Abschiebehaft, Aufenthaltsgestattung – und die Prüfungskompetenz der Haftgerichte

Die Haftgerichte haben – von Fällen offenkundiger Rechtsverletzung abgesehen im Hinblick auf eine mögliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht zu prüfen, Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln.

Abschiebehaft, Aufenthaltsgestattung – und die Prüfungskompetenz der Haftgerichte

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, die Angaben eines Betroffenen nicht als Asylantrag zu behandeln, sind vom Haftrichter erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat, und sich daraus ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann1.

Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er – wie der Betroffene – einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Vollziehbar ist die Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist. Dies war hier der Fall, weil sich der Betroffene ohne Pass oder Passersatz und ohne Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet begeben hat, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG.

Dem Betroffenen stand in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall auch zu keinem Zeitpunkt eine von den Haftgerichten zu berücksichtigende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG zu, welche die vollziehbare Ausreisepflicht aufgehoben und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Hafthindernis dargestellt hätte2:

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Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet. Ein solcher Ankunftsnachweis wurde dem Betroffenen nicht ausgestellt.

Dem Betroffenen war der Aufenthalt auch nicht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG gestattet. Er hat keinen von den Haftgerichten zu berücksichtigenden Asylantrag gestellt, der nach dieser Vorschrift die Aufenthaltsgestattung entstehen lässt.

Die Haftgerichte haben – von Fällen evidenter Rechtsverletzung abgesehen – im Hinblick auf eine mögliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts nicht zu prüfen, Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln. Eine solche Prüfung widerspräche der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsund den Haftgerichten. Denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden – hier des Bundesamts – unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit3.

Danach war der Haftrichter hier an die Beurteilung des Bundesamts gebunden. Mit Schreiben vom 30.01.2020 teilte das Bundesamt dem Amtsgericht Karlsruhe mit, dass es die vom Betroffenen bei der persönlichen Anhörung am 17.12.2019 vor dem Amtsgericht Offenburg gemachten und an das Bundesamt weitergeleiteten Angaben nicht als Asylantrag ansehe. Der Betroffene habe dort nicht geltend gemacht, Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG zu suchen, sondern nur den Wunsch geäußert, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Dem entspreche seine Aussage gegenüber der Bundespolizei vom selben Tag, mit der er ausdrücklich erklärt habe, in seiner Heimat nicht verfolgt zu werden. Nach erfolgter Identifizierung sei deshalb beabsichtigt, den Betroffenen in das ermittelte Herkunftsland abzuschieben.

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Für den Bundesgerichtshof war hier die (eingeschränkte) Sachaufklärung (vgl. § 26 FamFG) des Haftgerichts und des Beschwerdegerichts in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Das Protokoll des Amtsgerichts Offenburg vom 17.12.2019 musste von den Haftgerichten nicht eingesehen werden. Denn – anders als die Rechtsbeschwerde meint – ist nicht maßgeblich, wie das Beschwerdegericht die Angaben des Betroffenen verstehen durfte, sondern wie das Bundesamt diese Angaben verstanden hat. Dies hat das Bundesamt mit Schreiben vom 30.01.2020 dem Amtsgericht Karlsruhe eindeutig mitgeteilt. Eine weitere Aufklärung war nicht veranlasst.

Auch die Gelingensprognose des Beschwerdegerichts (§ 62 Abs. 3 Satz 3 und 4, Abs. 4 AufenthG) ist nicht zu beanstanden.

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, die Angaben eines Betroffenen mangels Äußerung eines Schutzersuchens i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylG nicht als Asylantrag zu behandeln, sind – von Fällen offenkundiger Rechtsverletzung abgesehen – vom Haftrichter erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat, und sich daraus ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann. In diesem Fall muss der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklären. Steht danach zu erwarten, dass das Verwaltungsgericht einem Eilantrag des Betroffenen stattgeben wird, so dass die vorgesehene Abschiebung voraussichtlich nicht durchgeführt werden kann, darf er die Haft nicht anordnen und muss eine bereits ergangene Haftanordnung aufheben4.

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Die vom Beschwerdegericht getroffene Prognose, die Abschiebung werde am 13.02.2020 gelingen, begegnet danach keinen rechtlichen Bedenken. Aus dem beim Verwaltungsgericht Stuttgart mit Schreiben vom 11.02.2020 eingereichten Antrag des Betroffenen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ergab sich kein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis. Die Nachfrage des Beschwerdegerichts beim Verwaltungsgericht zum Stand und voraussichtlichen Fortgang des Verfahrens hatte nicht ergeben, dass das Verwaltungsgericht voraussichtlich dem Eilantrag des Betroffenen stattgeben und dessen Abschiebung aussetzen würde.

Im hier entschiedenen Fall sah der Bundesgerichtshof auch keine Verletzung des Beschleunigungsgebots. Zwar erfordert die Beachtung des Beschleunigungsgebots,   dass die Gesuche um Aufoder Wiederaufnahme eines Betroffenen nach Art. 21 f. oder Art. 23 ff. Dublin-III-VO korrekt und unter Einhaltung der Vorschriften der Durchführungsverordnung der Kommission5 an den anderen Mitgliedstaat gestellt werden. Auch muss sich die beteiligte Behörde Fehler des hier für die Übermittlung eines Wiederaufnahmegesuchs gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZVB zuständigen Bundesamts zurechnen lassen6.

Hier enthielt das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom 19.12.2019 entgegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. b DurchführungsVO nicht das von der EurodacZentraleinheit übermittelte positive Ergebnis des Vergleichs der Fingerabdrücke des Betroffenen mit früheren Abdrücken und benannte entgegen Art. 24 Abs. 5 Dublin-III-VO i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Anhang – III Nr. 11 DurchführungsVO nicht das Datum der Eurodac-Treffermeldung. Dieser Fehler hat sich auf die Dauer der Haft aber nicht ausgewirkt.

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Zwar sind hinsichtlich des Gebots, die Abschiebung des Betroffenen mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben, auch die vor der Haftanordnung liegenden Zeiten relevant7, hier also auch der Zeitraum der auf Grund der einstweiligen Anordnung vom 17.12.2019 vollzogenen Haft, während derer noch eine Überstellung nach Spanien geplant und Spanien um Übernahme des Betroffenen ersucht worden war.

Allerdings wurden die in dem Gesuch vom 19.12.2019 fehlenden Informationen in der Antwort der spanischen Behörden vom 23.12.2019 nicht verlangt. Mit diesem Schreiben wurde nämlich nur die Mitteilung darüber erbeten, wann der Betroffene in Deutschland um Asyl nachgesucht habe und wann er festgenommen worden sei. Das von der EurodacZentraleinheit übermittelte positive Ergebnis des Fingerabdruckvergleichs und das Datum dieser Treffermeldung wurden ausdrücklich nicht erfragt. Das Bundesamt übermittelte den spanischen Behörden die erbetenen Informationen am 30.12., also am zweiten Büroarbeitstag nach Eingang der Nachfrage aus Spanien und damit innerhalb einer vertretbaren Bearbeitungszeit. Bis zum 30.12.2019 wäre das Verfahren um das Wiederaufnahmegesuch also auch ohne den Fehler des Bundesamts nicht anders verlaufen. Für die Zeit ab dem 30.12.2019 konnte der Fehler – entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde – keine Auswirkung auf die Dauer der Haft mehr haben, weil das Bundesamt an diesem Tag bereits die – von dem Haftrichter auf ihre Rechtmäßigkeit grundsätzlich und so auch hier nicht zu prüfende8 – Entscheidung getroffen hatte, das Dublin-Verfahren als beendet anzusehen. Die beteiligte Behörde betrieb daraufhin nicht mehr die Überstellung des Betroffenen nach Spanien, sondern seine Abschiebung nach Tunesien. Dies tat sie mit der größtmöglichen Beschleunigung, indem sie am 2.01.2020, also bereits am nächsten, auf den 30.12.2019 folgenden Büroarbeitstag, das Verfahren zur Identifizierung des Betroffenen in Tunesien einleitete.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – XIII ZB 21/20

  1. Fortführung von BGH, Beschlüsse vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19 14; und vom 24.06.2020 – XIII ZB 20/19 8[]
  2. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20.05.2016 – V ZB 24/16, NVwZ 2016, 1582 Rn. 16 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19 12; und vom 24.06.2020 – XIII ZB 20/19 8, jeweils mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19 14; und vom 24.06.2020 – XIII ZB 20/19 12, jeweils mwN[]
  5. Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 in der Fassung der Durchführungsverordnung [EU] Nr. 118/2014 der Kommission vom 30.01.2014, ABl.EU L 39 1[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.04.2011 – V ZB 111/10, NVwZ 2011, 1214 Rn. 13 f.; und vom 17.10.2013 – V ZB 172/12, InfAuslR 2014, 52 Rn. 15[]
  7. vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.01.2010 – V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rn. 11; und vom 30.10.2013 – V ZB 186/12 9[]
  8. vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.12.2018 – V ZB 80/17, NVwZ-RR 2019, 662 Rn. 7; und vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19 12 mwN[]

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