§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt es unter Strafe, sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortzubewegen, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Mit der Auslegung dieser durch das 56. Strafrechtsänderungsgesetz im Oktober 2017 in das Strafgesetzbuch eingefügten Strafnorm hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen:

Die Tatbestandsalternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist erst im Zuge der Gesetzesberatungen in die zur Pönalisierung verbotener Kraftfahrzeugrennen neu geschaffene Strafvorschrift des § 315d StGB eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte neben den Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen auch Fälle des schnellen Fahrens mit nur einem einzigen Kraftfahrzeug strafrechtlich erfassen, die über den Kreis alltäglich vorkommender, wenn auch erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen hinausragen, weil der Täter mit einem Kraftfahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt1. Nach der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Begehungsalternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer im Straßenverkehr sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Objektive Tathandlung ist das Sich-Fortbewegen als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit. Mit dem Erfordernis der nicht angepassten Geschwindigkeit hat sich der Gesetzgeber begrifflich an die straßenverkehrsrechtliche Regelung in § 3 Abs. 1 StVO angelehnt, ohne indes gesetzestechnisch auf diese Norm zu verweisen. Das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit ist daher ähnlich wie die Begriffe der Vorfahrt und des Überholens in § 315c Abs. 1 Nr. 2a und b StGB2 maßgeblich durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafnorm zu bestimmen. Ausgehend von der Wortbedeutung meint unangepasste Geschwindigkeit jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit. Tatbestandlich erfasst werden danach im Einklang mit den Gesetzesmaterialien3 nicht nur Verstöße gegen die Gebote des § 3 Abs. 1 StVO, sondern auch Überschreitungen der in § 3 Abs. 3 StVO geregelten allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten4.
Der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt weiter ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten des Täters voraus. Damit knüpft die Vorschrift ausweislich des Ausschussberichts5 an die Umschreibung des strafbaren Verhaltens in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB an, so dass für das inhaltliche Verständnis dieser einschränkenden Tatbestandsmerkmale auf die zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ergangene Judikatur zurückgegriffen werden kann6. Ungeachtet der durch die Verwendung des Verbindungswortes „und“ von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB abweichenden Formulierung der Vorschrift beziehen sich die Merkmale grob verkehrswidrig und rücksichtslos – wie bei der Strafnorm des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB – auf die objektive Tathandlung, mithin auf das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit7. Hierfür spricht sowohl der Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch der im Ausschussbericht ausdrücklich enthaltene Hinweis auf die Strafnorm des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Für die Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist daher, dass sich gerade die Fortbewegung des Täters mit nicht angepasster Geschwindigkeit als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Dabei kann sich die grobe Verkehrswidrigkeit allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes8 oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen.
Das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit muss, um den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu erfüllen, ferner im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht getragen sein, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Neben den einschränkenden Merkmalen der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kommt nach den im Ausschussbericht verlautbarten Intentionen des Gesetzgebers9 gerade dem Absichtselement die Aufgabe zu, den für das Nachstellen eines Rennens mit einem Fahrzeug kennzeichnenden Renncharakter tatbestandlich umzusetzen und das nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbare Verhalten von den alltäglich vorkommenden, auch erheblichen Geschwindigkeitsverletzungen abzugrenzen. Wie die verschiedenen in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Parameter zur Bestimmung der höchstmöglichen Geschwindigkeit erkennen lassen10, muss die nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründende Absicht darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten – wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. – maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen11. Da der Gesetzgeber mit dem Absichtserfordernis dem für das Nachstellen eines Rennens kennzeichnenden Renncharakter Ausdruck verleihen wollte, ist für das Absichtsmerkmal weiterhin zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht. Während die abstrakte Gefährlichkeit für das Rechtsgut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs12 bei Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB maßgeblich aus dem Wettbewerb unter den Teilnehmern resultiert, ergibt sie sich in den Fällen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aus dem unbedingten Willen des Täters, sein Fahrzeug bis zur relativen Grenzgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Die Absicht des Täters, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die nach den situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen13. Dieses Verständnis steht im Einklang mit dem Wortlaut der Norm, der für eine einschränkende Auslegung des Absichtserfordernisses keinen Anhalt bietet, und entspricht der herkömmlichen Interpretation der Vorsatzform des dolus directus 1. Grades14, wie etwa bei § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB15. Da die erforderliche Abgrenzung des als Nachstellen eines Kraftfahrzeugrennens mit einem Fahrzeug tatbestandlich erfassten Verhaltens von alltäglichen, wenn auch erheblichen Geschwindigkeitsverstößen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere durch das in die Strafvorschrift aufgenommene Absichtserfordernis gewährleistet wird, ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm keine Rechtfertigung für eine einschränkende Auslegung des subjektiven Tatbestandsmerkmals.
Dieses Verständnis des Absichtsmerkmals in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle16 von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei wird allerdings zu beachten sein, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern17.
Die Bedenken, die in der Rechtsprechung vereinzelt unter Hinweis auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erhoben worden sind18, teilt der Bundesgerichtshof nicht. Die obigen Ausführungen zeigen vielmehr, dass die Norm mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden in einer dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werdenden Weise ausgelegt werden kann.
Den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB erfüllt, wer mit seiner Tathandlung nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB eine von seinem Vorsatz umfasste konkrete Gefahrenlage für die Tatopfer schuf. Die an dem Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB anknüpfende Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB ist erfüllt, wenn sich die vom Täter geschaffene konkrete Gefahrenlage für die Tatopfer für den Täter vorhersehbar in deren Tod verwirklichte.
Der jeweils erforderliche Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen Tathandlung gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, Gefahrenerfolg nach § 315d Abs. 2 StGB und qualifizierender Folge nach § 315d Abs. 5 StGB19 wird durch eine wenige Sekunden vor der Kollision vom Angeklagten eingeleitete Bremsung des Tatfahrzeugs nicht in Frage gestellt.
Die Taten des § 315d Abs. 5, Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie der vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB, die sich ungeachtet der jeweiligen Anknüpfung an die gefahrene Geschwindigkeit in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen unterscheiden, stehen ggfs. zueinander im Verhältnis der Tateinheit.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 4 StR 225/20
- vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drs. 18/12964, S. 5 f.[↩]
- vgl. zum Überholen BGH, Beschluss vom 15.09.2016 – 4 StR 90/16, BGHSt 61, 249 Rn. 8; zum sogenannten erweiterten Vorfahrtsbegriff BGH, Beschluss vom 05.02.1958 – 4 StR 704/57, BGHSt 11, 219; vgl. Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 315c Rn. 15 f. mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 5[↩]
- vgl. König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315d Rn. 24; Zieschang, NZV 2020, 489, 490[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/12964, aaO[↩]
- vgl. König, aaO, § 315c Rn. 131 ff. mwN[↩]
- vgl. König, aaO, § 315d Rn. 25; Preuß, NZV 2018, 537, 539; Kusche, NZV 2017, 414, 417[↩]
- vgl. König, aaO, § 315d Rn. 26 und § 315c Rn. 135 mwN[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 5 f.[↩]
- vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224, 226; KG, DAR 2020, 149, 151; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787; Zieschang, NZV 2020, 489, 491 f.; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 286[↩]
- vgl. König, aaO, § 315d Rn. 3[↩]
- vgl. OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787, 2788; König, aaO, § 315d Rn. 29; Ernemann, aaO, § 315d Rn. 15; Zieschang, NZV 2020, 489, 493; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 287 f.[↩]
- vgl. Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 66 mwN; Momsen in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 15 Rn. 41[↩]
- vgl. Ernemann, aaO, § 315 Rn. 16 mwN[↩]
- vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787[↩]
- vgl. Jansen, NZV 2019, 285, 288[↩]
- vgl. AG Villingen-Schwenningen, DAR 2020, 218[↩]
- vgl. König, aaO, § 315d Rn. 36 und 40;BT-Drs. 18/12964, S. 6[↩]