Vorschuss auf das Taschengeld eines Strafgefangenen

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass Taschengeld nach § 43 NJVollzG erst rückwirkend für den Bezugsmonat, in dem Bedürftigkeit bestand, gewährt wird. Mangels gesetzlicher Regelung liegt es grundsätzlich im Ermessen der Anstalt, bedürftigen Gefangenen auf deren Antrag im Hinblick auf zu erwartendes Taschengeld zu Beginn des Bezugsmonats einen Vorschuss hierauf zu gewähren. Im Hinblick auf die besonderen Anfälligkeiten mittelloser Gefangener für subkulturelle Aktivitäten dürfte sogar eine Verpflichtung hierzu anzunehmen sein.

Vorschuss auf das Taschengeld eines Strafgefangenen

Der Anspruch auf Bewilligung von Taschengeld ist gemäß § 43 NJVollzG rückwirkend für den Vormonat zu bewilligen1. Denn ob ein Strafgefangener bedürftig ist, kann regelmäßig erst nach Abschluss des Bezugszeitraums, für den das Taschengeld bewilligt werden soll, festgestellt werden. Ein Gefangener ist nämlich nur dann bedürftig, wenn ihm im laufenden Monat aus Haus- und Eigengeld nicht wenigstens ein Betrag zur Verfügung steht, der der Höhe des Taschengeldes entspricht. Bevor einem Gefangenen Taschengeld gewährt werden kann, muss er somit zunächst die ihm im Antragsmonat zur Verfügung stehenden Geldmittel aufzehren2.

Dass die Justizvollzugsanstalt nicht in der Lage ist, für sämtliche Strafgefangene mit Taschengeldbezug aufgrund der jeweils vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung das Taschengeld so rechtzeitig zu buchen, dass es vor dem ersten Einkaufssamstag den Gefangenen zur Verfügung steht, ist von der Kammer nachvollziehbar dargelegt worden. Die Frage, ob dem Gefangenen anderweitig Mittel zugeflossen sind und ob sie bei der Prüfung, ob ein Gefangener bedürftig ist, überhaupt Berücksichtigung finden können3, erfordert ein komplexes Prüfungsverfahren, welches innerhalb des kurzen Zeitraums von der Entstehung des Anspruchs bis zum Zeitpunkt der Sperrfrist nicht mit der erforderlichen Sorgfalt für alle Strafgefangenen vorgenommen werden kann. Dies mag für den Strafgefangenen im Besonderen aufgrund seiner eigenen Vermögenssituation nicht nachvollziehbar sein. Die Justizvollzugsanstalt ist aber gehalten, um allen Strafgefangenen mit Taschengeldbezug gerecht zu werden, einen Zugriff auf das Taschengeld diesen erst dann zu ermöglichen, wenn die Bedürftigkeitsprüfung hinsichtlich aller Strafgefangener abgeschlossen worden ist. Die damit einhergehende vom Strafgefangenen bemängelte Benachteiligung gegenüber Strafgefangenen, die kein Taschengeld erhalten, liegt darin begründet, dass für die Auszahlung von Lohnansprüchen nach dem Ablauf des Bezugszeitraums keine weitere Prüfung erforderlich ist und insoweit eine Vergleichbarkeit zwischen taschengeldberechtigten Strafgefangenen und sonstigen Strafgefangenen von vornherein ausscheidet.

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Eine Vorschussmöglichkeit auf einen zu erwartenden Taschengeldanspruch sieht das NJVollzG – anders etwa als in vergleichbaren Regelungen in § 57 Abs. 3 Satz 2 und 3 StVollzG M-V, § 57 Abs. 3 Satz 2 und 3 SL StVollzG, § 57 Abs. 3 Satz 2 und 3 6 StVollzG und § 68 Abs. 4 Satz 2 und 3 BbgJVollzG, die eine Vorauszahlung des Taschengeldes auf den bevorstehenden Zeitraum mit anschließender Möglichkeit nachträglicher Verrechnung vorsehen, bzw. § 45 Abs. 3 Satz 1 JStVollzG NRW, in dem ausdrücklich ein Vorschuss in Höhe von bis zu 50 % des üblichen Taschengeldes vorgesehen ist – zwar nicht vor. Ein solcher Vorschuss wäre aber aufgrund gesetzlicher Regelungen auch nicht ausgeschlossen. So eröffnet § 60 Abs. 1 LHO die Möglichkeit eines Vorschusses, wenn eine Verpflichtung zur Gewährung der Leistung besteht, die Ausgabe aber noch nicht gebucht werden kann. Auch hat sich der Gesetzgeber – soweit erkennbar – mit der Frage eines möglichen Vorschusses auf das Taschengeld nicht befasst. Die Schlussfolgerung der Kammer, der Landesgesetzgeber habe sich bewusst gegen eine Vorschussmöglichkeit entschieden, was sich aus einem Vergleich zu der bundesgesetzlichen Norm des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ergeben soll, findet in den Gesetzesmaterialien4 keine Stütze.

Dies zugrunde liegt es grundsätzlich im Ermessen der Anstalten, auf Antrag eines Strafgefangenen auch einen Vorschuss auf einen zu erwartenden Taschengeldanspruch zu bewilligen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Taschengeld das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum in der Anstalt absichern soll und damit praktisch die Funktion der Sozialhilfe im Strafvollzug übernimmt5, mit der Einschränkung, dass die Existenzversorgung bereits durch die Justizvollzugsanstalt sichergestellt wird6. Ferner soll dem Umstand entgegengewirkt werden, dass mittellose Gefangene besonders anfällig für behandlungsfeindliche subkulturelle Abhängigkeit mit Mitgefangenen sind7. Diese Aufgaben kann ein nach Ablauf des Zeitraums, in dem die Bedürftigkeit des Strafgefangenen bestanden hat, bewilligtes Taschengeld zwangsläufig nicht mehr erfüllen. Insoweit dürfte sogar eine Verpflichtung der Justizvollzugsanstalten bestehen, im Hinblick auf die besondere Anfälligkeit eines völlig mittellosen Gefangenen für subkulturelle Aktivitäten einen Vorschuss zu bewilligen8.

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Dass die Justizvollzugsanstalt im Rahmen ihrer Entscheidung die Möglichkeit einer Vorschussleistung nicht in Erwägung gezogen hat, wirkt sich jedoch vorliegend nicht aus. Denn die Leistung eines Vorschusses bezieht sich regelmäßig nur auf Ansprüche, bei denen noch keine Fälligkeit eingetreten ist. Sie soll gerade verhindern, dass dem voraussichtlich Leistungsberechtigten ein Nachteil dadurch entsteht, dass er die Leistung erst bei Fälligkeit erhält. Da bei Fälligkeit des Taschengeldes, welches rückwirkend für den Bezugsmonat gewährt wird, die Bedürftigkeit des Gefangenen im Bezugsmonat aber bereits durch Zeitablauf überwunden wird, ist für eine Notwendigkeit eines Vorschusses zur Abwendung der Bedürftigkeit des Strafgefangenen im Bezugszeitraum kein Raum mehr. Ein Vorschuss kann daher nur für den Zeitraum in Frage kommen, in dem eine Bedürftigkeit des Gefangenen voraussichtlich gegeben sein wird, also allein im Folgemonat, weil für diesen Zeitraum absehbar ist, dass die Bewilligung des Taschengeldes, die erst nach Ablauf dieses Zeitraums erfolgt, die Bedürftigkeit nicht mehr beseitigen kann. Bei der Wertung, ob eine solche Bedürftigkeit voraussichtlich gegeben sein wird, darf dabei nicht auf den Zufluss des Taschengeldes für den Vormonat abgestellt werden. Das Taschengeld für den zukünftigen Bezugsraum kann nämlich nicht mit der Begründung versagt werden, der Gefangene habe in diesem Monat ja die Auszahlung für den Vormonat zu erwarten und sei daher nicht mehr bedürftig9.

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Insoweit beinhaltet aber auch der Antrag des Strafgefangenen auf Bewilligung von Taschengeld (für den zurückliegenden Bezugszeitraum) keinen Antrag auf Gewährung eines Vorschusses für das im laufenden Monat zu erwartende Taschengeld. Es handelt sich bei einem solchen Vorschussantrag um einen anderen Streitgegenstand als den in der vorliegenden Sache zu beurteilenden. Ein Antrag auf Vorschussleistung für den Bezugszeitraum hat der Strafgefangene bei der Justizvollzugsanstalt nicht gestellt. Insoweit war für die vorliegende Entscheidung auch unerheblich, ob dem Strafgefangenen ein solcher zugestanden hätte.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – 1 Ws 406/14 (StrVollz)

  1. vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, 62; a.A. LG Bamberg, FS 2013, 61[]
  2. vgl. Laubenthal a. a. O., § 46 StVollzG Rdnr. 6[]
  3. vgl. hierzu Ziffer 3 NAV zu § 46 StVollzG[]
  4. LT-Drs. 15/3565[]
  5. vgl. LT-Drs. 15/3565, S. 125[]
  6. vgl. OLG Koblenz NStZ 1988, 576[]
  7. vgl. Laubenthal, a. a. O., § 46 StVollzG Rdnr. 1[]
  8. vgl. Arloth, § 46 StVollzG, Rn. 3[]
  9. vgl. BGH NStZ 1997, 205[]