Beitragsvorenthaltung – und ihre Verjährung

Die Verjährungsfrist für Taten nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB). Sie beginnt mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat1. Einkommensabhängige Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung ausgeübt worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).

Beitragsvorenthaltung – und ihre Verjährung

Im vorliegenden Fall waren die ältesten Beiträge, hier für den Monat Februar 2011, am 24.02.2011 fällig. Die Verfolgungsverjährungsfrist hat am Folgetag zu laufen begonnen und wäre mithin am 24.02.2016 abgelaufen2.

Die Verjährung ist jedoch spätestens am 2.02.2016 gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 1, letzter Halbsatz StGB durch die Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens an den Angeklagten unterbrochen worden.

Die Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens ist in dem vom Zeugen B. unterzeichneten Einleitungsvermerk des Hauptzollamts B. , der das Datum 26.01.2016 trägt, dokumentiert. Diese Anordnung genügt den Anforderungen des § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB3. Aus ihr geht der Wille der Ermittlungsbehörde hervor, dem Angeklagten die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen bestimmt bezeichneter Tatvorwürfe bekannt zu geben. Im Vermerk heißt es: „Die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an den Beschuldigten ist angeordnet, aus ermittlungstaktischen Gründen jedoch nicht erfolgt.“ Weiter wird ausgeführt, dass hinreichende Anhaltspunkte bestünden, dass der Angeklagte als Arbeitgeber ab Beginn des Jahres 2011 bis mindestens Mai 2015 Arbeitnehmer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beschäftigt habe, die er nicht oder nicht richtig bei den zuständigen Einzugsstellen zur Sozialversicherung angemeldet und für die er keine oder zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe.

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Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Anordnung trat spätestens am 2.02.2016 ein. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der auf den 26.01.2016 datierte Einleitungsvermerk verweist auf einen „beigefügten Sachstandsbericht“, dessen „Punkt 4. […] die Gründe der Einleitung (bisherige Erkenntnisse) wiedergibt“. Dieser Sachstandsbericht datiert vom 02.02.2016 und nimmt seinerseits unter diesem Punkt Bezug auf die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten am „26.01.2016“ als „nunmehr Beschuldigten“. Durch diese wechselseitigen Bezugnahmen wird eindeutig belegt, dass jedenfalls am 2.02.2016 die Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens bereits angeordnet war. Dies findet Bestätigung im Inhalt des Schreibens des Hauptzollamts B. an die Staatsanwaltschaft Berlin vom 10.02.2016, welches auf den „Einleitungsvermerk v. 26.01.16 sowie den Sachstandsbericht v. 02.02.16“ verweist.

Dem steht nicht entgegen, dass der Sachstandsbericht dem Einleitungsvermerk nicht unmittelbar als Anlage beigefügt, sondern erst im Anschluss an zwischengeheftete Dokumente zur Akte gebracht wurde. Denn diese Schriftstücke weisen einen unmittelbaren Zusammenhang zu den Strafverfolgungsmaßnahmen auf. Sie betreffen sämtlich das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten und belegen eine Tätigkeit der Ermittlungsbehörde gerade im relevanten Zeitraum vom 26.01.2016 und 2.02.2016 (elektronische Auskunft aus dem Ausländerzentralregister vom 26.01.2016, Meldeauskunft vom 02.02.2016). Schließlich fügt sich die verjährungsunterbrechende Ermittlungsmaßnahme inhaltlich und zeitlich in den aus den Akten ersichtlichen sonstigen Verfahrensstand ein4. So verweist der Einleitungsvermerk auf Erkenntnisse aus dem zunächst nur gegen die Lebensgefährtin des Angeklagten als eingetragene Geschäftsführerin der Einziehungsbeteiligten geführten Verfahren. Weiter ist den Akten zu entnehmen, dass sich zu Beginn des Jahres 2016 die Verdachtslage gegen den Angeklagten als den (alleinigen) „Ansprechpartner“ der Gesellschaft verdichtete, der die Geschäfte „maßgeblich lenkt“ (Einleitungsvermerk vom 26.01.2016, Sachstandsbericht vom 02.02.2016, Vermerk des Hauptzollamts vom 25. Januar 2016).

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Anhaltspunkte für eine Manipulation der Aktenlage sind danach nicht im Ansatz ersichtlich. Dass die Anordnung zum Zeitpunkt ihrer Abfassung aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht umgesetzt worden war, ist unschädlich, da die Bekanntgabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist5.

Aufgrund weiterer Unterbrechungstatbestände – Eingang der Anklage bei Gericht am 5.05.2020 (§ 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB) und Eröffnung des Hauptverfahrens am 17.11.2020 (§ 78c Abs. 1 Nr. 7 StGB) – wurde die Verjährungsfrist auch in der Folgezeit immer wieder unterbrochen.

Die absolute Verjährungsfrist, die gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB zehn Jahre beträgt, ist bei Eröffnung des Hauptverfahrens am 17. No- vember 2020 noch nicht abgelaufen gewesen. Ab diesem Zeitpunkt hat die Verjährung für die Dauer von fünf Jahren gemäß § 78b Abs. 4 StGB geruht. Hierfür kommt es lediglich darauf an, ob das Gesetz – wie hier (§ 266a Abs. 4 StGB) – einen besonders schweren Fall mit einer Strafandrohung von über fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht6. Seit Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 13.09.2021 ruht die Verjährung gemäß § 78b Abs. 3 StGB.

Vorstehende Erwägungen gelten auch für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung der Berufsgenossenschaft für das Kalenderjahr 2011. Anknüpfungspunkt ist insoweit der sich aus § 23 Abs. 3 SGB IV (in der Fassung vom 09.12.2010) ergebende Fälligkeitszeitpunkt, da ein Teil der gezahlten Arbeitsentgelte der Einzugsstelle gemeldet worden war7. Bei der hier zuständigen Berufsgenossenschaft wurden die Beiträge für das jeweilige Vorjahr nach dem Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung im Umlageverfahren erhoben, sodass die im Jahr 2011 geschuldeten Beiträge frühestens 2012 fällig wurden und die Verjährungsfrist vor der Unterbrechung durch Anordnung der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens an den Angeklagten nicht abgelaufen war.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. September 2023 – 5 StR 164/22

  1. BGH, Beschluss vom 03.03.2020 5 StR 595/19, NZWiSt 2020, 288, 289[]
  2. zur Fristberechnung vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2011 – 2 StR 275/10, wistra 2011, 228[]
  3. zum gleichlautenden § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG aF vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2006 – 5 StR 578/05, BGHSt 51, 72, 76[]
  4. zur Bedeutung aktenkundiger Anhaltspunkte insoweit vgl. BGH, Beschlüsse vom 10.08.2017 – 1 StR 218/17, BGHR StGB § 78c Abs. 1 Nr. 1 Anordnung 2; vom 22.05.2006 – 5 StR 578/05, BGHSt 51, 72, 79; Urteil vom 06.10.1981 – 1 StR 356/81, BGHSt 30, 215, 218 f.[]
  5. BGH, Beschluss vom 24.08.1972 – 4 StR 292/72, BGHSt 25, 6, 8; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 78c Rn. 6[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 01.08.1995 – 1 StR 275/95, BGHR StGB § 78b Abs. 4 Strafdrohung 1; vom 08.02.2011 – 1 StR 490/10, BGHSt 56, 146, 149 f.; vom 07.12.2016 – 1 StR 185/16 Rn. 4[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 03.03.2020 – 5 StR 595/19 Rn. 3[]