Bei einer unter der Geltung des § 30 Abs. 2a OWiG erfolgten Gesamtrechtsnachfolge kann eine Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger auch dann festgesetzt werden, wenn die Anknüpfungstat vor Inkrafttreten der Vorschrift am 30.06.2013 begangen worden ist.

Die Vorschrift des § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG ist mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-Novelle) vom 26.06.20131 mit Wirkung zum 30.06.2013 in das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aufgenommen worden.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, in dem es um eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ging, hatte § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG im Zeitpunkt der Gesamtrechtsnachfolge bereits Gültigkeit. Hingegen wurde die Anknüpfungstat vor der Gesetzesänderung begangen. Die für die Anknüpfungstat maßgebenden Handlungen waren vor Inkrafttreten des § 30 Abs. 2a OWiG bereits beendet. Zwar ist der aus der Bestechung resultierende Vorteil ausweislich der Urteilsgründe erst nach der Verschmelzung und damit der Nebenbeteiligten zugeflossen. Für die Beurteilung der Frage der Rückwirkung ist jedoch die Zeit der Handlung entscheidend (§ 4 Abs. 1 OWiG), nicht die des Erfolgs2. Diese lag im Abschluss der Unrechtsvereinbarung; auch die in Vollzug der Unrechtsvereinbarung und zugleich im Blick auf künftige Bevorzugungen gewährten Vorteile in Form von „kostenfreien“ Arbeiten am Einfamilienhaus des Bestochenen waren vor dem 30.06.2013 beendet.
Ob das ahndungsrechtliche Rückwirkungsverbot der Festsetzung der Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger entgegensteht, wenn die Rechtsnachfolge – wie hier – nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG stattfand, die Anknüpfungstat aber vor diesem Zeitpunkt beendet war, wird im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt3. Der Bundesgerichtshof verneint die Frage.
Allerdings ermöglicht § 30 Abs. 2a OWiG die Festsetzung einer Geldbuße, die ihrer Rechtsnatur nach eine strafähnliche Sanktion darstellt und in ihrer Ahndungsfunktion in einem weiteren Sinne als Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit angesehen werden kann4. Das kann dafürsprechen, dass das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 3, 4 Abs. 1 OWiG auch für § 30 Abs. 2a OWiG Geltung beansprucht5. Der Bundesgerichtshof muss die Frage nicht entscheiden. Denn angesichts des Normzwecks und des Rechtscharakters der Vorschrift ist den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls dann Genüge getan, wenn diese im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge bereits in Kraft getreten war. Ob die – zur Zeit ihrer Begehung unproblematisch ahndbare und die Verantwortlichkeit des Rechtsvorgängers nach § 30 Abs. 1 OWiG auslösende – Anknüpfungstat schon zuvor beendet war, ist insoweit nicht maßgebend.
Mit § 30 Abs. 2a OWiG wollte der Gesetzgeber im Anschluss an Ausführungen des Bundesgerichtshofs6 eine Rechtsgrundlage schaffen, mit der der Umgehung drohender bußgeldrechtlicher Sanktionen durch gezielte Wahl gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen entgegengewirkt werden kann7. Die Wortfassung hat er dabei an die Vorschrift des § 45 AO angelehnt, wonach „bei Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerverhältnis auf den Rechtsnachfolger“ übergehen; der Eintritt in sämtliche Rechtspositionen des Rechtsvorgängers sei dabei im Wesen der Gesamtrechtsnachfolge angelegt, bedürfe im Ordnungswidrigkeitenrecht aber ausdrücklicher Regelung8.
Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich bei § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG nicht um einen eigenständigen Ahndungstatbestand gegenüber dem Rechtsnachfolger, der in seiner Gesamtheit (Begehung der Anknüpfungstat, Begründung der Verbandsverantwortlichkeit des Rechtsvorgängers und Übergang auf einen Rechtsnachfolger) an Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 3, 4 Abs. 1 OWiG zu messen wäre9. Denn nach § 30 Abs. 2a OWiG rückt der Gesamtrechtsnachfolger lediglich in eine vom Rechtsvorgänger – ohne Verletzung des Rückwirkungsverbots – begründete Bußgeldlast ein10, ohne dass ihm ein „(Organ-)Verschulden“ oder gar eine „persönliche Vorwerfbarkeit“ in Bezug auf den Rechtsvorgänger zugewiesen würde11. Der wertneutrale Charakter der Vorschrift wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber die Festsetzung der Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger nicht an einen von diesem verübten Missbrauch gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten knüpft, sondern nur auf den Vorgang der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge abstellt. Zudem erfasst die Vorschrift auch die wiederholte bzw. nur mittelbare Rechtsnachfolge12. Schließlich kommt es auf eine „Bösgläubigkeit“ des Rechtsnachfolgers nicht an13.
Dem Vorstehenden entspricht es, dass die Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger nicht nach den für ihn geltenden Umständen bemessen wird. Vielmehr ist eine hypothetische Bußgeldbemessung durchzuführen, aus der sich ergibt, welche Geldbuße gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessen gewesen wäre, wobei die hypothetisch ermittelte Geldbuße namentlich im Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Rechtsnachfolgers reduziert werden kann14. Dies folgt aus § 30 Abs. 2a Satz 2 OWiG, wonach das für den Rechtsvorgänger angemessene Maß nicht überschritten werden darf und die Höhe der Geldbuße auf den Wert des übernommenen Vermögens beschränkt ist. Die in § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG enthaltene Wendung „Geldbuße nach Absatz 1 und 2“ stellt dabei nur die gesetzestechnisch erforderliche Verbindung zur Anknüpfungstat von Leitungspersonen des Rechtsvorgängers her und bietet keinen Ansatz für die Annahme eines ahndungsrechtlichen „Gesamttatbestandes“15.
Es steht demnach eine bloße „Überleitungsnorm“16 mit „haftungsrechtlichem Charakter“17 in Frage. Dementsprechend liegt der maßgebende Akt in der Gesamtrechtsnachfolge. Diese erfolgte hier nach Inkrafttreten des § 30 Abs. 2a OWiG.
Bedenken unter dem Aspekt des im Rechtsstaatsgebot und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutzprinzips bestehen nicht. Zwar knüpft die „Überleitungsnorm“ des § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG an die Tat einer Leitungsperson des Rechtsvorgängers an. Soweit diese in der Zeit vor Inkrafttreten der Vorschrift begangen worden ist, liegt darin aber kein Fall einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen im Sinne einer „echten“ Rückwirkung, sondern ein Fall grundsätzlich zulässiger „unechter“ Rückwirkung durch Rückanknüpfung vor18. Es besteht kein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsnachfolgers, bei einer Gesamtrechtsnachfolge nicht auch in eine vom Rechtsvorgänger verursachte und auf das übernommene Vermögen beschränkte Geldbußenlast einzurücken19.
Der Bundesgerichtshof weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise ab von dem Beschluss des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs vom 16.12.201420. Dieser Entscheidung lag eine Konstellation zugrunde, in der sowohl die Anknüpfungstat als auch die Rechtsnachfolge bereits Jahre vor Inkrafttreten der Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG abgeschlossen waren. Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit in tatsächlicher Hinsicht wesentlich von dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden.
Auch die Höhe der Geldbuße hatte im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall letztlich Bestand. Allerdings hat das Landgericht die Geldbuße nicht wie rechtlich geboten im Wege einer auf die Rechtsvorgängerin bezogenen hypothetischen Betrachtung bemessen, sondern insoweit auf die Verhältnisse der Nebenbeteiligten abgestellt. Jedoch kann der Bundesgerichtshof auch angesichts des Gewichts der Anknüpfungstat ausschließen, dass es bei rechtsfehlerfreier Wertung eine noch geringere Geldbuße zugemessen hätte. Den von ihm angesichts eines Jahresumsatzes der Nebenbeteiligten von knapp zwölf Millionen Euro lediglich als „symbolisch“ bezeichneten Betrag von 10.000 Euro hat es maßgeDieser ahndungsmildernde Umstand träfe auf die Rechtsvorgängerin zumindest nicht in demselben Maß zu. Die Nebenbeteiligte ist durch den Rechtsfehler damit nicht benachteiligt. bend damit begründet, dass eine „Doppelbestrafung“ des Angeklagten vermieden werden solle, bei dem es sich um den Alleingesellschafter der Nebenbeteiligten handele und dessen Vermögen deshalb von der Geldbuße mittelbar betroffen sei.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. März 2021 – 6 StR 452/20
- BGBl. I S. 1738[↩]
- vgl. etwa Göhler/Gürtler/Thoma, OWiG, 18. Aufl., § 6 Rn. 3; KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl., § 6 Rn. 2; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 10, § 8 Rn. 2, alle mwN[↩]
- bejahend z.B. Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn 26; Dannecker/Dannecker/Müller ZWeR 2013, 417, 427 f.; Mäger/v. Schreitter, DB 2014, 643, 645; Heinichen, EWiR 2015, 427 f.; Haus, WuW 2015, 982 f.; ablehnend etwa BeckOK-OWiG/Meyberg, 29. Edition Stand: 1.01.2020, § 30 Rn 43; Ost, in Bien: Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWBNovelle, 2013, S. 305, 311; Görner, ZWeR 2014, 102, 105 f.; in diesem Sinne auch, jeweils ohne Begründung, Graf/Jäger/Wittig/Niesler, OWiG, 2. Aufl. § 30 Rn. 18; Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 30 OWiG Rn. 66[↩]
- vgl. allgemein BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19 Rn. 107, 113; zu Bußgeldtatbeständen etwa BVerfG, NJW 1990, 1103; siehe speziell zur Verbandsgeldbuße aber auch BVerfGE 95, 220, 242, alle mwN[↩]
- in diesem Sinne BGH, Beschluss vom 16.12.2014 – KRB 47/13, BGHSt 61, 121, 124[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 10.08.2011 – KRB 55/10, BGHSt 57, 193, 201 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11053, S.20 ff.[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11053, S. 22[↩]
- aM Achenbach, aaO; Haus, aaO[↩]
- vgl. Achenbach, wistra 2013, 369, 372 f.; Eisele, in Eisele/Koch/Theile: Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 153, 165[↩]
- vgl. Eisele, aaO; Löbbe, ZHR 177 ?2013?, 518, 524; BeckOKOWiG/Meyberg, aaO[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11053, S. 21[↩]
- vgl. Görner, aaO; abweichend in Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG Mühlhoff, NZWiSt 2013, 321, 326[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11053, S. 22; KKOWiG/Rogall, aaO, Rn. 149; Achenbach, wistra 2013, 369, 372; Eisele, aaO, S. 167 f.[↩]
- aM Mäger/v. Schreitter, aaO[↩]
- vgl. Görner, aaO[↩]
- Ost, aaO[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19 Rn. 134; BVerfGE 72, 141, 154; 95, 64, 86; 101, 239, 263, st. Rspr[↩]
- vgl. auch BeckOK-OWiG/Meyberg, aaO; Görner, aaO[↩]
- BGH, Beschluss vom 16.12.2014 – KRB 47/13, BGHSt 61, 121[↩]