Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nicht „auf Vorrat“ angeordnet werden, indem ihr Beginn an das Ende einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft und damit an einen in der Zukunft liegenden ungewissen Zeitpunkt geknüpft wird1.

Sie kann jedoch parallel zu einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft angeordnet werden, sofern die üblichen Voraussetzungen hierfür vorliegen; obwohl die Abschiebungshaft erst nach dem Ende der Straf- oder Untersuchungshaft vollzogen werden kann, berechnet sich der Haftzeitraum von der Haftanordnung an.
Der Beginn der Sicherungshaft darf nicht an das Ende der laufenden Untersuchungshaft und damit an einen in der Zukunft liegenden ungewissen Zeitpunkt geknüpft werden.
Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Anordnung von Abschiebungshaft für drei Monate – wie hier – im Anschluss an eine bestehende Untersuchungshaft bislang gebilligt2. In der Folgezeit hat er jedoch für die Prognose, ob die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich erscheint, bei einer solchen „Überhaft“ auf den Erlass der Haftanordnung und nicht auf den mutmaßlichen Beginn der Abschiebungshaft abgestellt3.
Der Begriff der Überhaft ist in diesem Zusammenhang zwar gebräuchlich, aber irreführend, weil er dem Strafprozessrecht entlehnt ist und dort die Existenz eines weiteren Haftbefehls neben einer bereits vollzogenen Haft kennzeichnet. Die Vorführung des Beschuldigten vor den Richter (§§ 115, 115a StPO) findet bei notierter Überhaft erst statt, wenn insoweit die Vollstreckung beginnt4. Hiervon unterscheidet sich das Freiheitsentziehungsverfahren nach den Vorschriften der §§ 415 ff. FamFG in wesentlichen Punkten. Einen Haftbefehl bzw. eine „auf Vorrat“ angeordnete Sicherungshaft sieht es gerade nicht vor5. Die Anhörung des Betroffenen erfolgt vor der Anordnung der Haft. In diesem Zeitpunkt muss der Haftrichter abschließend über deren Voraussetzungen befinden.
Richtigerweise kann die Haft zur Sicherung der Abschiebung daher nur parallel zu einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft angeordnet werden. Dies kann einem praktischen Bedürfnis entsprechen6, weil das vorzeitige Ende einer Strafhaft etwa bei Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Zahlung der Geldstrafe eintreten (vgl. § 459e Abs. 4 Satz 1 StPO; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 459e Rn. 5) und die Untersuchungshaft ohnehin jederzeit enden kann. Obwohl die Abschiebungshaft erst nach dem Ende der Straf- oder Untersuchungshaft vollzogen wird, berechnet sich der Haftzeitraum von der Haftanordnung an7.
Für eine Anordnung von Abschiebungshaft parallel zu einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft müssen die üblichen formellen und materiellen Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere muss die Haft auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt werden (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG); die Behörde darf während der Untersuchungshaft bzw. der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht untätig bleiben. Es darf nicht feststehen, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG; vgl. BGH, Beschluss vom 12.05.2011 – V ZB 309/10 15). Bei laufender Untersuchungshaft kann die Abschiebungshaft nur angeordnet werden, wenn das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG); ist dieses erteilt worden, kann davon ausgegangen werden, dass der Haftbefehl der Abschiebung nicht entgegenstehen und die Staatsanwaltschaft ggf. dessen Aufhebung beantragen wird (§ 120 Abs. 3 StPO).
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – V ZB 77/14
- Aufgabe von BGH, Beschluss vom 09.03.1995 – V ZB 7/95, BGHZ 129, 98 ff., bestätigt durch BGH, Beschluss vom 04.03.2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 12[↩]
- Beschlüsse vom 09.03.1995 – V ZB 7/95, BGHZ 129, 98 ff.; vom 04.03.2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 12; zustimmend Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 353; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 425 Rn. 5[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.05.2011 – V ZB 309/10 15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25.03.2010 – V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 18; ebenso Prütting/Helms/Jennissen, FamFG, 3. Aufl., § 425 Rn. 11; Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 146[↩]
- Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., vor § 112 Rn. 12 f., § 115 Rn. 12; KK/Graf, StPO, 7. Aufl., vor § 112 Rn. 17, § 115 Rn. 16[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.06.2011 – V ZB 26/11 8[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 12[↩]
- zutreffend LG Verden, InfAuslR 2012, 425 f.; ähnlich OLG Köln, OLGR 2002, 364 f.; OLG München, OLGR 2005, 439 f.; OLG Düsseldorf, InfAuslR 2008, 38 f.; im Ergebnis auch Prütting/Helms/Jennissen, FamFG, 3. Aufl., § 425 Rn. 11[↩]