Für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.
Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint1. Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist2. Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeitsund Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu.
Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus3.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bedeutete dies: Das Landgericht hat festgestellt, dass der zur Tatzeit 20 Jahre alte Angeklagte im Alter von 13 oder 14 Jahren erstmals Haschisch konsumierte. Zunächst rauchte er ein bis zwei Joints pro Woche. Später steigerte er den Konsum auf ein bis drei Gramm pro Tag. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten nahm er täglich bis zu fünf Gramm Haschisch an Werkund bis zu 15 Gramm an Wochenendtagen zu sich. Im Alter von 14 oder 15 Jahren begann er zudem, Alkohol zu trinken. Erst konsumierte er eine halbe Flasche Whiskey. In den letzten Monaten vor den Taten trank er bis zu einer Flasche hochprozentiger Spirituosen pro Tag. Dadurch verzeichnete er eine deutliche Toleranzentwicklung. Ab dem 15. oder 16. Lebensjahr nahm er außerdem auf Partys bis zu fünf Tabletten Ecstasy zu sich. Andere Betäubungsmittel – etwa Amphetamin – konsumierte er nur vorübergehend. Die Kombination aus Haschisch, Alkohol und Ecstasy steigerte einerseits seine positiven Gefühle und verstärkte andererseits negative Empfindungen wie Gereiztheit und Aggressivität.
Trotz des festgestellten Konsumverhaltens hat das Landgericht das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB verneint. Zwar spreche die Dauer und Anzahl der konsumierten Betäubungsmittel für einen Hang. Der Angeklagte pflege aber einen kontrollierten, teilweise kritischen Umgang mit den Rauschmitteln. Er könne den Konsum zielgerichtet steuern und sich von ihm distanzieren, wenn ihm das aus Gründen der Lebensführung notwendig erscheine. So konsumiere er an Werktagen weniger Haschisch als am Wochenende, damit er noch arbeitsfähig bleibe. Außerdem habe er den Konsum von Amphetamin und anderen Betäubungsmitteln aufgegeben, weil er geistige Schäden befürchtete. Der Rauschmittelkonsum stelle daher für ihn keine Handlungsmaxime auf.
Diese zur Ablehnung des Hanges im Sinne von § 64 StGB herangezogene Begründung steht bereits in einem unaufgelösten Widerspruch zu den an anderer Stelle Dr. G. des Urteils wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen , der ein Abhängigkeitssyndrom des Angeklagten von Alkohol (ICD-10 F 10.21), Cannabinoiden (ICD-10 F 12.21) und Psychostimulantien (ICD-10 F 15.21) diagnostiziert hat. Das Landgericht ist den Ausführungen des Sachverständigen bei der Bewertung der Schuldfähigkeit gefolgt. Zudem hat es bei der Prüfung der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Angeklagte nicht „von seiner im Jugendlichenalter entstandenen Abhängigkeit von Alkohol, Cannabinoiden und Psychostimulantien“ distanziert habe. Mit einem vom Landgericht angenommenen kontrollierten Konsumverhalten des Angeklagten lassen sich diese Ausführungen zu einem fortbestehenden Abhängigkeitssyndrom nicht in Einklang bringen.
Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, ob das Landgericht vor diesem Hintergrund zudem dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit eine zu große indizielle Bedeutung beigemessen hat.
Die Strafkammer ist außerdem von einem zu engen Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen.
Ein symptomatischer Zusammenhang liegt bereits vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert4. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist5.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Taten des Angeklagten 15 nicht auf seinem Rauschmittelkonsum beruhen, sondern ihre „Wurzel in der Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten fanden. Gleichwohl hat es dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zu Gute gehalten, dass er die Taten im Zustand „alkoholund betäubungsmittelbedingter Enthemmung“ beging. Es hat mithin eine Mitursächlichkeit der Mischintoxikation für die Tatbegehung angenommen. Dass neben dem Einfluss der Betäubungsmittel und anderen Rauschmitteln weitere Umstände wie die „Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten, eine „unangemessene Verarbeitung von Negativerlebnissen aus der Jugendzeit“, das „Gefühl der Zurückweisung und gekränkter Ehre“ und das „Wiederaufleben gewaltgeprägter Geschehnisse aus der Vergangenheit“ eine Rolle für die Tatbegehung gespielt haben, schließt den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstaten nicht aus.
Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden.
Die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG wegen des dort vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfrei begründeten Strafausspruchs nach sich6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. August 2019 – 4 StR 330/19
- st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 18.07.2019 – 4 StR 80/19, NStZ-RR 2019, 275; vom 21.08.2012 – 4 StR 311/12; vom 10.09.1997, 2 StR 416/97; vom 17.05.2018 – 3 StR 166/18; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.09.2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.08.2012 – 4 StR 311/12; vom 01.04.2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.12 2017 – 1 StR 320/17 42; Beschlüsse vom 20.09.2017 – 1 StR 348/17 11; und vom 10.11.2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.08.2012 – 4 StR 311/12; vom 30.09.2003 – 4 StR 382/03; vom 25.05.2011 – 4 StR 24/11; und vom 25.10.2011 – 4 StR 416/11[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.11.2014 – 5 StR 509/14; vom 27.10.2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734; vom 06.07.2018 – 1 StR 261/18, StV 2019, 259; vom 08.11.2018 – 1 StR 482/18, NStZ-RR 2019, 74; jeweils mwN[↩]