Unterbringung in der Psychiatrie – das psychotische Wahnerleben und die Gefährlichkeitsprognose

In einem Sicherungsverfahren sind an die Darlegung der künftigen Gefährlichkeit umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt1.

Unterbringung in der Psychiatrie – das psychotische Wahnerleben und die Gefährlichkeitsprognose

Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt2. Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und die damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind3.

Weiterlesen:
Rechtsschutz im Strafvollzug

An die Darlegung der künftigen Gefährlichkeit sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt1.

Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen4.

Von dem Beschuldigten müssen in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlichsein. Dabei ist zu bedenken, dass es einer Gesamtwürdigung des Täters und der Symptomtaten bedarf und dabei etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung sind. So ist es als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat5.

Mit einer im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefahrenprognose nicht begründet werden6. Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung7 sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können8.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 2 StR 54/20

  1. BGH, Beschlüsse vom 27.06.2019 – 1 StR 112/19, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 39; vom 04.07.2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; BGH, Beschluss vom 08.11.2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74[][]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.07.2013 – 2 BvR 2957/12 27; BGH, Beschlüsse vom 27.06.2019 – 1 StR 112/19, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 39; und vom 07.07.2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306[]
  3. st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 27.06.2019 – 1 StR 112/19, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 39 mwN[]
  4. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 05.02.2020 – 2 StR 436/19 5; BGH, Beschlüsse vom 21.02.2017 – 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576; vom 12.10.2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; und vom 15.01.2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395[]
  5. vgl. etwa BGH, Beschluss vom 07.06.2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307; SSW-StGB/Kaspar, 4. Aufl., § 63 Rn. 21; MünchKomm-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 62[]
  6. BGH, Urteil vom 11.08.2011 – 4 StR 267/11 15; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17.02.2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720, 722[]
  7. BGH, Beschluss vom 05.02.2020 – 2 StR 436/19 9 mwN[]
  8. BGH, Urteil vom 11.08.2011 – 4 StR 267/11 15; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17.02.2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720, 722[]
Weiterlesen:
Unterbringung durch den Betreuer - zur Vermeidung der Selbstschädigung

Bildnachweis: