Nach der hier vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzt.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die Auflage genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Daher sei ein Bewährungsverstoß, der zum Widerruf der Bewährung hätte führen können, nicht gegeben. Die Ausgestaltung von Weisungen und Auflagen obliege alleine dem Gericht und dürfe nicht an Dritte delegiert werden.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verletzen die angegriffenen Beschlüsse den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.
Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf1. Aufgrund dieser Bedeutung ist das Freiheitsgrundrecht durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in besonderer Weise abgesichert. Hiernach darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Form beschränkt werden. Art. 104 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stehen insoweit in einem unlösbarem Zusammenhang2. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, also insbesondere für Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit wie Verhaftungen, Festnahmen und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs3, indem er über die Notwendigkeit eines förmlichen Gesetzes hinaus auch die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Anforderungen zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt4.
Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährleistende Funktion zu5. Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat6.
Nur dem Richter hat der Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen (§ 56c StGB). Mangels einer gesetzlichen Ermächtigung dürfen Bewährungshelfer schon nach dem Strafrecht (§ 56d Abs. 3 StGB) dem Verurteilten gegenüber keine selbständigen Anordnungen treffen7. Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Der Gesetzgeber hat aber seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie das nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist8. Gleiches muss auch für die Bestimmtheit der vom Richter zu erteilenden Bewährungsweisung gelten. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen. Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse – nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der Zeitpunkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre9. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Bewährungswiderruf nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat .
Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist zudem, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen10 und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht11. Dies gilt nicht nur für das strafprozessuale Hauptverfahren, sondern auch für das Vollstreckungsverfahren12.
Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht in Einklang.
Es kann offenbleiben, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der genannten strafrechtlichen Vorschriften hier schon deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil der Bewährungswiderruf auf die Missachtung von – den gerichtlichen Bewährungsbeschluss konkretisierenden – Vorgaben gestützt wurde, die im Bewährungsbeschluss selbst hätten festgelegt werden müssen13, oder ob die Festlegung des äußeren zeitlichen Rahmens für die Ableistung einer durch Bewährungsbeschluss auferlegten bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden als eine zulässige Präzisierung des gerichtlichen Bewährungsbeschlusses14 dem Bewährungshelfer übertragen werden kann mit der Folge, dass Verstöße gegen dessen Anordnung dann zugleich als Verstöße gegen die gerichtliche Weisung einzuordnen sind und unter den Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB zum Widerruf der Strafaussetzung führen können.
Auch wenn diese Frage im letzteren Sinne zu beantworten sein sollte, sind die angegriffenen Entscheidungen jedenfalls deshalb zu beanstanden, weil es an den in einem solchen Fall erforderlichen gerichtlichen Feststellungen fehlt. Das Amtsgericht hat den Bewährungswiderruf damit begründet, dass der Beschwerdeführer trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht und den Bewährungshelfer sowie den Verein F. e.V. von den auferlegten 100 Arbeitsstunden bislang nur zwei Stunden geleistet habe, und dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mit der er sich zwischendurch entschuldigt habe, auf den Zeitraum vom 3. Februar bis zum 11. Februar 2011 beschränkt gewesen sei. Diese Feststellungen können nach den obigen Maßstäben den Widerruf nicht rechtfertigen. Dass die Ableistung von nur zwei Arbeitsstunden bis zum Zeitpunkt des Bewährungswiderrufs unzureichend war, ergab sich nicht unmittelbar aus den ergänzenden Bewährungsbeschlüssen, mit denen dem Beschwerdeführer die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt worden war. Für das Nähere hatten diese Beschlüsse den Beschwerdeführer nicht auf Vorgaben des Bewährungshelfers, sondern auf Weisungen des Vereins F. e.V. in Abstimmung mit dem Bewährungshelfer verwiesen. Die Präzisierung des Verlaufs der „roten Linie“, jenseits derer ein Widerruf der Strafaussetzung drohte, war damit, dem Wortlaut der gerichtlichen Weisung nach, einem privaten Träger überlassen.
Die angegriffenen Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts und der sie bestätigende Beschluss des Landgerichts beziehen sich zudem nicht hierauf, sondern stellen nur fest, dass der Beschwerdeführer Aufforderungen von verschiedenen Seiten nicht befolgt habe. Jegliche Feststellung dazu, wann von wem welche Aufforderung an den Beschwerdeführer erging und inwiefern er diese schuldhaft nicht befolgte, fehlt; erst recht wird nicht erkennbar, ob und warum dem Beschwerdeführer deutlich sein musste, dass es sich um Aufforderungen handelte, die – mit entsprechenden Folgen für die Anwendbarkeit des § 56f Abs. 1 StGB – als verbindliche hoheitliche Präzisierung der gerichtlichen Weisung aufzufassen waren.
Bundesverfasusngsgericht, Beschluss vom 24. September 2011 – 2 BvR 1165/11
- BVerfGE 10, 302, 322; 29, 312, 316; 109, 133, 157[↩]
- BVerfGE 10, 302, 322; 58, 208, 220[↩]
- vgl. BVerfGE 10, 302, 322; 58, 208, 220[↩]
- BVerfGE 10, 302, 323; 29, 183, 195 f.; 58, 208, 220[↩]
- vgl. BVerfGE 117, 71, 111, m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 09.06.1993 – 2 BvR 368/92, und vom 10.08.1993 – 2 BvR 610/91[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 09.06.1993, – 2 BvR 368/92[↩]
- BVerfGE 49, 168, 181[↩]
- vgl. BVerfG, a.a.O.[↩]
- vgl. BVerfGE 58, 208, 222[↩]
- vgl. BVerfGE 70, 297, 307[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.09.2010 – 2 BvR 1081/10[↩]
- vgl. für die Annahme, die Bestimmung des Zeitraums, innerhalb dessen eine nach Stunden bemessene Arbeitsauflage zu erfüllen ist, dürfe nicht dem Bewährungshelfer übertragen werden, OLG Braunschweig, Beschluss vom 09.01.2006 – Ws 1/06 -, StV 2007, S. 257; KG, Beschluss vom 13.04.2005 – 5 Ws 157/05[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.06.1993 – 2 BvR 368/92[↩]