Sukzessive Mittäterschaft – und der Qualifikationstatbestand

Nach materieller Tatbeendigung kommt eine sukzessive Mittäterschaft nicht mehr in Betracht1.

Sukzessive Mittäterschaft – und der Qualifikationstatbestand

So war auch in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall dem Angeklagten A. die vom Angeklagten Z. begangene gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) nicht zuzurechnen. Dieses Delikt, das von dem gemeinsamen Tatentschluss nicht umfasst war, mit dem A. nicht rechnete und das er nicht billigte, war bereits beendet, als er in das Geschehen eingriff; denn der Verletzungserfolg war schon eingetreten. Anders liegt es jedoch bei der an dem Geschädigten verübten besonders schweren räuberischen Erpressung. Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte A. daran jedenfalls insoweit beteiligt, als sich seine spontane Verständigung mit dem Angeklagten Z. von Anfang an auf die (einfache) räuberische Erpressung zum Nachteil dieses Geschädigten bezog, um gemeinschaftlich Wertgegenstände zu erlangen. Ausgehend von den Feststellungen könnte der Angeklagte A. weitergehend sukzessiver Mittäter des qualifizierten Delikts gewesen sein, indem er, nachdem er den Einsatz der Bierflasche wahrgenommen hatte, weiter an der Tatausführung mitwirkte.

Sukzessive Mittäterschaft, die sich auch auf die Verwirklichung von Qualifikationsmerkmalen beziehen kann, ist gegeben, wenn ein Mittäter in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen – wenngleich dies von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in die bereits begonnene Ausführungshandlung eines anderen eintritt. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass sie nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet wird. Nur für das, was vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen, selbst wenn der Hinzutretende die Folgen kennt, billigt und ausnutzt. Ein zur Mittäterschaft führender Eintritt ist noch nach der Tatvollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat nicht materiell beendet hat2. Infolgedessen kann eine vom ursprünglichen Tatplan nicht umfasste Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals selbst dann zugerechnet werden, wenn von dem Hinzutretenden in Kenntnis und unter Ausnutzung des qualifizierenden Umstands auf die Sicherung des Taterfolgs gerichtete Handlungen vorgenommen werden. Dies gilt nicht nur, wenn zum Zeitpunkt des Eingreifens der Erschwernisgrund noch vorliegt (hierzu BGH, Urteil vom 10.09.2020 – 4 StR 14/20, aaO), sondern auch, wenn dieser bereits abgeschlossen ist, solange das auf die Verwirklichung des Tatbestands gerichtete Täterverhalten nicht insgesamt beendet ist3.

Weiterlesen:
Der mit dem Messer um sich stechende Täter

In Anbetracht der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe hätte sich die Jugendkammer zu der Prüfung gedrängt sehen müssen, ob dem Angeklagten A. die besonders schwere räuberische Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB aufgrund sukzessiver Mittäterschaft zuzurechnen ist; hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Im Einzelnen:

Als sich der Angeklagte A. in Umsetzung des Tatplans zum Eingreifen entschloss, war dieses Delikt zwar voll, aber nicht beendet. Denn nach den Urteilsfeststellungen ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gewahrsam an den vom Geschädigten v. erpressten Wertgegenständen bereits endgültig gesichert war4. Der Angeklagte Z. befand sich noch vor Ort; der Geschädigte als berechtigter vormaliger Gewahrsamsinhaber hatte sich lediglich einige wenige Meter entfernt. Eine Gewahrsamssicherung an der Beute der Angeklagten trat demnach erst mit deren anschließender Flucht ein. Somit konnte A. durch seinen Angriff auf B. nicht nur zu einer räuberischen Erpressung zu dessen Nachteil ansetzen, sondern zugleich – in Kenntnis des eingesetzten gefährlichen Werkzeugs – eine Handlung vornehmen, die, da der Angegriffene gerade v. zu Hilfe eilte, auf die Sicherung des schon eingetretenen Erfolgs der an diesem Geschädigten begangenen besonders schweren räuberischen Erpressung zielte.

Das Landgericht war deshalb von Rechts wegen gehalten, Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten A. zu treffen, als er in das Geschehen eingriff. Insoweit wäre neben einer Kenntnis der für eine endgültige Sicherung der Wertgegenstände des Geschädigten v. maßgebenden Umstände von Bedeutung gewesen, ob der Angeklagte den Flaschenwurf nachträglich billigte. Der Nachweis, dass ein sukzessiver Mittäter mit einem zuvor eingetretenen Erschwernisgrund einverstanden gewesen ist oder ihm zumindest gleichgültig gegenübergestanden hat, ist dabei vor allem aufgrund von Rückschlüssen aus dem äußeren Tatgeschehen möglich5.

Weiterlesen:
Verfallsanordnung - und das Absehen bei unbilliger Härter

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Januar 2022 – 3 StR 245/21

  1. s. BGH, Urteile vom 12.08.2014 – 5 StR 264/14, StV 2016, 106 Rn. 6; vom 16.06.2016 – 3 StR 124/16 23; Beschluss vom 07.03.2017 – 3 StR 517/16, NStZ-RR 2017, 134, 135[]
  2. s. BGH, Urteil vom 10.09.2020 – 4 StR 14/20 7 mwN[]
  3. s. BGH, Urteile vom 24.04.1952 – 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344; vom 19.09.2001 – 2 StR 224/01, NStZ-RR 2002, 9; Beschluss vom 22.07.2003 – 4 StR 265/03, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 4; Urteil vom 19.03.2013 – 5 StR 575/12, NStZ 2013, 400, 401; Beschlüsse vom 22.05.2013 – 2 StR 14/13, NStZ-RR 2014, 73; vom 07.03.2016 – 2 StR 123/15, NStZ 2016, 524, 525; Urteil vom 25.04.2017 – 5 StR 433/16, NStZ-RR 2017, 221, 222; BeckOK StGB/Kudlich, 51. Ed., § 25 Rn. 58; MünchKomm-StGB/Sander, 4. Aufl., § 250 Rn. 71[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 04.04.1984 – 3 StR 90/84, NStZ 1984, 409; vom 27.08.2002 – 1 StR 287/02, NStZ-RR 2002, 334; vom 23.02.2005 – 1 StR 23/05, NStZ 2005, 387; vom 28.01.2014 – 4 StR 528/13, NJW 2014, 871 Rn. 6; ferner MünchKomm-StGB/Sander, 4. Aufl., § 255 Rn. 12[]
  5. s. BGH, Urteil vom 25.04.2017 – 5 StR 433/16, NStZ-RR 2017, 221, 222; ferner BGH, Urteil vom 19.09.2001 – 2 StR 224/01, NStZ-RR 2002, 9; Beschluss vom 22.07.2003 – 4 StR 265/03, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 4; Urteile vom 19.03.2013 – 5 StR 575/12, NStZ 2013, 400, 401; vom 04.11.2021 – 3 StR 490/20 14[]
Weiterlesen:
Raub mit Todesfolge - und die Haftung des Mittäters