Untreue setzt sowohl in der Variante des Missbrauchs(§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) als auch in derjenigen des Treubruchtatbestands (§ 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB) voraus, dass dem Täter eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt und er diese verletzt.

Eine solche Pflicht ist gegeben, wenn der Täter in einer Beziehung zum (potentiell) Geschädigten steht, die eine besondere, über die für jedermann geltenden Pflichten zur Wahrung der Rechtssphäre anderer hinausgehende Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich besonders herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen.
Hierfür ist in erster Linie von Bedeutung, ob sich die fremdnützige Vermögensfürsorge als Hauptpflicht, mithin als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung darstellt. Diese besonders qualifizierte Pflichtenstellung in Bezug auf das fremde Vermögen muss über eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit hinausgehen.
Erforderlich ist weiterhin, dass dem Täter Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird. Hierbei ist nicht nur auf die Weite des ihm eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen1.
Allgemeine schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere aus Austauschverhältnissen, reichen nicht aus, und zwar auch dann nicht, wenn sich hieraus Rücksichtnahmeoder Sorgfaltspflichten ergeben. In der Regel wird sich eine Treuepflicht nur aus einem fremdnützig typisierten Schuldverhältnis ergeben, in welchem der Verpflichtung des Täters Geschäftsbesorgungscharakter zukommt. Bei rechtsgeschäftlicher Grundlage kommt es im Einzelfall auf die vertragliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an2.
Zwar spricht eine Stellung als Prokurist grundsätzlich dafür, dass der Prokurist der Geschäftsherrin gegenüber treupflichtig war3. Für die inhaltliche Ausgestaltung und Reichweite der Treuepflicht sind indes die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien maßgeblich.
Sollte es ihm nach den vertraglichen Abreden trotz seiner Prokuristenstellung gestattet gewesen sein, sich bei bestimmten Vertragsschlüssen eine Provision zu sichern, steht deshalb – bezogen auf das von diesem Vertragspartner zu zahlende Entgelt – ein fremdnützig typisiertes Schuldverhältnis in Zweifel. Aus der Prokuristenbestellung ergibt sich jedenfalls nicht zwingend, dass der Prokurist kein Provisionsinteresse verfolgen darf. Dass die verhandlungsführende Person einen Teil der Gegenleis18 tung, zu welcher der Vertragspartner bereit ist, seinem Geschäftsherrn entzieht und in die eigene Tasche lenkt, ist bei einer solchen Erlaubnis nicht pflichtwidrig4.
Eine Pflichtverletzung des Prokuristen im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB ist damit nicht belegt. Auch die Verletzung einer Informationspflicht über die getroffene Verrechnungsabrede mit der Vertragspartnerin würde dann hierfür nicht ausreichen. Denn hierbei handelte es sich allenfalls um eine sonstige vertragliche Rücksichtnahmepflicht.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. Januar 2020 – 1 StR 421/19
- vgl. BGH, Urteile vom 09.11.2016 – 5 StR 313/15, BGHSt 61, 305 Rn. 33 mwN; und vom 25.05.2010 – – VI ZR 205/09, BGHZ 185, 378 Rn. 9[↩]
- vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 11.12 2014 – 3 StR 265/14, BGHSt 60, 94 Rn. 26; Beschluss vom 02.04.2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182 Rn. 15 ff.; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.09.1962 – 1 StR 298/62, bei Herlan, GA 1964, 130; SSWStGB/Saliger, 4. Aufl., § 266 Rn. 15; Waßmer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 266 StGB Rn. 49; NKStGB/Kindhäuser, 5. Aufl., § 266 Rn. 58[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.12 1990 – IV ZR 187/89 Rn. 16[↩]