Der Bundesgerichtshof hat sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Fällen mit der Frage beschäftigt, wie in (Massen)Betrugsverfahren in tragfähiger Weise Feststellungen zum inneren Vorstellungsbild der getäuschten Personen getroffen werden können1.

Für die Beweiswürdigung in derartigen Fällen gilt: Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, und das gänzliche Fehlen einer Vorstellung für sich allein keinen tatbestandsmäßigen Irrtum begründen kann, muss der Tatrichter insbesondere mitteilen, wie er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist. In einfach gelagerten Fällen mag sich dies von selbst verstehen. Im Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, kann der Tatrichter befugt sein, auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage eines „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ indiziell zu schließen, wobei er dies im Urteil darzulegen hat2.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall organisierte der Angeklagte A. unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes verschiedene „Anrufwellen“ durch Call-Center, wobei eine erhebliche Anzahl der Angerufenen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu gebracht wurde, gegen Nachnahmezahlungen zwischen 75 und 97 Euro ein „Widerrufsschreiben“ zu erwerben, das der Abwehr von Ansprüchen ihrerseits betrügerisch agierender Gewinnspieleintragungsdienste und der Rückforderung bereits an diese gezahlter Geldbeträge dienen sollte. Zudem sorgte der Angeklagte A. dafür, dass an viele der durch die Anrufe zum telefonischen Vertragsschluss gebrachten Geschädigten weitere Schreiben gesandt wurden, in denen diese unter Vortäuschung offener Forderungen aus dem angeblich weiter bestehenden Vertragsverhältnis („2. Rechnung“, „Letzte Zahlungsaufforderung“ etc.) zur Zahlung von Beträgen in Höhe zwischen 59, 95 und 91, 80 Euro aufgefordert wurden. Zahlreiche der angeschriebenen Personen überwiesen die jeweils geforderten Beträge. Sämtliche Geldbeträge gingen auf Konten ein, über die der Angeklagte A. unmittelbar oder über Mittelsmänner verfügen konnte. Der Angeklagte M. beteiligte sich an zweien dieser Projekte (Beihilfefälle) und organisierte in einem Fall ohne den Angeklagten A. selbst eine Anrufaktion.
Im Einzelnen kam es auf die beschriebene Art und Weise zu folgenden Taten:
- Im Rahmen des „Projekts Verbraucherangriff“ zahlten nach telefonischer Anwerbung für ein „Widerrufsschreiben“ 1.036 Personen per Nachnahme insgesamt 79.756 Euro. An 853 Personen wurde anschließend ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben „2. Rechnung“ gesandt, woraufhin 152 Personen insgesamt 12.075 Euro zahlten. Auf ein weiteres Schreiben „Letzte Zahlungsaufforderung“, das an 719 Personen verschickt wurde, zahlten 119 der Angeschriebenen insgesamt 10.924, 20 Euro. An 671 Personen wurde im Rahmendieses „Projekts“ noch eine unzutreffende „Rechnung 1.07.2011 – 31.12.2011“ versandt, woraufhin 62 Personen insgesamt 5.170 Euro überwiesen.
- Bei dem „Projekt Deutsche Verbraucherberatung“ kam es 2010 nach der durchgeführten Anrufaktion zur Zahlung von insgesamt 12.192 Euro durch 140 telefonisch kontaktierte Personen für ein „Widerrufsschreiben“ per Nachnahme. Im Jahr 2011 zahlten nach einer vom Angeklagten M. durchgeführten Telefonaktion 461 Personen insgesamt 41.029 Euro.
- Im Rahmen des „Projekts Kundenschutz24“ erhielten 6.380 Personen, deren Daten sich der Angeklagte A. zuvor von dritter Seite beschafft hatte, ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben „2. Rechnung“, woraufhin 1.147 Personen insgesamt 68.762, 65 Euro überwiesen. Unter der Überschrift „Kundenschutz24, Rechnung 1.07.2011 – 31.12.2011“ wurden zudem 10.062 Personen angeschrieben und zur Zahlung aufgefordert, woraufhin 648 Personen insgesamt 38.847, 60 Euro zahlten.
Wie zuvor bereits das Landgericht Würzburg wertete der Bundesgerichtshof wertete die Organisation der „Anrufwellen“ über Call-Center als drei Betrugsversuche des Angeklagten A. und einen Betrugsversuch des Angeklagten M. (in Form eines uneinheitlichen Organisationsdelikts) gewertet. Bezüglich der Versendung unzutreffender Rechnungen oder Mahnungen hat der Bundesgerichtshof pro Aktion einen Fall des vollendeten Betruges angenommen, weil jeweils mindestens ein Kunde irrtumsbedingt gezahlt habe. Als Vollendungsschaden wurde in diesen Fällen nur ein geringer Betrag angesehen, im Rahmen der Strafzumessung indes negativ gewertet, dass sich der Vorsatz der Angeklagten auf hohe Schadensbeträge bezogen habe.
Hier hat das Landgericht Würzburg – nunmehr gebilligt durch den Bundesgerichthof – aus einer Reihe von Indizien den Schluss gezogen, dass mindestens einer der jeweils Angeschriebenen auf die inhaltlich unzutreffenden, als „Rechnung“ oder „Zahlungsaufforderung“ bezeichneten Schreiben in der irrigen Vorstellung gezahlt hat, er sei zur Zahlung des geforderten Geldbetrages aufgrund des (konkludent) vorgespiegelten Vertragsinhalts verpflichtet. Vor dem Hintergrund, dass die Forderungen eine nicht unerhebliche Summe (deutlich über der Geringwertigkeitsgrenze von 25 €3) betrafen und bei derartigen Beträgen jedenfalls grundsätzlich davon auszugehen ist, dass niemand eine so hohe angebliche Forderung bezahlt, von der er weiß, dass sie zu Unrecht erhoben wird, konnte die Strafkammer aus den erfolgten Zahlungen insgesamt den Schluss ziehen, dass mindestens eine von über 50 Personen irrtumsbedingt gezahlt hat. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass jedenfalls nicht alle Geschädigten nur deshalb gezahlt haben, „um ihre Ruhe zu haben“, ist lebensnah und nachvollziehbar und deshalb vom Revisionsgericht nicht zu beanstanden. Die Erwägung eines solchen Zahlungsmotivs gewinnt bei unberechtigt übersandten Rechnungen und Mahnschreiben zwar an Gewicht, je niedriger der angeforderte Zahlbetrag und je stärker die Mahnfrequenz und Mahnintensität – und damit die nötigungsnahe Lästigkeit – ist. Bei Fällen wie dem vorliegenden (Zahlbetrag deutlich über 25 Euro, jeweils über 50 Geschädigte, keine hohe Aufforderungsfrequenz und -intensität) lässt die Annahme, mindestens eine dieser Personen habe irrtumsbedingt und nicht lästigkeitsbedingt verfügt, Rechtsfehler nicht erkennen.
Ein Rechtsfehler liegt auch nicht darin, dass sich das Gericht zur Feststellung dieses Irrtums nicht auf die Aussage eines oder mehrerer Zeugen, sondern auf äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze gestützt hat.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Gericht in der Regel – vor allen Dingen bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild der Geschädigten – auch lediglich aus Indizien auf einen Irrtum schließen kann4. Die Feststellung des Vorstellungsbildes geschädigter Personen beim Betrug folgt dabei keinen anderen Regeln als die Feststellung sonstiger innerer Tatsachen wie etwa des Vorsatzes beim Angeklagten. Auch dort ist der Schluss von äußeren Umständen auf eine innere Einstellung regelmäßig möglich und teilweise auch geboten5. Feste Beweisregeln für die Feststellung innerer Sachverhalte kennt das Gesetz weder hinsichtlich des Angeklagten noch hinsichtlich möglicher Geschädigter. Es gilt vielmehr – unabhängig vom Tatbestand – der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO).
Soweit in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anklingt, Feststellungen zum Irrtum seien beim Betrug in aller Regel nur möglich, wenn die irrende Person oder bei Massenbetrugsfällen jedenfalls einige der Geschädigten ermittelt und als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen würden6, könnte der Bundesgerichtshof dem nicht ohne weiteres folgen. Denn gerade bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild wird der Schluss auf einen Irrtum des Verfügenden häufig allein auf tragfähige Indizien gestützt werden können7. Grundlage eines solchen Indizschlusses können auch äußere Umstände sein, die der Angeklagte glaubhaft gestanden hat, weshalb es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, Feststellungen zu einem Irrtum beim Betrug könnten nicht auf der Grundlage eines Geständnisses des Angeklagten getroffen werden8.
In Massenbetrugsverfahren kann sich das Gericht seine Überzeugung von einem Irrtum vieler Geschädigter auch dadurch verschaffen, dass es einige der Geschädigten als Zeugen vernimmt (oder deren Aussagen auf andere Art und Weise in die Hauptverhandlung einführt) und aus deren Angaben zum Vorliegen eines Irrtums indiziell auf einen Irrtum bei anderen Geschädigten schließt9.
Soweit es danach nahe gelegen hätte, die Angeklagten auch in den Fällen der Organisation einer „Anrufwelle“ jeweils wegen vollendeten Betruges zu verurteilen, sind sie durch die wenig nachvollziehbare Annahme bloßen Versuchs nicht beschwert.
Die Strafzumessung des Landgerichts ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Es hat in den Vollendungsfällen jeweils zu Gunsten der Angeklagten gewürdigt, dass der Vollendungsschaden nur sehr gering war, zu ihren Lasten aber die Höhe des erstrebten unrechtmäßigen Vermögensvorteils. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs10. Weil in derartigen Fällen regelmäßig ein gegenüber dem Erfolgsunrecht besonders gesteigertes Handlungsunrecht vorliegt, ist es für die Strafzumessung nicht immer von entscheidender Bedeutung, ob es bei (einzelnen) Betrugstaten zur Vollendung kommt oder mangels Irrtums des Getäuschten oder wegen fehlender Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung beim Versuch bleibt. Wenn die Taten eine derartige Nähe zur Tatvollendung aufweisen, dass es vom bloßen Zufall abhängt, ob die Tatvollendung letztlich doch noch am fehlenden Irrtum des Tatopfers scheitert, kann das Tatgericht unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der Tatumstände des konkreten Einzelfalls zum Ergebnis gelangen, dass jedenfalls die fakultative Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu versagen ist11.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14
- vgl. aus sachlichrechtlicher Perspektive BGH, Urteil vom 05.12 2002 – 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198; Urteil vom 09.06.2009 – 5 StR 394/08, NStZ 2009, 697; Beschluss vom 22.01.2012 – 3 StR 285/11, wistra 2012, 315; Beschluss vom 06.02.2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422; Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215; Urteil vom 05.03.2014 – 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595; Urteil vom 27.03.2014 – 3 StR 342/13, NJW 2014, 2054; Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459; Beschluss vom 17.06.2014 – 2 StR 658/13; vgl. aus verfahrensrechtlicher Perspektive BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08, wistra 2009, 433, 434 [insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 15.10.2013 – 3 StR 154/13, NStZ 2014, 111 m. Anm. Allgayer; vgl. zur Beschränkung gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf des nur versuchten Betruges in vergleichbaren Fällen BGH, Beschluss vom 22.01.2013 – 1 StR 416/12, BGHSt 58, 119, 122; Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459[↩]
- BGH, Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459, 460 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215 f.[↩]
- vgl. Fischer, 61. Aufl., § 243 Rn. 25 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216 mwN[↩]
- vgl. nur zum Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlichen Gewalthandlungen BGH, Urteil vom 22.03.2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 17.06.2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; BGH, Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216[↩]
- in diese Richtung aber wohl BGH, Beschluss vom 17.06.2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645; vgl. zu dieser Problematik auch BGH, Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459, 460[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422; Urteil vom 22.11.2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215; Urteil vom 05.03.2014 – 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595; Urteil vom 27.03.2014 – 3 StR 342/13, NJW 2014, 2054; Urteil vom 22.05.2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.12 2006 – 5 StR 181/06, BGHSt 51, 165, 179[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.02.2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422, 424[↩]