Volksverhetzung – und ihr Sinngehalt

Die Strafgerichte müssen auch bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung den Sinngehalt einer zu beurteilenden Äußerung zutreffend erfassen und sich zudem auf der Ebene der Abwägung mit der Frage auseinandersetzen, welche Bedeutung der Meinungsfreiheit für die zu treffende Entscheidung zukommt.

Volksverhetzung – und ihr Sinngehalt

Mit dieser Begründung hat jetzt das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Dem zugrunde lag der Fall eines Publizisten, der auf seiner Internetseite einen mit „Konspiration“ überschriebenen Text veröffentlichte. Darin heißt es unter anderem:„Auch der Staat bedient sich des Mittels der Konspiration, um unerwünschte Meinungen zu bekämpfen. Da wird ganz offen zum , Kampf gegen Rechts‘ aufgerufen, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. So seltsam es klingen mag, aber seit 1944 ist kein einziger Jude nach Auschwitz verschleppt worden. Und seit die Alliierten keine deutschen Städte mehr bombardieren, werden Synagogen nur noch gebaut und nicht gesprengt. Der schreckliche Antisemitismus, gegen den der , Kampf gegen Rechts‘ so entschlossen vorgeht, bezieht sich heute auf WORTE, die den Juden nach Ansicht der Meinungskontrolleure womöglich nicht gefallen.“Die Entscheidungen der Strafgerichte

Das Amtsgericht sprach den Publizisten mit Urteil vom 14.08.2013 wegen des vorstehenden Geschehens sowie der Veröffentlichung eines weiteren durch ihn verfassten Textes in der betreffenden Zeitschrift der Volksverhetzung schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen, wobei mit zwei weiteren Geldstrafen, denen im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zukommt, eine Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen gebildet wurde1. Nachfolgend wurden zwei daraufhin ergangene Berufungsurteile des Landgerichts Würzburg jeweils durch das Oberlandesgericht Bamberg aufgehoben. Schließlich verwarf das Landgericht Würzburg die Berufung des Publizisten mit der Maßgabe, dass er wegen Beihilfe zur Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt wurde2. Zur Begründung führte das Landgericht insbesondere Folgendes aus:

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Die Veröffentlichung des Artikels „Konspiration“ erfülle den Tatbestand des Leugnens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art (§ 130 Abs. 3 Variante 2 StGB). Der Satz „So seltsam es klingen mag, aber seit 1944 ist kein einziger Jude nach Auschwitz verschleppt worden“ sei nach seinem klaren sprachlichen Inhalt so zu verstehen, dass schon im gesamten Jahr 1944, also noch während der Dauer der Herrschaft des Nationalsozialismus, keine Verschleppung von Menschen jüdischen Glaubens nach Auschwitz mehr stattgefunden habe. Eine andere Interpretation des Satzes scheide als denkbare Verständnismöglichkeit aus. Insbesondere könne der Satz nicht dahingehend verstanden werden, dass im Jahr 1944 noch Deportationen von Menschen nach Auschwitz stattgefunden hätten und dass insoweit nicht in Abrede gestellt werde, dass – was zutreffend sei – noch bis November 1944 derartige Deportationen stattgefunden hätten.

Dies ergebe sich aus dem Beginn des Satzes („So seltsam es klingen mag“). Dieser sei unsinnig, wenn der Publizist lediglich hätte zum Ausdruck bringen wollen, dass erst ab November 1944 keine Deportationen mehr stattfanden. Diese zutreffende Aussage wäre für niemanden seltsam gewesen. Auch die Behauptung des Publizisten, dass er lediglich darauf habe hinweisen wollen, wie lange die betreffenden Ereignisse zurückliegen, ändere hieran nichts. Auch erkläre dieser Umstand nicht den Beginn des Satzes. Schließlich ergebe sich eine günstigere Auslegung auch nicht aus dem Kontext der literarischen Schriften des Publizisten oder aus dem Umstand, dass er – seiner Einlassung nach – Monarchist sei. Die literarischen Schriften des Publizisten wiesen keinen Sachbezug zu der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens während der Zeit des Nationalsozialismus auf. Einem Künstler sei hinsichtlich politisch-satirischen Schaffens erheblicher Freiraum zu lassen. Die „Auschwitzlüge“, die vorliegend zumindest in temporärer Hinsicht gegeben sei, werde von dieser Freiheit nicht umfasst. Auch die behauptete monarchistische Gesinnung des Publizisten legitimiere die „Auschwitzlüge“ nicht.

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Das Oberlandesgericht Bamberg verwarf die Revision des Publizisten als unbegründet3. Das Landgericht habe nachvollziehbar dargelegt, wieso es der Interpretation, die der Publizist dem verfahrensgegenständlichen Satz geben wollte, nicht gefolgt ist.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Publizist gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt – unter anderem – die Verletzung seiner Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht sah durch den Publizisten durch das Urteil des Landgerichts Würzburg und den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg in seiner durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit verletzt, hob diese beiden Entscheidungen auf und verwies das Verfahren zurück an das Landgericht Würzburg:

Schutzbereich der Meinungsfreiheit[↑]

Gegenstand des Schutzbereiches des Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen4. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden5.

Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aber auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können6. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können6. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile aber nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte7.

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Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt es insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Darunter sind alle Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen8. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht eine Ausnahme vom Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze für Vorschriften anerkannt, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen9. Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung, die in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen führen muss, auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen10.

Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der in Art. 5 Abs. 2 GG bezeichneten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche fallbezogene Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist. Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG liegt infolgedessen nicht nur dann vor, wenn eine Äußerung fälschlich dem Schutz des Grundrechts entzogen oder wenn dieses bei Auslegung und Anwendung der Gesetze nicht ausreichend beachtet worden ist. Vielmehr verstößt die Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind11. Dabei haben die Gerichte insbesondere ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten. Insoweit stehen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung der tatsächlichen Feststellung nicht diejenigen Umstände entgegen, die bei sonstigen Tatsachenfeststellungen regelmäßig zu einer Bindung an die Feststellungen der Fachgerichte führen12.

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Würdigung der Meinungsäußerung durch die Strafgerichte[↑]

Einer Nachprüfung anhand dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand. Die Strafgerichte haben bei der Würdigung der der Verurteilung zugrundeliegenden Textpassage andere mögliche Deutungen nicht mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen und das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht beachtet.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht gehen übereinstimmend davon aus, dass der Satz „So seltsam es klingen mag, aber seit 1944 ist kein einziger Jude nach Auschwitz verschleppt worden“ allein dahingehend verstanden werden kann, dass im gesamten Verlauf des Jahres 1944 kein Mensch jüdischen Glaubens in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden sei. Die Fachgerichte haben, ohne hierbei die Meinungsfreiheit und die sich hieraus ergebenden Anforderungen an die Auslegung von mehrdeutigen Äußerungen zu berücksichtigen, dies letztlich allein damit begründet, dass der Publizist den Satz mit den Worten „So seltsam es klingen mag“ einleitet. Hierdurch haben die Fachgerichte die ebenfalls mögliche Deutung, dass letztmalig im Jahr 1944, nämlich im November diesen Jahres, Menschen jüdischen Glaubens durch das nationalsozialistische Unrechtsregime in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurden, schon auf Ebene des Wortlauts nicht mit überzeugenden Gründe ausgeschlossen.

Der schriftlichen Äußerung des Publizisten können bei isolierter Betrachtung des Wortlauts beide Bedeutungen zugemessen werden. Da „1944“ keinen bestimmten Zeitpunkt, sondern einen Zeitraum bezeichnet, ist es mit der schriftlichen Äußerung des Publizisten ohne Weiteres vereinbar, dass sich das Wort „seit“ auf jeden möglichen Zeitpunkt innerhalb des bezeichneten Zeitraums bezieht. Allein die Satzeinleitung „So seltsam es klingen mag, “ bietet keine tragfähige Grundlage, der Äußerung des Publizisten den durch die Fachgerichte zugrunde gelegten Bedeutungsgehalt beizumessen. Die Wendung würde insbesondere nicht sinnlos, wenn man ein dem Publizisten günstiges Verständnis seiner Äußerung zugrunde legt. Wenn der Publizist seinen Aussagen insoweit einen möglicherweise seltsamen Klang attestiert, heißt das nicht ohne Weiteres, dass sich die Seltsamkeit der Äußerung für den Zuhörer auf den Inhalt oder Wahrheitsgehalt der Aussage bezieht. Vielmehr kann hiermit auch auf die Seltsamkeit der eingenommenen Perspektive oder des Kontextes, in den die Äußerung gestellt wird, in Bezug genommen werden.

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Eine überzeugende und den durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aufgestellten Anforderungen genügende Erfassung der Aussage des Publizisten hätte den Kontext berücksichtigen müssen. Der Publizist bezieht sich in den folgenden, den Gedanken fortführenden Passagen allein auf die Situation in der Bundesrepublik und gibt seinem Missfallen darüber Ausdruck, dass, obwohl es unter der neuen Ordnung keine nationalsozialistischen Verbrechen mehr gäbe, trotzdem zu einem Kampf gegen Rechts aufgerufen würde. Vor diesem Hintergrund hätten sich die Strafgerichte jedenfalls damit auseinandersetzen müssen, aus welchem Grund der Äußerung des Publizisten bei verständiger Würdigung dennoch gerade der zu seiner Verurteilung führende Bedeutungsgehalt zukommt. Es ist nicht ohne weitere Begründung nachvollziehbar, warum in diesem Kontext der streitbefangene, diesen Ausführungen vorangehende Satz eine davon losgelöste und andersartige Stoßrichtung haben soll, die die geschichtliche Behauptung beinhaltet, dass bereits im gesamten Jahr 1944 keine Menschen jüdischen Glaubens in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurden. Allein die Anknüpfung an die aus dem Gesamttext ersichtliche politische Haltung des Publizisten rechtfertigt eine solche Interpretation jedenfalls nicht. Die von den Strafgerichten vorgenommene Interpretation hätte somit weiterer Begründung bedurft, um gegebenenfalls zu überzeugen.

Obwohl die den Gegenstand der Verurteilung bildende schriftliche Äußerung des Publizisten ersichtlich mit Meinungsäußerungen verbunden ist, fehlt im Urteil des Landgerichts jede Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedeutung dem Grundrecht für die zu treffende Entscheidung zukommt. Das Landgericht hat die Reichweite des Art. 5 GG im konkreten Fall nicht etwa nur unrichtig bestimmt, es hat das Grundrecht der Meinungsfreiheit bei seiner Entscheidung nicht beachtet. Diese Abwägung ist im Rahmen einer Neuentscheidung nachzuholen.

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Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts beruhen auch auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist zwar nicht zwingend zu erwarten, aber auch nicht auszuschließen, dass Landgericht und Oberlandesgericht bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16

  1. AG Würzburg, Urteil vom 14.08.2013 – 102 DS 701 Js 20952/11[]
  2. LG Würzburg, Urteil vom 02.12.2015 – 7 Ns 701 Js 20592/11[]
  3. OLG Bamberg, Beschluss vom 07.04.2016 – 3 OLG 6 Ss 20/16[]
  4. vgl. BVerfGE 7, 198, 210; 61, 1, 8; 90, 241, 247[]
  5. vgl. BVerfGE 90, 241, 247; 124, 300, 320[]
  6. vgl. BVerfGE 61, 1, 8; 90, 241, 247[][]
  7. vgl. BVerfGE 61, 1, 9; 90, 241, 248[]
  8. vgl. BVerfGE 7, 198, 209; 93, 266, 291; 124, 300, 321 f.[]
  9. vgl. BVerfGE 124, 300, 328 ff.[]
  10. BVerfGE 124, 300, 332, 342[]
  11. vgl. BVerfGE 43, 130, 136 f.; 61, 1, 7 ff.; 82, 43, 52[]
  12. BVerfGE 43, 130, 137[]