Zustellung an den Verteidiger – und keine Vollmacht bei den Akten

Bei Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, der sich auch aus einer entsprechenden Versicherung bei Rückgabe des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses ergeben kann, ist die Zustellung an den Verteidiger auch dann wirksam, wenn sich eine Vollmacht nicht bei den Akten befindet.

Zustellung an den Verteidiger – und keine Vollmacht bei den Akten

Die Vertretung des abwesenden Betroffenen in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger setzt die Vorlage der schriftlichen Vertretungsvolmacht voraus.

In der hier vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Bußgeldsache bedeutete dies: Die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begann mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Verteidigerin zu laufen (§§ 35 Abs. 2 Satz 1, 37 Abs. 2 StPO). Insoweit ist es ohne Bedeutung, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung eine Verteidigervollmacht nicht bei den Akten befand1. Denn jedenfalls hat die Verteidigerin mit der Bestätigung im Empfangsbekenntnis, zur Entgegennahme legitimiert zu sein, den Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht und damit der Empfangsberechtigung i.S.d. § 37 Abs. 2 StPO erbracht2.

Die Begründungsfrist begann vorliegend nicht bereits mit der Zustellung des Urteils zu laufen. Da das Urteil in Abwesenheit des Betroffenen und nicht in Anwesenheit eines Verteidigers mit schriftlicher Vertretungsvollmacht verkündet wurde, wurde hierdurch erst die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels in Gang gesetzt, an die sich die einmonatige Begründungsfrist anschloss (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 und 2 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO).Soweit § 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG, der gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG auf die Stellung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden ist, bestimmt, dass die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels mit der Verkündung des Urteils beginnt, wenn der abwesende Betroffene dabei nach § 73 Abs. 3 OWiG durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden ist, findet dies vorliegend keine Anwendung. In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, dass sich aus der im Zulassungsverfahren nachgereichten schriftlichen Vollmacht ergibt, dass die Verteidigerin nicht nur als Rechtsbeistand, sondern auch zur Vertretung des Betroffenen i.S.d. §§ 73 Abs. 3 OWiG bevollmächtigt war.

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Die bereits in Rumänien erfolgte Verurteilung

Bei der Anwendung des § 73 Abs. 3 OWiG gelten die Grundsätze, die zu §§ 234, 411 Abs. 2 StPO entwickelt worden sind3. Soweit die Strafprozessordnung die Durchführung von Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten zulässt, wenn für ihn ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht auftritt (§§ 234 Abs. 2, 314 Abs. 2, 350 Abs. 2, 387 Absatz 1, 411 Absatz 2 Satz 1, 434 Absatz 1 Satz 1 StPO, vgl. auch die § 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG entsprechende Vorschrift des § 341 Abs. 2 StPO), setzt dies aber jeweils voraus, dass die Vertretungsvollmacht des Verteidigers dem Gericht in schriftlicher Form oder in dem gleichstehender Weise nachgewiesen wurde. In der amtlichen Begründung des – am 25.07.2015 in Kraft getretenen – Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsurteilen vom 17.07.20154, durch das die Vorschriften der Strafprozessordnung über Abwesenheitsverhandlungen neu gefasst wurden, ist dazu ausgeführt: „Die Vollmacht bedarf nach § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO-E im Interesse der Rechtssicherheit eines Nachweises gegenüber dem Gericht. Hierbei ist wie in den entsprechenden Vorschriften der § 234 Abs. 2, § 314 Abs. 2, 350 Abs. 2, § 387 Absatz 1, 411 Absatz 2 Satz 1 und § 434 Absatz 1 Satz 1 StPO die Schriftform vorgesehen. […] Die schriftliche Vollmacht kann in derselben Urkunde wie die Verteidigungsvollmacht enthalten sein. Sie kann durch den Angeklagten auch zu Protokoll erklärt oder sich aus einer schriftlichen Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Gericht ergeben […].“

Es ist deshalb anerkannt, dass auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren eine Vertretung nach § 73 Abs. 3 OWiG voraussetzt, dass die schriftliche Vertretungsvollmacht dem Gericht vorgelegt wurde5.

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Die erloschene Prozessvollmacht - und ihr Nachwirken

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 2 (6) SsRs 723/16

  1. vgl. dazu einerseits BayObLGSt 1992, 157; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 327; andererseits OLG Düsseldorf VRS 73, 389[]
  2. vgl. OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 08.10.2015 – 2 (7) SsBs 467/15 – AK 146/15, juris; und vom 16.09.2016 – 2 (7) SsBs 507/16 – AK 173/16, juris; KG VRS 125, 230; BayObLG NJW 2004, 1263[]
  3. OLG Jena VRS 111, 200; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 73 Rn. 27; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 73 Rn. 17[]
  4. BGBl. I 1332[]
  5. OLG Jena a.a.O.; OLG Bamberg VRS 121, 49; Göhler a.a.O., § /3 Rn. 27; Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O., § 73 Rn. 17; KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 73 Rn. 41[]