Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – und die versuchte Körperverletzung

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte Körperverletzung können zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen; Gesetzeskonkurrenz besteht nicht.

Widerstand  gegen  Vollstreckungsbeamte – und die versuchte Körperverletzung

Alle drei Delikte stehen zueinander im Verhältnis der (ungleichartigen) Tateinheit1.

Das aggressive Verhalten des Angeklagten (hier: während der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Unterbindung weiterer Angriffe auf den R.) stellt sich als einheitliches Tun im Sinne natürlicher Handlungseinheit dar2.

Keines der ideal konkurrierenden Delikte tritt gesetzeskonkurrierend zurück. Gesetzeskonkurrenz bedeutet, dass ein Verhalten dem Wortlaut nach mehrere Straftatbestände erfüllt, zur Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat aber anders als im Fall der Tateinheit bereits die Anwendung eines Tatbestandes ausreicht, so dass die übrigen Straftatbestände zurücktreten müssen3. Herkömmlich werden darunter Fälle der Spezialität, der Subsidiarität und der Konsumtion sowie der – hier ersichtlich nicht einschlägigen – mitbestraften Voroder Nachtat begriffen4.

Spezialität liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst5.

Dies ist bei den drei Tatbeständen nicht der Fall. Keiner enthält alle Merkmale eines der anderen Tatbestände vollständig und unterscheidet sich nur darin von den anderen, dass er noch mindestens ein weiteres Merkmal enthält. Zwar verzichtet § 114 Abs. 1 StGB im Vergleich zu § 113 Abs. 1 StGB auf den dort erforderlichen Bezug zu einer Vollstreckungshandlung und lässt einen Angriff während der Dienstausübung genügen6. Allerdings sind die Tathandlungen in § 113 Abs. 1 und § 114 Abs. 1 StGB unterschiedlich ausgestaltet und stehen nicht in einer Art Stufenverhältnis7; sie enthalten vielmehr heterogene Merkmale8. Da nicht sämtliche Fälle des tätlichen Angriffs auch versuchte Körperverletzungen darstellen, kommt auch zwischen § 114 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 2 StGB eine Verdrängung im Wege der Spezialität nicht in Betracht9.

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Subsidiarität bedeutet, dass eine Vorschrift nur hilfsweise anwendbar sein soll, also nur für den Fall Geltung beansprucht, dass nicht ein anderes Gesetz eingreift10. Dies ist bei den in Rede stehenden Tatbeständen weder nach Wortlaut, systematischer Stellung noch dem Willen des Gesetzgebers11 der Fall.

Komsumtion ist dagegen anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der strafbaren Handlung durch einen der anwendbaren Straftatbestände bereits erschöpfend erfasst wird. Bei dieser Beurteilung sind die Rechtsgüter zugrunde zu legen, die der Täter angreift, daneben die Tatbestände, die der Gesetzgeber zu deren Schutz geschaffen hat. Die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts muss eine – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestandes sein12. Das Unrecht des zurücktretenden Delikts muss bei einer Verurteilung wegen des bleibenden erschöpfend erfasst werden13. Die Konsumtion setzt zudem die Verletzung mehrerer Rechtsgüter desselben Rechtsgutsträgers voraus14.

Die Voraussetzungen der Konsumtion liegen nicht vor. § 223 StGB schützt die körperliche Unversehrtheit einer Person. Dagegen dient § 113 StGB in erster Linie dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte und damit dem Schutz des Gewaltmonopols des Staates; darüber hinaus schützt er auch die Personen, die zur Vollstreckung berufen sind15. Der neue § 114 StGB dient nach dem Willen des Gesetzgebers dagegen vor allen Dingen dem individuellen Schutz von Vollstreckungsbeamten während ihres Dienstes16 und schützt damit nur mittelbar das überindividuelle Interesse an der Dienstausübung17. Nach § 114 StGB ist ein Vollstreckungsbeamter nicht nur vor Angriffen gegen seine körperliche Unversehrtheit geschützt, sondern auch vor allen anderen mit feindseligem Willen unmittelbar auf seinen Körper zielenden Handlungen. Zwar wird mit dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einer konkreten Vollstreckungssituation nach § 113 Abs. 1 StGB häufig der tätliche Angriff gegen einen Vollstreckungsbeamten im Sinne von § 114 Abs. 1 StGB einhergehen, der seinerseits vielfach eine zumindest versuchte Körperverletzung des Beamten mit sich bringt. Eine erschöpfende Erfassung des Unrechts solcher Taten wäre aber beim Zurücktreten eines dieser Straftatbestände nicht möglich. Gerade die jeweils unterschiedlichen Schutzrichtungen der in Rede stehenden Tatbestände sprechen vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens, den Schutz von Vollstreckungsbeamten deutlich zu stärken18. S. 8 ff.)),

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Juni 2020 – 5 StR 157/20

  1. ebenso Fahl, ZStW 2018, 745, 754 f.; Kulhanek JR 2018, 551, 558; Schönke/Schröder/Eser, aaO, Rn. 12; vgl. auch Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513[]
  2. vgl. zu den Voraussetzungen Fischer, 67. Aufl., Vor § 52 Rn. 3 mwN[]
  3. LK-StGB/Rissingvan Saan, 13. Aufl., Vor § 52 Rn. 106 mwN; vgl. grundlegend auch Klug, ZStW 68, 399[]
  4. vgl. Rissing-van Saan, aaO, Rn. 110 ff.; Fischer, aaO, Rn. 40[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 37; Rissingvan Saan, aaO, Rn. 119, jeweils mwN[]
  6. BT-Drs. 18/11161, S. 9[]
  7. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513[]
  8. Fahl, ZStW 2018, 745, 753[]
  9. Fahl, aaO, S. 755; Busch/Singelnstein, aaO[]
  10. Rissing-van Saan, aaO, Rn. 144 mwN[]
  11. vgl. BT-Drs. 18/11161, S. 9 f.[]
  12. BGH, Beschluss vom 27.11.2018 – 2 StR 481/17, BGHSt 63, 253, 258 f. mwN[]
  13. BGH, aaO, S. 261[]
  14. BGH, aaO, Rn. 25[]
  15. BT-Drs. 17/4143, S. 6; vgl. auch Busch/Singelnstein, aaO, S. 511[]
  16. vgl. BT-Drs. 18/11161, S. 10; Busch/Singelnstein, aaO, S. 511[]
  17. vgl. Kulhanek, JR 2018, 551, 553[]
  18. vgl. BT-Drs. 18/11161, für die Annahme klarstellender Idealkonkurrenz ((vgl. Kulhanek, NStZ-RR 2020, 39, 40; ders., JR 2018, 551, 558; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513; Fahl, ZStW 2018, 745, 754 f.; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932; Schönke/Schröder/Eser, aaO, Rn. 12[]
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Der Zuständigkeitsstreit der Jugendrichter - bei der Einleitung der Vollstreckung

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