Das im Bußgeldverfahren nach Verkündung eines Urteils im ersten Rechtszug ausgelöste Ruhen der Verfolgungsverjährung bleibt von nachfolgenden Rechtsfehlern unberührt und ist insbesondere auch dann wirksam, wenn eine ordnungsgemäße Absetzung der getroffenen Entscheidung unterbleibt.

Gemäß § 32 Abs. 2 OWiG läuft die (Frist der) Verfolgungsverjährung, die als Verfahrensvoraussetzung/-hindernis vom Oberlandesgericht im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Amts wegen eigenständig unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren zu überprüfen ist1, in Bußgeldsachen nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sofern vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges oder ein Beschluss nach § 72 OWiG ergangen ist; eine zeitliche Limitierung gibt es in diesem Zusammenhang nicht2, weshalb infolge der Ablaufhemmung auch die Grenze der absoluten Verjährung durchbrochen werden kann.
Hiernach ist festzustellen, dass im hier vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall die Tat vom 22. Januar 2009 nicht verjährt ist. Durch das angefochtene Urteil wurde die am 25. Februar 2010 noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist gemäß § 32 Abs. 2 OWiG zum Ruhen gebracht. Das Oberlandesgericht Stuttgart verkennt nicht, dass eine gerichtliche Entscheidung im Sinne der genannten Vorschrift, die an einem wesentlichen Formmangel leidet und sich (insofern) als unvollständig erweist, für den Eintritt dieser Hemmungswirkung nicht ausreichen kann3. Ein entsprechendes, dem Ruhen der Verfolgungsverjährung entgegen stehendes Defizit lässt sich vorliegend indes nicht feststellen: Für den Fall eines erstinstanzlichen Urteils ist die Verkündung der betreffenden Entscheidung für das Ruhen der Verfolgungsverjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG notwendig aber auch ausreichend. Auf die inhaltliche Richtigkeit des Urteils kommt es nicht an4; demzufolge sind auch rechtlich fehlerhafte Entscheidungen geeignet, den Ablauf der Verjährungsfrist zu hemmen, sofern kein nichtiges Urteil anzunehmen ist, was (ausnahmsweise) dann in Betracht kommen kann, wenn besonders gravierende Mängel vorliegen, die der Strafprozessordnung und wesentlichen Rechtsstaatsprinzipien so evident widersprechen, dass es für die Rechtsgemeinschaft unerträglich wäre, sie als verbindlich hinzunehmen5.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist in vorliegender Sache ein Ruhen der Verfolgungsverjährung seit dem 25. Februar 2010 gegeben. Auch wenn – wie hier – lediglich eine schriftlich fixierte Urteilsformel vorliegt und die Fertigstellung eines Urteils im Sinne von §§ 275 StPO, 46 Abs. 1 OWiG wegen Fehlens der hiernach vorgeschriebenen weiteren notwendigen Bestandteile (Rubrum, schriftliche Entscheidungsgründe, Unterschrift/en der/des an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter/s) nicht gegeben ist, führt dies zu keiner Nichtigkeit der getroffenen Entscheidung. Die aus dem beschriebenen Versäumnis resultierende (Rechts-) Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils steht dem Eintritt der Ablaufhemmung im Sinne von § 32 Abs. 2 OWiG mithin nicht entgegen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage des Eintritts der Hemmungswirkung im Sinne der genannten Vorschrift ist bei den vorliegenden Gegebenheiten (allein) die Urteilsverkündung6. Diese war auch wirksam; entgegen stehende Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Betroffenen noch in sonstiger Hinsicht. Die fehlende Benennung der angewandten Bußgeldvorschrift/en (vgl. §§ 260 Abs. 5 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG) führt nicht zur Unwirksamkeit der getroffenen Entscheidung, da sich der entsprechende (Ordnungswidrigkeiten-) Tatbestand bereits aus dem Wortlaut der Urteilsformel eindeutig ergibt7. Eine Einstellung des (Bußgeld-) Verfahrens gemäß §§ 206a StPO, 46 Abs. 1 OWiG scheidet daher aus.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 19. März 2012 – 6 Ss 54/12
- vgl. Gürtler, in Göhler, OWiG, 15. Aufl., Vor § 31 Rdnr. 3 sowie Seitz in Göhler, a.a.O., § 79 Rdnr. 47a[↩]
- vgl. Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 32 Rdnr. 16[↩]
- vgl. Gürtler in Göhler, a.a.O., § 32 Rdnr. 7; OLG Frankfurt, DAR 2007, 38 f.; OLG Hamm ZfS 2004, 92 f.[↩]
- vgl. Bohnert, a.a.O., § 32 Rdnr. 11[↩]
- vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 341; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.01.2008 – 4 Ws 412/07, jeweils m. w. N.[↩]
- Gürtler in Göhler, a.a.O., § 32 Rdnr. 11; KK-Weller, OWiG, 3. Aufl., § 32 Rdnr. 25[↩]
- vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.04.1999 – 2 Ss OWi 37/99[↩]