Eine Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen1.

Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt grundsätzlich auch, dass der Beschwerdeführer innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Hierzu gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt2.
Im Strafprozess erfolgt die Bekanntmachung von Entscheidungen von Amts wegen wahlweise durch Zustellung oder formlose Mitteilung, wenn die Entscheidungen – wie hier – nicht in Anwesenheit der betroffenen Person ergehen und keine strafprozessuale Frist in Gang setzen (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Die fristauslösende Zustellung oder formlose Mitteilung im Strafverfahren kann dabei nicht nur an die von der Entscheidung betroffene Person, sondern auch an einen durch Rechtsgeschäft bestellten oder kraft Gesetzes ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten erfolgen3. Gemäß § 145a Abs. 1 StPO gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger kraft Gesetzes als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen4.
Entscheidet sich das Strafgericht gemäß § 145a Abs. 1 StPO für eine Zustellung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger, so wird der Beschuldigte hiervon unterrichtet und erhält gemäß § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO zugleich formlos eine Abschrift der Entscheidung5. Hierin liegt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG6.
Da § 145a Abs. 1 StPO nicht zur Zustellung oder sonstigen Mitteilung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger verpflichtet und § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Anwendung findet, kann umgekehrt ebenso eine Zustellung nur an den Beschuldigten erfolgen; in diesem Fall ist aber dem Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abschrift zu übermitteln7. Auch dies stellt eine form-lose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG dar und ist daher geeignet, die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG auszulösen8.
Angesichts dessen ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Angabe aller Zugangszeitpunkte – also sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) als auch beim Beschuldigten – oder die Klarstellung, dass nur eine einzige (gegebenenfalls formlose) Bekanntgabe erfolgt ist, jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Ein differenzierter Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten wird insbesondere dann notwendig, wenn die Verfassungsbeschwerde über einen Monat nach dem Entscheidungsdatum der angegriffenen letztinstanzlichen Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingeht und der Verteidiger einen Zugangszeitpunkt bei sich selbst angibt, wonach die Verfassungsbeschwerde nur einen Tag vor Ablauf der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat9.
Eine eigenverantwortliche Feststellung des Fristbeginns ist dem Bevollmächtigen im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch zumutbar, da er diesen in aller Regel durch Austausch mit dem Beschwerdeführer oder durch Einsicht in die Gerichtsakte unproblematisch ermitteln kann10.
Ausgehend hiervon konnte im vorliegenden Verfahren vom Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des Beschwerdevortrags nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gewahrt hat, was zu ihrer Nichtannahme führte:
Die am 13.03.2018 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde benennt allein den Zeitpunkt, zu dem der Beschluss des Landgerichts München I vom 08.02.2018, mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 18.04.2017 verworfen wurde, dem Verteidiger des Beschwerdeführers zugestellt worden sein soll. Die nicht weiter belegte Angabe, der Beschluss sei dem Verteidiger am 14.02.2018 zugestellt worden, zugrunde gelegt, wäre die Verfassungsbeschwerde erst einen Tag vor Ablauf der Frist aus § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben worden.
Dieser Umstand hätte den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers dazu veranlassen müssen, auch den Zeitpunkt der Zustellung oder formlosen Mitteilung der verfahrensabschließenden Entscheidung an den Beschwerdeführer mitzuteilen. Dies hat der Bevollmächtigte versäumt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der angegriffene Beschluss des Landgerichts dem Beschwerdeführer bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugegangen ist, ist die Einhaltung der Frist zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG weder aus sich heraus noch aus dem Beschwerdevorbringen nachvollziehbar.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Februar 2021 – 2 BvR 428/18
- vgl. BVerfGE 21, 359 <361> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGK 14, 468 <469> BVerfG, Beschluss vom 30.05.2013 – 2 BvR 885/13 2; Beschluss vom 12.06.2014 – 2 BvR 1004/13, Rn. 3; Beschluss vom 11.07.2018 – 2 BvR 1548/14, Rn. 15[↩]
- vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl.2020, § 37 Rn. 3[↩]
- vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 11.07.2006 – 2 BvR 386/06, Rn. 7[↩]
- vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 20.03.2001 – 2 BvR 2058/00, Rn. 5[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.06.2014 – 2 BvR 1004/13, Rn. 10[↩]
- siehe auch Nr. 108 RiStBV; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl.2014, § 37 Rn. 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl.2020, § 145a Rn. 6[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.11.1990 – 2 BvR 1378/90 1; Beschluss vom 09.10.2003 – 2 BvR 1351/03, Rn. 2; Beschluss vom 11.07.2006 – 2 BvR 386/06, Rn. 7; Beschluss vom 12.06.2014 – 2 BvR 1004/13, Rn. 9[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.06.2014 – 2 BvR 1004/13, Rn. 12 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.06.2014 – 2 BvR 1004/13, Rn. 15; vgl. auch VerfGH Leipzig, Beschluss vom 30.11.2017 – Vf. 122-IV-17 u.a., Rn.19[↩]