Die Bundesrepublik Deutschland darf gegen ein Luftfahrtunternehmen, dem von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist, wegen des ungenehmigten Einflugs aus Drittstaaten keine Geldbuße verhängen, weil das Genehmigungserfordernis gegen Art 18 AEUV verstößt1.

Soweit Flüge von Deutschland nach Moskau ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt wurden, folgt der gebotene Freispruch bereits aus den Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes. § 58 Abs. 1 Nr. 12a LuftVG ist nicht einschlägig, weil sich diese Vorschrift nur auf ungenehmigte Einflüge i. S. d. § 2 Abs. 7 LuftVG bezieht.
Eine Verurteilung kann auch nicht alternativ auf § 58 Abs. 1 Nr. 12 LuftVG gestützt werden, wonach es bußgeldbewehrt ist, wenn ein Betroffener mit einem Luftfahrzeug ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 6 LuftVG den Geltungsbereich des Luftverkehrsgesetzes verlässt. Gemäß § 2 Abs. 6 LuftVG benötigen lediglich deutsche Luftfahrzeuge eine Ausfluggenehmigung.
Soweit die Betroffene ohne Genehmigung in den Luftraum der Bundesrepublik Deutschland eingeflogen ist, kommt eine Verurteilung ebenfalls nicht in Betracht. Sie hat durch die unter I dargestellten sieben ungenehmigten Einflüge zwar den deutschen Bußgeldtatbestand (§ 58 Abs. 1 Nr. 12a LuftVG) erfüllt. Weil die Flugzeuge der Betroffenen nicht über eine im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland erteilte Verkehrszulassung verfügen, benötigen sie nach § 2 Abs. 7 Satz 1 LuftVG eine Einfluggenehmigung; diese war in sämtlichen 7 Fällen vom zuständigen Bundesverkehrsministerium (§ 94 LuftVZO), das seinerseits die Kompetenz an das Luftfahrbundesamt delegiert hat, nicht erteilt. Die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 7 Satz 2 LuftVG, wonach eine Erlaubnis nicht erforderlich ist, wenn sich aus völkerrechtliche Abkommen ein Recht zum genehmigungsfreien Einflug ergibt, ist hier nicht einschlägig. Insbesondere folgt ein solches Recht nicht aus Art 5 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 (Chicagoer Abkommen), dem die Bundesrepublik Deutschland durch Zustimmungsgesetz vom 7. April 19562 beigetreten ist. Aus Art 5 Abs. 1 des Abkommens ergibt sich ein Recht zum erlaubnisfreien Einflug für den Gelegenheitsverkehr nur bei nicht gewerblichen Landungen. Bei entgeltlicher Beförderung von Passagieren – wie im vorliegenden Fall – behalten sich die Vertragsstaaten in Art 5 Abs. 2 des Abkommens ausdrücklich weitere Einschränkungen („regulations, conditions or limitations“) vor. Von dieser Möglichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland im Luftverkehrsgesetz Gebrauch gemacht.
Gegen die Betroffene durfte dennoch wegen Verstoßes gegen Art 18 AEUV keine Geldbuße nach § 30 OWiG (Verbandsgeldbuße) festgesetzt werden. Die Prüfung der nationalen Vorschriften – hier des LuftVG – obliegt zwar nicht dem Unionsgerichtshof3. Der Unionsgerichtshof hat aber anerkannt, dass der Verstoß gegen primäres Gemeinschaftsrecht zur Unanwendbarkeit einer nationalen Straf- oder Bußgeldvorschrift führt4. Das Oberlandesgericht Braunschweig gibt insoweit seine gegenteilige Rechtsprechung5 auf.
Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot liegt vor. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Luftfahrtunternehmen dem Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots von Art. 12 EGV6 unterfallen7. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs schadet es ferner nicht, dass es sich bei der Betroffenen um eine juristische Person handelt; sie werden ebenfalls geschützt8.
Die Betroffene ist zudem – was ebenfalls zu fordern ist9- im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig geworden. Sowohl das Genehmigungserfordernis des § 2 Abs. 7 LuftVG selbst als auch das konkrete Handeln des Luftfahrtbundesamts verstoßen schließlich gegen Art 18 AEUV. Dies ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18.03.201410, in dem das Gericht die Vorlagefragen wie folgt beantwortet hat: Art 18 AEUV, in dem das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit niedergelegt ist, findet auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche Anwendung, in der ein erster Mitgliedstaat von einem Luftfahrtunternehmen mit einer Betriebsgenehmigung, die von einem zweiten Mitgliedstaat erteilt worden ist, verlangt, dass es zur Durchführung von Bedarfsflügen aus einem Drittstaat in den ersten Mitgliedstaat eine Erlaubnis zum Einflug in den Luftraum dieses ersten Mitgliedstaats einholt, während eine solche Erlaubnis für Luftfahrtunternehmen mit einer Betriebsgenehmigung, die von dem ersten Mitgliedstaat erteilt worden ist, nicht verlangt wird. Art 18 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines ersten Mitgliedstaates entgegensteht, mit der zum einen unter Androhung einer Geldbuße im Fall ihrer Nichtbeachtung von einem Luftfahrtunternehmen mit einer Betriebsgenehmigung, die von einem zweiten Mitgliedstaat erteilt worden ist, verlangt wird, dass es zur Durchführung von Bedarfsflügen aus einem Drittstaat in diesen ersten Mitgliedstaat eine Erlaubnis zum Einflug in den Luftraum des ersten Mitgliedstaats einholt, während eine solche Erlaubnis für Luftfahrtunternehmen mit einer von dem ersten Mitgliedstaat erteilten Betriebsgenehmigung nicht verlangt wird, und die zum anderen die Erteilung dieser Erlaubnis von dem Nachweis abhängig macht, dass Luftverkehrsunternehmen mit einer von dem ersten Mitgliedstaat erteilten Betriebsgenehmigung nicht bereit oder in der Lage sind, diese Flüge durchzuführen.
Weil ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV) vorliegt, durfte die Bundesrepublik Deutschland der Betroffenen keine Verbandsgeldbuße auferlegen. Die Betroffene ist vielmehr aus Rechtsgründen freizusprechen. Dies betrifft nicht nur jene Fälle, in denen die Genehmigung vor den Einflügen aus wirtschaftsprotektionistischen Gründen wegen des Fehlens der Nichtverfügbarkeitserklärung versagt und deshalb Geldbußen verhängt wurden. Da bereits das Genehmigungserfordernis des § 2 Abs. 7 LuftVG gegen Art 18 AEUV verstößt, erfasst das Bestrafungsverbot auch die übrigen vier Fälle des ungenehmigten Einflugs, die ebenfalls mit Geldbußen geahndet wurden.
Oberlandesgericht Braunschweig für Bußgeldsachen, Beschluss vom 14. Mai 2014 – Ss (OWi) 148/11
- anders noch OLG Braunschweig, Beschluss vom 26.05.2010, Ss (OWi) 82/09[↩]
- BGBl. II S.411[↩]
- EuGH, Urteil vom 06.03.2007 – C‑338/04 68 [Placanica][↩]
- EuGH, Urteil vom 29.04.1999 – C‑224/97 34 [Unanwendbarkeit einer österreichischen Geldbuße, Ciola]; EuGH, Urteil vom 06.03.2007 – C‑338/04 69 [Unanwendbarkeit einer italienischen Strafvorschrift, Placanica][↩]
- OLG Braunschweig, Beschluss vom 26.05.2010, Ss (OWi) 82/09[↩]
- aktuell: Art.18 AEUV[↩]
- EuGH, Urteil vom 25.01.2011 – C‑382/0829 [Neukirchinger][↩]
- EuGH, Urteil vom 20.10.1993 – C‑92/92 [Phil Collins], verbunden mit C‑326/92 [EMI] Rn.7, 8, 33, 35; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2011 – 1 BvR 1916/09 76[↩]
- EuGH, Urteil vom 20.10.1993 – C‑92/92 [Phil Collins] verbunden mit EuGH, C 326/92 [EMI] Rn.27[↩]
- EuGH, Urteil vom 18.03.2014 – C‑628/11[↩]