Beim Zusammentreffen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF mit einer Qualifikation gemäß § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB aF gilt für die Strafrahmenwahl Folgendes:

Auch in einer solchen Konstellation ist die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Dies ist bereits für das Zusammentreffen des Regelbeispiels mit der Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF entschieden1; nichts anderes kann für die Qualifikation nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB aF gelten.
Allerdings muss der Tatrichter bei Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF die Strafuntergrenze des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF beachten, sofern dieser Strafrahmen auch ohne das Vorliegen der Qualifikation gegeben wäre; anderenfalls wäre ein Täter, der neben einem Regelbeispiel einen Qualifikationstatbestand erfüllt, günstiger gestellt als derjenige, der kein qualifizierendes Merkmal verwirklicht. Ein Absehen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF kommt in derartigen Fällen, in denen der Täter durch die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes zusätzliches gravierendes Unrecht auf sich geladen hat, nur bei Vorliegen ganz außergewöhnlich mildernder Umstände in Betracht. Dementsprechend sind an die gebotene Gesamtwürdigung besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Tatrichter die Untergrenze des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF unterschreiten will2. Dabei genügt die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB aF geführt haben, nicht; vielmehr muss sich das Tatgericht mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand, der nur eine sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB aF, nicht aber eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF voraussetzt, und dem Regelbeispiel auseinandersetzen und zu erkennen geben, dass es bedacht hat, dass in solchen Fällen eine Entkräftung der Regelwirkung nur ausnahmsweise bei ganz außergewöhnlichen Milderungsgründen in Betracht kommt3.
Den vorgenannten Maßstäben wurde im vorliegenden Fall die Begründung des Landgerichts nicht gerecht: Das Urteil nimmt bei der Strafrahmenwahl jeweils Bezug auf die vorangestellten generell bedeutsamen Strafzumessungsgesichtspunkte, ohne auf die Besonderheiten der vorliegenden Konstellation einzugehen. Danach lassen die Urteilsgründe erkennen, dass das Landgericht die geringen Tatfolgen für das Tatopfer, die lange Verfahrensdauer und den Umstand, dass die Tat bereits vier Jahre zurückliegt, deren Begehung „im sozialen Nahraum“ und die Entschuldigung des Angeklagten zu seinen Gunsten bedacht hat; demgegenüber hat es zu seinen Lasten die Verwirklichung von zwei Straftatbeständen und „zwei Varianten“ des „Tatbestandes der schweren Vergewaltigung“ (tatsächlich lassen die Feststellungen nur die Erfüllung von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF erkennen), die Ejakulation in den Körper der Nebenklägerin ohne Kondom sowie „nur in geringem Umfang“ die 17 Vorbelastungen zur Tatzeit gewürdigt.
Die gebotene Auseinandersetzung mit dem systematischen Zusammenhang des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF und der Qualifikation des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF lässt das Urteil dabei jedoch vermissen. Mit dem Umstand, dass das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF bereits durch erniedrigende Handlungen, wie etwa dem Eindringen eines Fingers in den Körper verwirklicht sein kann, die konkrete Tat jedoch deutlich über die Mindestanforderungen hinausging, setzt sich das Landgericht nicht auseinander. Auch fehlt in diesem Zusammenhang eine Erörterung des Umstandes, dass das Tatunrecht durch die zugleich verwirklichte Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB geprägt wurde und der Angeklagte zwei Varianten des § 177 Abs. 1 StGB aF erfüllte.
Dazu, dass außergewöhnliche Milderungsgründe vorlägen, die gleichwohl die Annahme eines atypischen und die Regelwirkung entkräftenden Tatgeschehens tragen könnten, verhält sich das Urteil nicht; vielmehr begegnen die Erwägungen zu Strafzumessungsgesichtspunkten zugunsten des Angeklagten teilweise durchgreifenden Bedenken. So hat das Tatgericht bei der Strafrahmenwahl rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser der Nebenklägerin weder Verletzungen noch Schmerzen zugefügt und sie objektiv nicht in die Gefahr gebracht habe, erschossen zu werden. Damit hat es allein in der Nichterfüllung eines weiteren Straftatbestandes (§ 223 StGB) bzw. dem Nichtvorliegen weiterer strafschärfender Qualifikationen (§ 177 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b StGB aF) strafmildernde Umstände erblickt, obwohl diese weder notwendig noch typischerweise mit den durchschnittlich vorkommenden Fällen der Vergewaltigung oder der Geiselnahme einhergehen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 3 StR 292/18
- vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2000 3 StR 363/99, NStZ 2000, 254[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.06.2003 3 StR 60/03, NStZ 2004, 32, 33; und vom 12.06.2008 3 StR 154/08, NStZ-RR 2008, 338, 339[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2011 5 StR 403/10, NStZ-RR 2011, 141, 142 für das Zusammentreffen des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB aF mit der Qualifikation des § 177 Abs. 4 StGB aF[↩]