-584/19[]

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