Ein „Gutschriftensystem“, wonach gesetzlich krankenversicherte Kunden anstelle der ihnen ärztlich verschriebenen Arzneimittel Gutschriften für ihre Kassenrezepte erhalten, für deren Gegenwert konnten sie freiverkäufliche Waren oder verschreibungspflichtige Rohypnol-Tabletten mit dem Wirkstoff Flunitrazepam erhalten, stellt nicht nur eine unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln aus einer Apotheke im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 7 BtMG, sondern auch – hinsichtlich jeder monatlichen Sammelabrechnung – einen Betrug zulasten der Krankenkasse dar.

Bei den monatlichen Sammelabrechnungen des Apothekers gegenüber den Krankenkassen lag jeweils eine Täuschungshandlung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB vor.
Täuschungshandlung ist jede Einwirkung des Täters auf die Vorstellung des Getäuschten, die geeignet und dazu bestimmt ist, beim Adressaten der Erklärung eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen1. Welchen Erklärungswert eine konkludent abgegebene Äußerung besitzt, beurteilt sich nach dem Empfängerhorizont und der Verkehrsanschauung2.
Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend macht3. Die entsprechende Erklärung des Apothekers war in den Fällen, die seiner Verurteilung zu Grunde liegen, falsch, weil die eingereichten Rezepte gefälscht oder angekauft waren und ohne entsprechende Arzneimittelabgabe zur Abrechnung eingereicht wurden.
Die Einschaltung einer Apotheken-Verrechnungsstelle führt in diesem Zusammenhang nur dazu, dass die jeweilige Tat vom Apotheker in mittelbarer Täterschaft begangen wurde. Sie ändert nichts am Erklärungswert der an die Krankenkassen weitergereichten Abrechnungen.
Die Mitarbeiter der Krankenkassen unterlagen im Hinblick auf die Erklärungen des Apothekers bei den monatlichen Sammelabrechnungen jeweils einem Irrtum.
Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt in Ordnung. Daher setzt ein Irrtum auch nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde4.
Für die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums ist es deshalb ausreichend, dass ein sachgedankliches Mitbewusstsein der Krankenkassenmitarbeiter vorlag, das die Annahme einschloss, allen Abrechnungen des Angeklagten hätten tatsächlich von Apothekenkunden als Kassenpatienten eingereichte Rezepte und entsprechende Arzneimittelabgaben in der Apotheke zu Grunde gelegen. Nur dafür ist das Abrechnungssystem des Apothekerverbandes vorgesehen. Es ist auf das Vertrauen gestützt, dass die Apotheker keine gefälschten oder angekauften Rezepte zur Abrechnung tatsächlich nicht durchgeführter Medikamentenabgaben einreichen. Der Fall der Rezeptfälschung oder sonstigen Rezeptabrechnung ohne Arzneimittelabgabe stellt die Berechtigung des geltend gemachten sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs grundlegend in Frage.
Weil es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung eines tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs ging, bedurfte es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen5. Das Tatgericht konnte vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend gemacht.
Mit der Vornahme der Zahlungen auf die Sammelabrechnungen ist jeweils eine Vermögensverfügung der Krankenkasse erfolgt, die zu einem Schaden geführt hat, weil nicht erbrachte Leistungen vergütet wurden.
Die Stoffgleichheit zwischen der Vermögensverfügung und dem Vermögensschaden steht außer Frage. Daran ändert die Zwischenschaltung der Verrechnungsstelle nichts, die insoweit nur eine Botenfunktion ausgeübt hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Februar 2015 – 2 StR 109/14
- vgl. BGH, Urteil vom 08.10.2014 – 1 StR 359/13[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2009 – 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 04.09.2012 – 1 StR 534/11, Rn. 46; Urteil vom 10.12 2014 – 5 StR 405/13, Rn. 11[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.01.2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, 100[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.09.2014 – 1 StR 314/14[↩]