Auch der Führer einer Pferdekutsche ist ab einem Blutalkoholgehalt von 1,1 g vT absolut fahruntüchtig.

Die Pferdekutsche ist ein Fahrzeug im Sinne von § 316 StGB, § 24 StVO. Der Grenzwert der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit für Führer von Kraftfahrzeugen (1,1‰) ist auf den Führer eines Pferdegespanns übertragbar.
Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Festlegung von Grenzwerten im Straßenverkehr entwickelten Grundsätze sprechen nach Überzeugung des Oberlandesgerichts für eine entsprechende Übertragbarkeit.
Der Bundesgerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 09.12 19661 hervorgehoben, dass ein Kraftfahrer (unter Berücksichtigung eines im Hinblick auf etwaige Ungenauigkeiten bei der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes gebotenen Sicherheitszuschlages von 0,2‰) bei einer Alkoholkonzentration von 1,3‰ nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen schwieriger Verkehrslagen, wie sie jederzeit eintreten könnten, zu genügen. Seine psychophysische Leistungsfähigkeit sei dann so vermindert und seine Gesamtpersönlichkeit so wesentlich verändert, dass er den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewusstes Handeln zu genügen vermag. Die Teilnahme eines solchen Kraftfahrers am Straßenverkehr sei nicht mehr zu verantworten. Er sei fahruntüchtig2.
Nachdem der Bundesgerichtshof diesen Grenzwert mit seiner Entscheidung vom 29.10.19813 zunächst auf Mofafahrer übertragen hatte, setzte er am 17.07.19864 den Grenzwert für Radfahrer auf 1,7‰ BAK fest.
Bei der Festlegung des Grenzwertes für Radfahrer sei von erheblicher Bedeutung, dass alkoholisierte Radfahrer wegen ihrer Gleichgewichtsbeeinträchtigung durch plötzliche, unkontrollierte Lenkbewegungen andere, erheblich schneller fahrende Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern veranlassen könnten, die nicht nur für die ausweichenden, sondern vor allem auch für die entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer in hohem Maße gefährlich seien.
Mit Beschluss vom 28.06.19905 hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert für Kraftfahrer – mit einem Sicherheitszuschlag von 0,1‰ – auf 1,1‰ BAK herabgesetzt. Dabei seien zur Reduzierung die bei Fahrversuchen erzielten Erkenntnisse berücksichtigt worden, weil bei diesen das Fahrverhalten als komplexes Zusammenspiel aller psycho-physischen Leistungskomponenten des Fahrzeugführers unter dem Einfluss der jeweiligen individuellen Besonderheiten analysiert worden sei. Zudem hätten sich die Verkehrsverhältnisse seit 1966 so stark verändert, dass die Leistungsanforderungen an den einzelnen Kraftfahrer wesentlich gestiegen seien, was sich besonders in der Zunahme der Verkehrsdichte zeige. Je höher die an den Kraftfahrer aufgrund des Verkehrsgeschehens allgemein gestellten Leistungsanforderungen seien, um so eher begründeten bei ihm auftretende alkoholbedingte psycho-physische Leistungseinbußen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer, steigere sich also die Gefährlichkeit des alkoholisierten Fahrzeugführers6.
Hinsichtlich des für Radfahrer geltenden Wertes wird heute mit Blick auf die Genauigkeit verbesserter Messverfahren nur noch ein Sicherheitszuschlag von 0,1‰ vorgenommen, weshalb der Grenzwert sich mit 1,6‰ BAK errechnet7.
In der Rechtsprechung wird der für Radfahrer geltende Grenzwert teilweise auf Benutzer von elektrisch angetriebenen Rollstühlen übertragen8. Beim Führen von Schienenfahrzeugen sind keine absoluten Grenzwerte festgelegt; die wohl h.M. will jedoch den für Radfahrer maßgeblichen Wert anwenden9.
Der Bundesgerichtshof orientiert sich demnach für die Beurteilung, ab wann eine zur absoluten Fahruntüchtigkeit führende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers gegeben ist, an dem in Rede stehenden Fahrzeug selbst und den im Straßenverkehr an die Nutzung dieses Fahrzeugtyps gestellten Anforderungen. Je höher diese Anforderungen sind, desto niedriger fällt der Grenzwert aus. So erfordert etwa das Führen eines PKW im fließenden Verkehr mit Blick auf die Verkehrsdichte, den hierzu erforderlichen technischen Bedienvorgängen des Fahrzeugs und die erreichbare Geschwindigkeit eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit, als das Führen eines Fahrrades.
Gemessen daran hält das Oberlandesgericht Oldenburg bei einem Gespannfahrer die Anwendung des für Kraftfahrer geltenden Grenzwertes für geboten.
Der Gegenansicht ist zuzugestehen, dass die für Radfahrer durchgeführten empirischen Untersuchungen so ausgestaltet waren, dass der alkoholbedingten Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns – im Gegensatz zum Führen eines Fahrzeuges mit mehr als zwei Rädern – eine besondere Rolle zukam. Die Probanden sollten Kreis- und Slalomfahrten sowie Tordurchfahrten fehlerfrei durchführen, wobei die Strecken durch Kegel – beziehungsweise im Falle der Kreisdurchfahrt durch Kreidestriche – markiert waren. Als Fehler wurden dabei Stürze, Umstoßen und Berühren oder Auslassen von Kegeln, das Überfahren der Linien sowie Bodenberührungen mit dem Fuß gewertet.
Bei Zugrundelegung eines höheren Grenzwertes wird jedoch nicht ausreichend gewürdigt, dass ein Gespannwagenfahrer im Vergleich zu einem Radfahrer ungleich höhere Anforderungen zu erfüllen hat. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat zum Umfang der Anforderungen, die an einen im Straßenverkehr fahrenden Kutschführer zu stellen sind, den Sachverständigen … angehört.
Das Oberlandesgericht hat angesichts dessen jahrzehntelanger Tätigkeit als Pferdezüchter und als Turnierrichter für Gespannwagen sowie des Umstandes, dass er selbst alle Arten von Pferdegespannen fährt, keine Bedenken an der Sachkunde des Sachverständigen; solche sind ebenso nicht von den anderen Beteiligten geäußert worden.
Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen müsse ein Kutschführer im Straßenverkehr vielfältige Anforderungen erfüllen, weshalb er – der Sachverständige – sogar eine Fahrausbildung für unerlässlich halte. Fahrfehler des Kutschers – wie Verlust des Gleichgewichts, zu locker geführte Leinen oder Fehleinschätzungen einer Verkehrssituation – könnten sich gefährlich auswirken, weil das Pferd – mit Ausnahme des immer dieselbe Strecke zurücklegenden Tieres – zu keiner angemessenen Eigenreaktion fähig sei, sondern sich auf seine Führung durch den Fahrer verlasse. Im Hinblick auf den Umstand, dass das Pferd ein Fluchttier sei und jederzeit etwas Unverhofftes passieren könne, komme der Reaktionsfähigkeit des Kutschers daher besondere Bedeutung zu. Das Maß der notwendigen Reaktionsfähigkeit sei grundsätzlich von der Rasse und dem Temperament der Pferde abhängig; je höher das Pferd „im Blut stehe“, desto sensibler reagiere das Tier, was die Gefahr eines „Ausbrechens“ erhöhe. Der Fahrer sei gehalten, die Pferde – insbesondere ihre Ohren – während der Normalfahrt, bei der eine Geschwindigkeit von circa 8 km/h erreicht werde, und erst recht bei einer im Vergleich dazu schnelleren Trabfahrt ständig zu beobachten und ihr Verhalten zu reflektieren. Sollte ein Tier ausbrechen, könne die Kutsche im vollen Galopp eine Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h erreichen. Es sei in einer solchen Situation aufgrund des Fluchtinstinktes schwierig, die Pferde und die Kutsche zum Stehen zu bekommen; im Regelfall ließen sich die Tiere erst durch Hindernisse aufhalten. Der Gespannführer müsse somit – anders als ein Radfahrer – jederzeit in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit reagieren und seine für die Führung der Pferde wichtige Stimme sowie die Leinen einsetzen zu können.
Zur Überzeugung des Oberlandesgerichts Oldenburg hat ein Gespannfahrer demnach eine weitaus schwierigere Aufgabe als der Radfahrer zu bewältigen, da er jederzeit in der Lage sein muss, auf das die Kutsche ziehende Pferd lenkend einzuwirken. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das lebende Tier keinesfalls als so berechenbar erweist, wie dies – abgesehen von plötzlich auftretenden technischen Defekten – bei einem Auto oder einem Fahrrad der Fall ist.
Diese erhöhte Aufmerksamkeit und Einwirkungsfähigkeit ist nicht etwa erst bei einem „durchgehenden“ Pferd gefordert, sondern mit Blick auf die Schreckhaftigkeit von Pferden, die im Straßenverkehr nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen … etwa durch die Betriebsgeräusche von Kraftfahrzeugen oder zu dichtes Heranfahren noch deutlich erhöht sei, jederzeit erforderlich, um besonders heikle Verkehrssituationen rechtzeitig zu erkennen und darauf das gefährliche „Durchgehen“ des Tieres von vornherein zu vermeiden. Das steuernde Einwirken auf ein Pferd setzt demnach ständig die volle Konzentration des Kutschers voraus.
Es ist daher nicht erkennbar, dass die typischen alkoholbedingten Einbußen in der Leistungsfähigkeit, wie etwa die Verringerung der Aufmerksamkeit des Reaktionsvermögens, die Erhöhung der Risikobereitschaft bei gleichzeitiger Reduzierung des Risikobeurteilungsvermögens oder die Einengung des Sichtfeldes („Tunnelblick“), bei einem Kutscher für die Beeinträchtigung der Fähigkeit zum sicheren Führen des Gespanns in geringerem Ausmaß zum Tragen kämen, als bei anderen Fahrzeugführern.
Vor diesem Hintergrund sind die an einen Kutscher im Straßenverkehr für ein sicheres Führen seines Fahrzeugs zu stellenden Anforderungen nach Überzeugung des Oberlandesgerichts jedenfalls nicht geringer zu bewerten, als diejenigen, die ein Kraftfahrer zu erfüllen hat.
Die Festlegung eines höheren Grenzwertes berücksichtigt weiter nicht zureichend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Festlegung des Grenzwertes neben der alkoholbedingten Änderung der Leistungsfähigkeit und Beeinträchtigung der Gesamtpersönlichkeit des Fahrzeugführers besondere Bedeutung der Fahrzeugtypizität und dem durch sie bedingten Potential zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zukommt10.
Nimmt man eine solche Betrachtung vor, stellt sich das von einer Kutsche im Straßenverkehr ausgehende Potential zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer als dem von einem PKW ausgehenden Risiko durchaus vergleichbar und deutlich höher dar, als die von einem Fahrrad ausgehende mögliche Fremdgefahr.
So folgt bei Fahrrädern die Gefährdung weniger aus dem denkbaren Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer oder Sachen als unmittelbarem Risiko, sondern vor allem daraus, dass erheblich schneller fahrende Verkehrsteilnehmer durch plötzliche, unkontrollierte Lenkbewegungen zum Ausweichen veranlasst werden und so nicht nur den ausweichenden Verkehrsteilnehmer selbst, sondern auch den Gegenverkehr gefährden11.
Demgegenüber ist eine Kutsche zwar nicht in ihrer Geschwindigkeit, wohl aber mit Blick auf Fahrzeuggröße und -gewicht sowie Wendigkeit einem PKW vergleichbar. Die grundsätzlich gefahrsenkende, geringere Geschwindigkeit der Kutsche wird durch die gefahrerhöhende besondere Unberechenbarkeit des zu lenkenden Pferdes wieder aufgewogen. Im Übrigen spricht eine im Vergleich zum PKW geringere Geschwindigkeit nicht ohne weiteres gegen eine Anwendung des für Kraftfahrer geltenden Grenzwertes, weil dieser auch bisher schon für Fahrzeuge mit geringerer Höchstgeschwindigkeit gilt12.
Zur Überzeugung des Oberlandesgerichts kommt dem Pferdegespann letztlich ein dem PKW vergleichbares unmittelbares Potential zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu, das sich auch nicht – wie etwa bei einem alkoholisierten Fahrradfahrer – vor allem mittelbar in Ausweichmanövern Dritter manifestiert.
Dem Kutscher fällt schon in nüchternem Zustand die – wie oben gezeigt – im Vergleich zum Führer eines Kraftfahrzeuges weitaus schwerere Aufgabe zu, Kutsche und Tier zu beherrschen. Weil ein Pferd aufgrund des Fluchtinstinktes nahezu unbeherrschbar wird, ist die davon ausgehende Gefahr nur im Vorfeld durch eine eigenveranlasste Einwirkung auf das Tier einzudämmen, was einem alkoholisierten Kutscher nicht in gleicher Weise möglich ist.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hält daher insgesamt den Grenzwert von 1,1‰ BAK für die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern auf den Führer einer Pferdekutsche für übertragbar.
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 24. Februar 2014 – 1 Ss 204/13
- BGH, Urteil vom 09.12.1966 – 4 StR 119/66, BGHSt 21,157[↩]
- vgl. BGHSt 21,157 <160 ff.>[↩]
- BGH, Urteil vom 29.10.1981 – 4 StR 262/81,BGHSt 30,251[↩]
- BGH, Urteil vom 17.07.1986 – 4 StR 543/85, BGHSt 34, 133[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.06.1990 – 4 StR 297/90[↩]
- vgl. BGHSt 37, 89[↩]
- vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 316, Rn. 26 f.[↩]
- Fischer, aaO., Rn. 27[↩]
- vgl. Fischer, aaO., Rn. 28 m.w.N.[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.07.1986 – 4 StR 543/85, BGHSt 34, 133 – 137[↩]
- siehe auch BGH, a.a.O, , Rn. 10[↩]
- vgl. BGHSt 30,251; betreffend Mofafahrer; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.12 2010 – 2 St OLG Ss 230/10, bejaht für den Führer eines elektrobetriebenen Krankenfahrstuhls mit einer Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h[↩]