Totschlag durch Unterlassen – durch die Tochter

Eine Tochter ist gegenüber der mit ihr zusammen lebenden Mutter garantenpflichtig im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB. Ihre Garantenstellung folgt aus der Schutzpflicht, die sie als Tochter gegenüber ihrer mit ihr in Hausgemeinschaft lebenden Mutter innehatte.

Totschlag durch Unterlassen – durch die Tochter

Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese als Grundnorm für die gegenseitigen Beziehungen der Familienmitglieder ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte Vorschrift soll zwar nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich Leitlinien aufzeigen; unmittelbare Rechtsfolgen sollten an einen Verstoß nicht geknüpft sein1. Gleichwohl kommt der Regelung im Hinblick auf ihre Leitbildfunktion Bedeutung bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ausfüllung von Lücken zu2. Auch über das bürgerliche Recht hinaus entfaltet § 1618a BGB Wirkung als Wertmaßstab3. Dass Eltern und Kinder nach dieser Norm Verantwortung füreinander tragen, beansprucht somit auch Geltung für die strafrechtliche Betrachtung4.

Das bedeutet, dass bei der Prüfung einer Einstandspflicht von Kindern gegenüber Eltern im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB maßgeblich auf § 1618a BGB zurückzugreifen ist5. Ob Kinder nach dieser Vorschrift indes bereits allein aufgrund der formal bestehenden familienrechtlichen Beziehung ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer effektiven Familiengemeinschaft zur Hilfeleistung gegenüber ihren Eltern verpflichtet sind6, muss der Bundesgerichtshof hier nicht entscheiden. Die Angeklagte lebte mit ihrer Mutter in häuslicher Gemeinschaft.

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Diese – tatsächliche – Gemeinschaftsbeziehung erhält durch § 1618a BGB ihre spezifische rechtliche Ausgestaltung. Der sonst für das Vorliegen einer Garantenpflicht bei tatsächlichem Zusammenwohnen notwendigen – jedenfalls konkludenten – Erklärung der Übernahme einer Schutzfunktion im Einzelfall7 bedarf es in Fällen wie dem vorliegenden somit nicht. Vielmehr begründet die in § 1618a BGB normierte familiäre Solidarität schon von Gesetzes wegen im Eltern-Kind-Verhältnis bei faktischem Zusammenleben in aller Regel eine gegenseitige Schutzpflicht, die als Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB das Handeln gebietet8.

Ob die Art der familiären Beziehungen im konkreten Fall ein gegenseitiges Vertrauen auf Beistand rechtfertigt und diese von gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Respekt getragen sind, ist insoweit unerheblich.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16

  1. BT-Drs. 8/2788, S. 36, 43[]
  2. Staudinger/Hilbig-Lugani, BGB, 2015, § 1618a Rn. 6, 11, 13[]
  3. Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, Rn.20[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2003 – 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301, 304 zu § 1353 BGB[]
  5. Staudinger/Hilbig-Lugani, aaO, Rn. 21; Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1618a Rn. 3[]
  6. allgemein ablehnend Fischer, StGB, 63. Aufl., § 13 Rn. 25; MünchKomm-StGB/Freund, 3. Aufl., § 13 Rn. 177; vgl. auch S/S-Stree/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 13 Rn.19/20[]
  7. vgl. hierzu BGH, Urteile vom 07.09.1983 – 2 StR 239/83, NStZ 1984, 163 f.; vom 08.04.1987 – 3 StR 91/87, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 3[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1963 – 4 StR 390/63, BGHSt 19, 167 ff.; bei Ehegatten schon BGH, Urteil vom 12.02.1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 153 f.; im Ergebnis ebenso LK/Weigend, StGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 26; enger SK-StGB/Rudolphi/Stein, 119. Lfg., § 13 Rn. 49[]
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