Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung setzten nach § 100a StPO (in der 2011 geltenden Fassung) zunächst voraus, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, der Beschuldigte habe als Täter oder Teilnehmer eine Straftat nach §§ 129, 129a StGB oder eine sonstige Katalogtat begangen.

begangen. Die Norm verlangt danach – insoweit in Übereinstimmung mit der heute geltenden Fassung – keinen bestimmten Verdachtsgrad; der Tatverdacht muss daher insbesondere weder hinreichend im Sinne des § 203 StPO noch gar dringend im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO sein. Vielmehr erfordert § 100a StPO nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen muss. Dabei sind mit Blick auf das Gewicht des in Rede stehenden Grundrechtseingriffs Verdachtsgründe notwendig, die sich auf eine hinreichende Tatsachenbasis stützen und mehr als nur unerheblich sind. Es müssen solche Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung, in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Katalogtat begangen hat; erforderlich ist, dass der Verdacht durch schlüssiges Tatsachenmaterial bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung erreicht hat. Den die Maßnahme anordnenden Stellen steht bei der Prüfung des Tatverdachts ein Beurteilungsspielraum zu. Maßstab für die auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkte Prüfung nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO ist insoweit, ob die genannten Stellen diesen Beurteilungsspielraum gewahrt oder überschritten haben. Die Tatsachengrundlage hierfür bietet der jeweilige damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand1.
Dabei durften im hier entschiedenen Fall auch die vom Bundeskriminalamt präventivpolizeilich zusammengetragenen Beweisergebnisse im Rahmen des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens zur Begründung der Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und Anordnungen des Generalbundesanwalts zweckändernd verwendet werden.
Rechtsgrundlage für die Weitergabe der vom Bundeskriminalamt gefahrenabwehrrechtlich erlangten Daten an den Generalbundesanwalt war § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG. Zu dessen Anwendbarkeit und Voraussetzungen gilt:
Unter anderem im Hinblick darauf, dass die Regelung in § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 BKAG dem Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung nur unzureichend Rechnung trägt, ist die Norm aufgrund ihrer Weite verfassungswidrig2. Dies führt indes nicht zur Unwirksamkeit der in der Vergangenheit auf sie gestützten Datenübermittlungen. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gilt die Vorschrift vielmehr – wenngleich für die aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen erlangten Daten nur mit Einschränkungen – bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 30.06.2018 fort3. Aufgrund dieser Weitergeltungsanordnung ist § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG weiterhin anwendbar mit der Folge, dass die auf diese Regelung gestützten Rechtsakte – vorbehaltlich der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen – ihre Gültigkeit behalten4.
Die Übermittlung der präventivpolizeilich ermittelten Erkenntnisse durch das Bundeskriminalamt an den Generalbundesanwalt war im vorliegenden Fall nach Ansicht des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof auch gemäß § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG zur Strafverfolgung erforderlich. Nach der Beweislage standen die Beschwerdeführer zumindest im Verdacht, dem Al-Qaida-Mitglied K. bei seinen Anschlagsvorbereitungen geholfen und sich hierdurch wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB strafbar gemacht zu haben5. Da der Generalbundesanwalt bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von den Aktivitäten K. s und der Beschwerdeführer hatte, waren strafrechtliche Ermittlungen ohne die Mitteilung des Bundeskriminalamts nicht möglich. Die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist im – hier vorliegenden – Fall des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bedroht (§ 129a Abs. 5 Satz 1 StGB), so dass auch die Voraussetzungen des § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 BKAG erfüllt waren. Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beschwerdeführer – wie vom Generalbundesanwalt bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens; und vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in den angegriffenen Beschlüssen angenommen – über den Verdacht der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung hinaus schon zu diesem Zeitpunkt im Sinne eines tatsachengestützten Anfangsverdachts verdächtig waren, ihrerseits jeweils als Mitglied von Al-Qaida agiert und sich dementsprechend wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Vereinigung strafbar gemacht zu haben.
Die gemäß § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG schließlich erforderliche Berechtigung des Generalbundesanwalts zur Abfrage und Verwendung der Daten folgte aus § 161 Abs. 1 und 2 StPO, hinsichtlich der Daten aus einer Wohnraumüberwachung aus § 161 Abs. 2 Satz 2, § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO.
Auch die Übermittlung der aus den (akustischen) Wohnraumüberwachungen (§ 20h BKAG) am 26.03.sowie 1., 8. und 11.04.2011 gewonnenen Erkenntnisse war durch § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG gedeckt. Nach den Maßgaben der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts ist die Übermittlung derartiger Daten unter der Einschränkung zulässig, dass eine dringende Gefahr für die in § 20h Abs. 1 BKAG genannten Rechtsgüter vorliegt6. Eine solche Gefahrenlage war im Zeitpunkt der Übermittlung der Daten durch das Bundeskriminalamt an den Generalbundesanwalt gegeben.
Der polizeirechtliche Begriff der dringenden Gefahr baut im Sinne eines qualifizierten Rechtsgüterschutzes auf demjenigen der konkreten Gefahr auf. Er nimmt Bezug auf das Ausmaß, aber auch auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens7 und verlangt, dass eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein bedeutendes Rechtsgut schädigen wird. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden wäre. Nicht ausreichend zur Begründung einer Gefahrenlage sind indes bloße Vermutungen oder die Inbezugnahme einer allgemeinen Sicherheitslage8.
Nach diesen Maßstäben waren die in § 20h Abs. 1 BKAG genannten Schutzgüter, insbesondere Leib und Leben einer Person und Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, auch bei Beachtung der gebotenen Strenge9 im Zeitpunkt der Übermittlung der vom Bundeskriminalamt erhobenen Daten dringend gefährdet. Die Beweislage wies auf eine von Al-Qaida veranlasste Vorbereitung eines terroristischen Sprengstoffanschlags durch K. und die Beschwerdeführer hin. Für den Fall einer erfolgreichen Umsetzung des Vorhabens ließ dies befürchten, dass es in einem nicht abschätzbaren Umfang zu Toten und Verletzten kommen könnte. Der Gefahrengrad war als hoch einzustufen; die Hinweise auf das Vorhaben K. s und seine Unterstützung durch die Beschwerdeführer waren stichhaltig und gingen deutlich über Spekulationen und vage Vermutungen hinaus. So ließ der Erkenntnisstand nicht nur auf extremistische Grundeinstellungen der Beteiligten schließen. Hinsichtlich K. war darüber hinaus der konkrete Verdacht begründet, dass er sich bereits in einem von Al-Qaida unterhaltenen pakistanischen Ausbildungslager aufgehalten hatte. Diese Einschätzungen wurden zuletzt auch dadurch entscheidend gestützt, dass die Betroffenen ihre konspirative Kommunikation untereinander nach den Ergebnissen der Wohnraumüberwachung sogar in der Wohnung von S. aufrecht hielten. Das Ausmaß möglicher Anschläge war nicht abzusehen; jedoch ließen die auch schon im damaligen Zeitraum bestehenden Erfahrungen mit Selbstmordattentaten durch radikale Islamisten, das konspirative Vorgehen der Beteiligten sowie deren Internetrecherchen (insb. „The Explosive Course“, Suche nach Mitteln zur Herstellung von Sprengstoff) auf ein erhebliches Potenzial schließen. Der Zeitpunkt des geplanten Anschlags war zwar ungewiss; es ließ sich auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse (mutmaßlicher Kontakt von K. zu Scheich Atiyatallah; Recherche nach zur Herstellung von Sprengstoff geeigneten Mitteln) indes nicht ausschließen, dass es in überschaubarer Zukunft zu einem solchen kommen würde. Angesichts der in die Bewertung des Gefahrengrads einfließenden Folgenbetrachtung gibt es insoweit nichts zu erinnern.
Der Generalbundesanwalt war zum Auskunftsverlangen gegenüber dem Bundeskriminalamt und zur weiteren Verwendung der erlangten Daten befugt (§ 161 Abs. 1 und 2 StPO). In Bezug auf die Maßnahmen aus der akustischen Überwachung der Wohnung S. s lagen auch die engeren Voraussetzungen von § 161 Abs. 2 Satz 2, § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO vor. Die Beschwerdeführer waren jedenfalls der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung und damit einer Katalogtat nach § 100d Abs. 5 Nr. 3 i.V.m. § 100c Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b StPO im Sinne eines tatsachengestützten Anfangsverdachts verdächtig.
Eine andere Beurteilung des Gefahrenverdachts folgt auch nicht daraus, dass die strafprozessuale Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten nach § 161 Abs. 1 und 2, § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Datenerhebung voraussetzt10. Die vom Bundeskriminalamt ergriffenen präventivpolizeilichen Überwachungsmaßnahmen begegnen zwar teilweise rechtlichen Bedenken. Dies führte indes nicht zum Wegfall der wesentlichen Tatsachengrundlage, auf der der gegen die Beschwerdeführer bestehende Tatverdacht beruhte.
Dass Daten aufgrund einer präventiv polizeilichen Maßnahme rechtswidrig erhoben wurden, steht ihrer zweckändernden strafverfahrensrechtlichen Verwendung nach der – verfassungsrechtlich unbedenklichen11 – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht von vornherein entgegen. Entsprechend den Grundsätzen zu den sog. relativen Verwertungsverboten bedarf es in diesen Fällen allerdings einer Abwägung im Einzelfall, ob die Rechtswidrigkeit der Datenerhebung auch die zweckändernde Verwendung – wie hier zur Begründung verdeckter grundrechtsintensiver Ermittlungsmaßnahmen – verbietet12. Dabei kann der Bundesgerichtshof erneut offenlassen, ob von diesem Ergebnis abzuweichen wäre, wenn durch die Nutzung der rechtswidrig erhobenen Daten eine in der Verwendungsregelung enthaltene Beschränkung umgangen würde, etwa wenn die Wohnraumüberwachung nicht zur Aufklärung einer Katalogtat oder eines vergleichbaren präventivpolizeilichen Zwecks angeordnet wurde13. Zu einer solchen Verletzung der Verwendungsbeschränkung ist es im hier entschiedenen Fall nicht gekommen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Januar 2017 – StB 26 und 28/14
- BGH, Beschlüsse vom 11.03.2010 – StB 16/09, NStZ 2010, 711 m. zahlr. w.N.; vom 11.08.2016 – StB 12/16 9[↩]
- BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220, 337 ff.[↩]
- BGBl. I S. 1136; BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220, 351 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, BVerfGE 114, 73, 104; Maunz-Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 50. EL, § 31 Rn. 232, § 35 Rn. 45a mwN[↩]
- zur Bewertung von Al-Qaida als terroristische Vereinigung im damaligen Zeitraum vgl. auch BGH, Urteil vom 14.08.2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.; Beschluss vom 10.03.2011 – AK 5/11, NStZ-RR 2011, 176[↩]
- BGBl. I S. 1136; BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220, 352[↩]
- BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220, 271, 296[↩]
- BGH, Urteil vom 14.08.2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 83 f., 93 mwN[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a., BVerfGE 141, 220, 296[↩]
- BGH, Urteil vom 14.08.2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 83 [zu § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO][↩]
- BVerfG, Beschluss vom 07.12 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 28 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 14.08.2008 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 86 ff. m. zahlr. w.N.[↩]
- vgl. BGH aaO, S. 89 f.[↩]