Der Bundesgerichtshof hatte sich aktuell in zwei Entscheidungen mit der Untersuchungshaft von Rückkehrerinnen aus dem „Islamischen Staat“ (IS) im Rahmen der Sechs-Monats-Haftprüfung (§§ 121, 122 StPO) zu befassen.

Konkret ging es um die Frage, ob die Untersuchungshaft von zwei Frauen fortzudauern hat, die sich freiwillig mit ihren minderjährigen Kindern in den vom sog. „Islamischen Staat“ (IS) kontrollierten Teil des Bürgerkriegsgebiets in Syrien begeben hatten und im Oktober 2021 aus einem nordsyrischen Lager nach Deutschland zurückgeführt wurden. Gegen eine der beiden Beschuldigte wurde seit der Einreise ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts München1, gegen die andere ein solcher der Ermittlungsrichterin des Berliner Kammergerichts2 vollzogen. Beide Haftanordnungen waren auf die Vorwürfe der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) und der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) gestützt. Der Bundesgerichtshof hat hinsichtlich des Haftbefehls des Kammergerichts die Haftfortdauer angeordnet3; den Haftbefehl des Oberlandesgerichts München hat er dagegen aufgehoben4:
Mit den beiden Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Strafbarkeit von sog. IS-Rückkehrerinnen bestätigt und fortgeführt. Hiernach setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland – wie sonst auch – eine gewisse einvernehmliche Eingliederung der Täterin in die Organisation (Mitgliedschaft) und eine aktive Tätigkeit zur Förderung deren Ziele (Beteiligung) voraus. Trotz einer islamistischen Gesinnung müssen dabei Betätigungen der Ehefrau eines IS-Angehörigen im Haushalt und beim Aufziehen von Kindern im IS-Herrschaftsgebiet für sich gesehen noch keine mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte darstellen. Auch die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 1 StGB), welche die Strafbarkeit einer der Vereinigung nicht angehörenden Person betrifft, liegt in solchen Fällen nicht ohne Weiteres vor. Als mitgliedschaftliche Beteiligung können Haushaltsführung und Kindererziehung indes zu bewerten sein, wenn die in die Organisation eingebundene Täterin deren Aktivitäten auch durch weitere Handlungen fördert.
Der Haftbefehl des Kammergerichts5
Der Bundesgerichtshof hat das Ermittlungsergebnis dahin gewürdigt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit im Oktober 2016 die damals 25jährige Beschuldigte mit ihren beiden zwei- und einjährigen Söhnen in das syrische IS-Herrschaftsgebiet ausreiste. Sie beabsichtigte, durch diesen Schritt ihren noch zögerlichen Ehemann nach islamischem Ritus, der nicht damit einverstanden war, dass sie die beiden Kinder mitnahm, ebenfalls zur Ausreise dorthin zu bewegen. Einige Zeit später folgte er tatsächlich seiner Familie. Die Beschuldigte und er schlossen sich dem IS an. Er betätigte sich nach einer entsprechenden Ausbildung für die Organisation als Kämpfer an kriegerischen Auseinandersetzungen. Sie zerstreute seine Zweifel an terroristischen Aktivitäten und wirkte, als er ernsthaft erwog, das Bürgerkriegsgebiet zu verlassen, erfolgreich auf ihn ein, um ihn zum Verbleib bei der Organisation zu bewegen. Ihre Kinder erzog sie im Sinne der IS-Ideologie. Noch während ihrer Internierung in dem nordsyrischen Lager verwendete sie auf ihrem „WhatsApp-Profil“ Statusbilder, die unter anderem die IS-Fahne zeigten, erstellte auf „Telegram“ einen jihadistischen Kanal und warb bei „Glaubensgeschwistern“ um Spenden für IS-Anhängerinnen.
Der Bundesgerichtshof hat neben dem dringenden Verdacht der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht auch denjenigen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland angenommen. Nach der maßgeblichen Verdachtslage wirkte die Beschuldigte entscheidend auf den Beitritt ihres Mannes zum IS sowie seinen Verbleib bei diesem als Kämpfer hin. Insbesondere der sich darin manifestierende Wille zur Förderung der Organisation hat es gerechtfertigt, die Betätigungen im Haushalt und bei der Kindererziehung ebenfalls als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten, mithin als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte, zu bewerten. Denn die Handlungen haben sich in Anbetracht der Einbindung der Beschuldigten in die Organisation und ihres Ziels, im Rahmen der ihr nach radikalislamischen Vorstellungen zugedachten Rolle die Kampfbereitschaft des Mannes zu gewährleisten, nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtungen ohne Organisationsbezug – als Erfüllung „häuslicher Pflichten“ – dargestellt. Da auch die weiteren Voraussetzungen für die Haftfortdauer vorgelegen haben, war sie anzuordnen.
Der Haftbefehl des Oberlandesgerichts München6
Im zweiten Fall hat es der Bundesgerichtshof nach den von den Ermittlungsbehörden bisher gewonnenen Erkenntnissen als hochwahrscheinlich erachtet, dass im April 2015 die damals 30jährige Beschuldigte mit ihrem Ehemann und drei minderjährigen Kindern in das syrische IS-Herrschaftsgebiet ausreiste. Sie befasste sich während ihres dortigen Aufenthalts mit der Haushaltsführung und Kindererziehung; ihr Mann war nach einer religiösen und militärischen Ausbildung für eine technische Einheit des IS tätig.
Der Bundesgerichtshof hat unter Anlegung der einschlägigen rechtlichen Maßstäbe den dringenden Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland verneint. Dem bisherigen Ermittlungsergebnis war nicht zu entnehmen, dass sich die Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Organisation des IS eingliederte. Ebenso wenig brachten die Ermittlungen Umstände hervor, die es – wie im Verfahren AK 14/22 – gerechtfertigt hätten, das Verhalten der Beschuldigten als aktive Tätigkeit zur Förderung der von der Vereinigung verfolgten Ziele und damit als Beteiligungsakte zu betrachten (etwa werbende und steuernde Betätigungen von Gewicht). Nach der maßgeblichen Verdachtslage erschöpfte sich das Verhalten der Beschuldigten in einem alltäglichen Leben im „Kalifat“. Auf den verbleibenden dringenden Verdacht der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht hat indes, nach mehr als halbjähriger Untersuchungshaft, der Haftbefehl mangels Haftgrundes nicht gestützt werden können. Deshalb war die Entlassung der Beschuldigten aus der Untersuchungshaft anzuordnen.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 21. April 2022 – AK 14/22 und AK 18/22
- OLG München, Haftbefehl vom 22.05.2020 – OGs 69/20[↩]
- KG, Haftbefehl vom 11.06.2020 – 1 ER 49/20 – 17 OJs 8/19[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.04.2022 – AK 14/22[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.04.2022 – AK 18/22[↩]
- BGH – AK 14/22[↩]
- BGH – AK 18/22[↩]
Bildnachweis:
- Islamischer Staat, IS: Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0