Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr – und der Vorteil großen Ausmaßes

Der Gesetzgeber hat in § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB aF das Merkmal des „großen Ausmaßes“ – wie auch in anderen Strafzumessungsregelungen, in denen dieses als Regelbeispiel zu finden ist (vgl. § 335 Abs. 2 Nr. 1, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, § 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB, § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) – betragsmäßig nicht bestimmt.

Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr – und der Vorteil großen Ausmaßes

Er hat zwar einerseits auf die begriffliche Identität hingewiesen1, andererseits aber deutlich gemacht, dass sich die Auslegung an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren habe. Deswegen könne ein Vorteil großen Ausmaßes nach § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB schon vorliegen, wenn man bei einer Subvention in dieser Höhe noch nicht von einem großen Ausmaß sprechen würde2. Auch bei der Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern könne ein anderer Auslegungsmaßstab geboten sein3. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich die Auslegung an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren hat4.

Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts bezieht sich die Bestimmung nur auf die Höhe des Vorteils und nicht auf den Umfang der Bevorzugung. Schutzzweckspezifisch ist danach ein großes Ausmaß erreicht, wenn der Vorteil besonders geeignet ist, den Vorteilnehmer zu korrumpieren. Dies erfordert eine Berücksichtigung einzelfallbezogener Umstände. Denn anders als die nach objektiven Maßstäben zu bestimmenden Merkmale des großen Ausmaßes in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alternative 1 StGB5 und § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO6 ist der Anreiz für Korrumpierbarkeit abhängig von den jeweiligen Verhältnissen des Vorteilnehmers, mithin von individuellen Kriterien7.

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Ob es im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit der Anwendung der kodifizierten Strafzumessungsregel8 der Festlegung einer betragsmäßig bestimmten Untergrenze als Begrenzung für den Einfluss individueller Kriterien bedarf und in welcher Höhe diese festzusetzen wäre, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht tragend entschieden9. Soweit der 5. Strafsenat in einem obiter dictum die Rechtsprechung zu § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alternative 1 StGB und § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO auf die Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern (§ 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB) übertragen und den insoweit angenommenen Wert von 50.000 € in einem Klammerzusatz ohne nähere Begründung auch auf § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB erstreckt hat10, überzeugt ein solches Vorgehen nicht, da diese Sichtweise schon der gesetzgeberischen Intention nicht gerecht wird, nach der die Grenze unter der für § 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB geltenden Größenordnung11 liegen soll9.

Letztlich kann aber auch hier dahingestellt bleiben, ob und in welcher Höhe eine Untergrenze zu bestimmen ist12. Denn bereits der Umstand, dass die S. GmbH schon vor Abschluss des Exklusivvertrags mit der E. KG jährlich Überschüsse zwischen ca. 220.000 € und 507.000 € erwirtschaftete, spricht dafür, dass der Wert der dem Angeklagten E. zugewandten Beteiligung die in Rechtspre- chung und Literatur erörterten Untergrenzen für einen Vorteil großen Ausmaßes im Sinne des § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB aF überschritt. Dies gilt umso mehr, als vorliegend nicht lediglich auf den isolierten Wert der Gesellschaftsanteile abzustellen, sondern eine Gesamtbetrachtung des beabsichtigten und entsprechend umgesetzten Geschäftsmodells anzustellen ist. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass die Angeklagten eine exklusive Zusammenarbeit über einen langen Zeitraum vereinbarten, wodurch der S. GmbH für mindestens zehn Jahre eine Monopolstellung und vorhersehbare Gewinne in Millionenhöhe garantiert wurden, die Angeklagten E. und Sch. über die eingeräumte – und ihnen einseitig nicht mehr entziehbare – Beteiligung ebenfalls dauerhaft an den Gewinnen partizipieren sollten und durch ihre fortbestehenden Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Unternehmensgruppe auf die Auftragsvergabe maßgeblich Einfluss nehmen konnten und nahmen, also die Entwicklung der Geschäftschancen dauerhaft selbst entscheidend bestimmen konnten13.

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Die zugewandte Unternehmensbeteiligung war damit in der gebotenen Gesamtschau geeignet, den Angeklagten in erheblicher Weise zu korrumpieren.

Auch soweit das Landgericht die konkrete Höhe der dem Angeklagten aus der Beteiligung an der S. GmbH zugeflossenen Ausschüttungen strafer- schwerend berücksichtigt hat, erweist sich dies im Ergebnis nicht als rechtsfehlerhaft. Denn die Ausschüttungen stellen ungeachtet des Wertes der zugewandten Gesellschaftsanteile daraus gezogene Früchte dar, deren Höhe der Angeklagte aufgrund des in der Unrechtsvereinbarung festgelegten Geschäftsmodells selbst beeinflussen konnte. Sie sind somit bedeutsam für den Schuldumfang und haben bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden können14.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. März 2022 – 3 StR 375/20

  1. BT-Drs. 13/5584 S. 15, 17[]
  2. BT-Drs. aaO S. 15[]
  3. BT-Drs. aaO S. 17[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 364; vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 32[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 362 ff.[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 32[]
  7. BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – 1 StR 235/14, NStZ-RR 2015, 278, 280 mwN[]
  8. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 361 f.[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – 1 StR 235/14, NStZ-RR 2015, 278, 280[][]
  10. BGH, Urteil vom 23.11.2015 – 5 StR 352/15, NZWiSt 2016, 359 Rn. 18 ff.[]
  11. ab etwa 50.000 €, vgl. BGH, Urteil vom 20.11.1990 – 1 StR 548/90, BGHR StGB § 264 Abs. 3 Strafrahmenwahl 1: 100.000 DM als Grenze; BGH, Urteil vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360[]
  12. vgl. zu den in der Literatur vertretenen stark variierenden Größen: BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – 1 StR 235/14, NStZ-RR 2015, 278, 280 mwN[]
  13. vgl. dazu auch die zu den Tatbeständen des Betrugs und der Untreue durch den Bundesgerichtshof in der sog. „Exspektanzenrechtsprechung“ entwickelten Grundsätze: BGH, Beschluss vom 29.01.2020 – 1 StR 421/19, wistra 2020, 382 Rn. 22; Urteil vom 27.11.2009 – 2 StR 104/09, NJW 2010, 784 Rn. 47; Beschluss vom 09.06.2004 – 5 StR 136/04, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 64[]
  14. vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 9[]
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