Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshof bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung. Seiner Ansicht nach verstößt die so genannte „ungleichartige Wahlfeststellung” gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit von Strafgesetzen (Art. 103 Absatz 2 GG) [1]. Dem widerspricht nun der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs und erklärt auf den Anfragebeschluss des 2. Strafsenats, dass er an seiner Rechtsprechung zur ungleichartigfen Wahlfeststellung festhält. Damit dürfte hierzu demnächst beim Bundesgerichtshof eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen anstehen.

Die Argumente des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs:
Die vom Gesetzgeber bewusst der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassene [2] höchstrichterlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen (gesetzesalternativen) Wahlfeststellung verstößt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG; er sieht im Anfrageverfahren nach § 132 GVG daher keinen Grund zur Änderung seiner Rechtsprechung [3].
Der Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) wird nicht berührt oder gar verletzt. Durch die ungleichartige Wahlfeststellung werden weder gesetzliche Tatbestandsvoraussetzungen abgeschwächt, noch wird ein neuer Tatbestand konstruiert. Auch auf wahldeutiger Grundlage erfolgt die Verurteilung nur nach den bei der Begehung der Tat bestehenden Straftatbeständen, den in ihnen enthaltenen Merkmalen und Strafandrohungen [4].
Die ungleichartige Wahlfeststellung ist eine prozessuale Entscheidungsregel [5]. Sie wurde ursprünglich von den Vereinigten Strafsenaten des Reichsgerichts für die Verurteilung von Diebstahl oder Hehlerei entwickelt, wobei diese nach zutreffender eigener Einschätzung ausschließlich in das Verfahrensrecht rechtsschöpferisch eingegriffen haben [6].
Sie stellt ihrerseits eine Ausnahme von der Entscheidungsregel „in dubio pro reo“ dar [7] und gelangt erst dann zur Anwendung, wenn nach dieser keine eindeutige Tatsachengrundlage zustande kommt, insbesondere keine eindeutige Verurteilung nach einem sachlogischen [8] oder aber einem normativethischen Stufenverhältnis [9] der Geschehensabläufe erfolgen kann. Ein Freispruch aufgrund doppelter Anwendung des Zweifelssatzes nach je unterschiedlicher Blickrichtung wäre in Fällen, in denen ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet („tertium non datur“), schlechthin unvereinbar mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit, wonach eine am Gleichheitssatz orientierte, dem Rechtsgüterschutz verpflichtete Ausgestaltung eines effektiven Strafverfahrens zu gewährleisten ist.
Der 5. Strafsenat gibt bei dieser Gelegenheit zu erwägen, ob in Fällen der Gesetzesalternativität nicht schon allein die Anwendung des Zweifelssatzes eine eindeutige Verurteilung nach dem im Einzelfall mildesten Gesetz [10] – hier Verurteilung wegen Diebstahls, nicht aber wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei – ermöglichen und so eine Belastung des Angeklagten mit einem alternativen Schuldspruch vermeiden würde [11]. Hier wäre naheliegend auch die Konkurrenzfrage mit zu bedenken, die sich gerade im Vorlagefall stellen kann.
Die ungleichartige Wahlfeststellung zieht keine Ungenauigkeiten bei der Strafzumessung nach sich. Dass die Strafe dem mildesten Gesetz zu entnehmen ist, führt nicht nur zu einem „quantitativen Strafrahmenvergleich“. Denn welches Gesetz das mildeste ist, wird nicht abstrakt nach der gesetzlichen Strafandrohung entschieden. Anzuwenden ist vielmehr das Gesetz, das nach der Lage des konkreten Falls die mildeste Bestrafung zulässt, wobei zu prüfen ist, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn die eine oder andere strafbare Handlung eindeutig feststünde [12]. Dazu gehört es auch, die alternativen Tatbilder im Hinblick auf die Person des Angeklagten zu beurteilen [13]. Unmögliches oder Unzumutbares wird hierbei vom Tatgericht nicht verlangt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. Juli 2014 – 5 ARs 39/14
- BGH, Beschluss vom 28.01.2014 – 2 StR 495/12[↩]
- vgl. BT-Drs. I/3713 S.19[↩]
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 27.11.2012 – 5 StR 377/12[↩]
- vgl. Nüse, GA 1953, 33, 38[↩]
- vgl. KMR/Stuckenberg, 68. EL, § 261 StPO Rn. 106 und 149; Wolter, GA 2013, 271, 273[↩]
- vgl. RG – Vereinigte Strafsenate – , Beschluss vom 02.05.1934 – 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 262[↩]
- vgl. dazu BVerfG – Kammer, Beschlüsse vom 17.07.2007 – 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382; und vom 26.08.2008 – 2 BvR 553/08[↩]
- vgl. LR/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 129; LK/Dannecker, 12. Aufl., Anh. § 1 Rn. 58, 72 f.[↩]
- vgl. LK/Dannecker, aaO Rn. 60, 91 f.; LR/Sander, aaO, Rn. 133; BGH, Urteil vom 19.05.2010 – 5 StR 464/09, BGHSt 55, 148, 150 f.; kritisch: KMR/Stuckenberg, aaO, Rn. 116[↩]
- vgl. dazu RGSt 69, 369, 373[↩]
- so schon Dreher, MDR 1970, 369, 371; vgl. BGH, Urteil vom 19.05.2010 – 5 StR 464/09 aaO S. 152[↩]
- vgl. RGSt 69, 369, 373 f.; 70, 281; BGH, Urteile vom 29.10.1958 – 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72; und vom 15.05.1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186; LR/Sander, aaO, Rn. 165 mwN; LK/Dannecker, aaO, Rn. 160; SK/Wolter, StGB, 8. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 46[↩]
- vgl. RGSt 69, 369, 374[↩]